Wie funktioniert eine Stadt, die niemals schläft? Vienna After Dark, Wiens erste internationale Konferenz für Clubkultur, will auf diese Frage eine Antwort finden und orientiert sich dabei an internationalen Vorbildern.
»In Berlin ist immer Betrieb«, heißt es in einer Dokumentation aus dem Jahr 1984. Sie trägt den Titel »Die 24-Stunden-Stadt« und zeigt das ununterbrochene, bisweilen skurrile Treiben im Underground der deutschen Metropole. 40 Jahre später hat sich die Welt stark verändert und mit ihr auch Berlin. Das bunte Tag- und Nachtleben ist aber geblieben – wenngleich inzwischen weniger im Underground. Und dieses wäre sicherlich nicht dasselbe ohne die Berliner Technokultur, die die UNESCO inzwischen sogar zum immateriellen Weltkulturerbe ernannt hat. Die Szene sucht international ihresgleichen. Sie baut auf jahrzehntelanger Tradition, aber auch auf viel Arbeit und Einsatz auf.
Die Struktur und auch die Anerkennung von heute seien nicht immer gegeben gewesen, so Lutz Leichsenring, seit 15 Jahren Sprecher der Clubcommission Berlin: »Die Neunziger waren quasi der Wilde Westen. Es sind viele neue Räume entstanden, gerade da, wo die Mauer verlaufen ist. Und die wurden dann auch genutzt.« Seit ihrer Gründung im Jahr 2001 spielt die Clubcommission eine zentrale Rolle in der Organisation und Strukturierung der Berliner Clubkultur. Mittlerweile kann sie auf über 20 Jahre und eine lange Reihe an Erfolgen zurückblicken. Aus dem anfänglichen Wilden Westen wurde ein Paradebeispiel dafür, wie der Clubbetrieb in einer 24-Stunden-Stadt in der Praxis funktionieren kann. Davon wollen andere lernen – zum Beispiel die 2020 gegründete Vienna Club Commission (VCC).
Vienna After Dark heißt die erste internationale Konferenz zu Clubkultur und Nachtleben in Wien. Von 14. bis 16. November werden Keynotes, Diskussionen und Workshops von und mit mehr als 120 Expert*innen aus zahlreichen Ländern abgehalten. Und auch Vienna After Dark hat ihren Ursprung in Berlin. Seit 2017 findet dort eine solche Konferenz statt. Jedes zweite Jahr gibt es ein Partnerevent in einer anderen Stadt. Die Bemühungen, die Konferenz auch einmal nach Österreich zu holen, gehen einige Jahre zurück. 2020 stieß die VCC – zu jener Zeit gerade in ihrer Pilotphase – die Idee einer Konferenz in Wien an. Nach der Wahl im selben Jahr wurde sie von der neuen Stadtregierung direkt ins Programm aufgenommen. Nun, vier Jahre später, wird Wien für ein Wochenende das Zentrum für Vernetzung in der europäischen Clubszene.
Auch die Idee der 24-Stunden-Stadt wird im Rahmen der Konferenz eine Rolle spielen. Dabei soll sie aber nicht unbedingt eine Forderung der VCC darstellen, wie Martina Brunner, Geschäftsführerin der VCC, darlegt: »Wir wollen einen Anstoß geben, darüber nachzudenken, wie eine 24-Stunden-Stadt im Clubkontext funktionieren könnte. Welche Aspekte müssen aus sozialer, kultureller und ökonomischer Sicht mitgedacht werden und was wird in anderen Städten bereits umgesetzt?« Das Programm der Konferenz versucht, die Vielfalt und Tragweite dieser Gedanken abzubilden. »Das Ziel der Konferenz ist, dass Personen mit unterschiedlichen Perspektiven an einem Ort zusammenkommen – ausgehend von der Club- und Veranstaltungsszene bis hin zu Politik und Verwaltung; darüber hinaus auch Stimmen aus den Bereichen Tourismus, Gesundheit, Antidiskriminierung und Nachhaltigkeit. Sämtliche Themen, die mit Clubkultur zusammenhängen, sollen hier besprochen werden«, erläutert Brunner.
Die Zukunft einer Stadt
Der Begriff der 24-Stunden-Stadt geht also über die Clubkultur hinaus. Diese ist schließlich nur ein kleiner Teil der gesamten Maschinerie, die eine Stadt rund um die Uhr am Laufen hält. Allerdings ist sie elementar, um zu verstehen, wie eine Stadt generell tickt. Lutz Leichsenring: »Durch Clubs und Nachtkultur kann eine Stadt bis zu einem gewissen Grad gesteuert werden, weil es für viele Menschen ein wichtiger Aspekt ihres Lebens ist. Tagsüber hat der Mensch eine Rolle in der Gesellschaft und muss liefern. Nachts kann sich diese Rolle verändern und man kann eine andere Identität finden.« In einigen Großstädten stoße die Relevanz des Nachtlebens und dessen Vielfalt auch in der Verwaltung auf immer mehr Verständnis. »Die Politik wird inzwischen von der Realität eingeholt, dass Leute aus Städten wegziehen, wenn es dort zu wenig Freiheiten und Kulturangebote gibt. Man will ja nicht, dass Leute, die hier leben, vielleicht eine Ausbildung gemacht haben, irgendwann wegziehen«, erklärt Leichsenring. Den Stellenwert der Clubkultur klar zu machen und zwischen Kulturschaffenden und der Verwaltung zu vermitteln, sei anfangs eine der wichtigsten Tätigkeiten der Clubcommission Berlin gewesen.
Ähnliches findet zurzeit auch in Wien statt. Nach wie vor gäbe es viele Missverständnisse und Vorurteile bei Entscheidungsträger*innen. »Es kommt natürlich auch darauf an, was man kennt oder wie man sozialisiert wurde«, meint Leichsenring. »Wenn jemand Clubkultur nur mit Alkohol und Party verbindet, ist es schwerer, den sozialen und kulturellen Wert davon zu erfassen. Wir versuchen, der Stadt diese Vorteile kultureller, aber auch wirtschaftlicher Natur zu vermitteln.«
Die Clubkultur ist nicht der einzige Aspekt, in dem sich das Nachtleben in Großstädten in Zukunft verändern wird: Die Auswirkungen des Klimawandels machen sich bereits jetzt in extremen Hitzewellen bemerkbar. In Wien wurden heuer so viele Hitzetage verzeichnet wie noch nie zuvor. Diese Veränderungen erschweren es vielen Leuten, ihrer Arbeit nachzugehen. Das Arbeitsleben wird sich also anpassen müssen. »In südlicheren Ländern gibt es ja jetzt schon ein anderes Nachtleben. Da geht es aber gar nicht nur um Partys, sondern einfach um ein gesellschaftliches Zusammenkommen, weil es tagsüber zu heiß ist. Bei uns wird es auch dazu kommen und immer mehr Tätigkeiten wie zum Beispiel Bauarbeiten werden in die Nacht verlegt werden müssen«, erläutert Leichsenring. »Die Arbeitswelt hat sich generell schon verändert. Menschen arbeiten viel flexibler, in internationalen Berufen wegen der Zeitverschiebung oft auch nachts. Städte müssen sich also mehr mit der Nacht und deswegen auch mit der Idee der 24-Stunden-Stadt auseinandersetzen.«
Neue Wege schaffen
Wie so eine zukunftsfitte Stadt aussehen kann, soll bei Vienna After Dark vielseitig diskutiert werden. Der Fokus liege dabei auf Austausch von Erfahrungen. Martina Brunner: »Wir können nicht alles einfach von anderen Städten kopieren. Aber wir können uns anschauen, was dort funktioniert und was wir in Wien davon lernen können. Oder auch, was andere Städte von Wien lernen können.« Seit der ursprünglichen Idee der Gründung der VCC im Jahr 2017 habe sich in Wien nämlich schon viel getan. Erst kürzlich wurde die geplante Novelle des Wiener Veranstaltungsgesetzes vorgestellt. Darin sind zum Beispiel der Schutz von geschichtsträchtigen Locations wie der Arena oder ein verpflichtendes Awareness-Konzept für Veranstaltungen ab 300 Personen in Clubs oder bei Konzerten vorgesehen.
Janet Bakalarz, Awareness-Aktivistin in Wien, begrüßt diese Entwicklung. Sie hat langjährige Erfahrung mit Awareness-Arbeit und wird als Teil des lokalen Co-Kurator*innen-Teams dem Thema bei der Konferenz eine Bühne geben. Der Idee eines Rundum-die-Uhr-Betriebs in Clubs steht sie kritisch gegenüber: »Die Sicherheit des Publikums steht im Fokus der Awareness-Arbeit. Um diese gewährleisten zu können, benötigen Awareness-Teams entsprechende Rahmenbedingungen. Ein ständiger Betrieb würde erschwerende Faktoren mit sich bringen.« Ein Problem liege dabei etwa in der Informationsweitergabe bei Schichtwechseln, um kontinuierlich den Überblick über Vorfälle und Personen zu bewahren. Bei vielen Festivals gebe es zwar bereits durchgehenden Betrieb und Awareness-Teams, dieser sei aber auf einen gewissen Zeitraum begrenzt und eben nicht die Regel. »Natürlich schaffen wir es auch bei 24-Stunden-Schichtbetrieb, uns weiterhin um das Publikum zu kümmern«, meint Bakalarz, »aber dann freuen wir uns schon, wenn einmal Feierabend ist.« Dass Awareness-Arbeit immer öfter auch als solche benannt und durch Bezahlung anerkannt wird, sieht sie als eine notwendige und wichtige Entwicklung für die Wiener Clubszene.
Neben Awareness-Teams sind auch Barpersonal, Securitys oder DJs immer wieder von prekären Arbeitsverhältnissen und -umständen betroffen, auf die sich ein 24-Stunden-Betrieb zusätzlich negativ auswirken könnte. Über den Horizont der Clubs hinaus, gibt es noch viele andere Branchen, in denen das ebenfalls der Fall ist. Eine 24-Stunden-Stadt braucht mehr Flexibilität in fast allen Bereichen des alltäglichen Lebens – vom öffentlichen Verkehr bis hin zum Handel, wo die Diskussion über längere Öffnungszeiten regelmäßig aufs Neue aufkommt. Schicht- und Nachtbetrieb ist in einigen dieser Bereiche bereits jetzt der Standard, weswegen Gewerkschaften sich eher für strengere Regelungen einsetzen und eine Ausweitung ablehnen. Auch in der Clubszene setzen immer mehr Arbeitnehmer*innen auf die Macht der Gewerkschaft. Wie sich etwa in der 2021 gegründeten Fachgruppe für DJs, elektronische Musik und Clubkultur in der Teilgewerkschaft Younion zeigt.
Im Bezug auf Arbeitsrecht und die mentale sowie körperliche Gesundheit von Publikum und Personal, wirft die Idee der 24-Stunden-Stadt also viele Fragen auf, die noch nach Antworten verlangen. Im Rahmen von Vienna After Dark sollen Ideen entwickelt werden, um diesen Antworten ein Stück näherzukommen. Auf den Entwicklungen der letzten Jahre könne gut aufgebaut werden, so Martina Brunner: »Man merkt, dass der Wille der Stadt da ist, Clubkultur und den damit zusammenhängenden Themen einen größeren Stellenwert zu geben. Ich denke, die Konferenz wird das auf ein neues Level heben.«
Vienna After Dark, Wiens erste internationale Konferenz für Clubkultur, findet von 14. bis 16. November statt. Informationen zu Programm und Tickets gibt es unter www.viennaafterdark.at.
Offenlegung: The-Gap-Mitherausgeber Thomas Heher ist in seiner Funktion als Co-Geschäftsführer der Vienna Club Commission für deren kaufmännische Leitung verantwortlich. Die VCC und The Gap teilen sich Büroräumlichkeiten.