Melancholischer Indiepop aus Deutschland war in den letzten Jahren ja eher mau. Chaplin aus Berlin zeigen, dass da doch noch was geht. Und wie.
Während sich Wien im Mai daran macht, Brücken zu bauen, steht da einer auf einer bereits gebauten in Köln. Oder Erfurt. Oder wo es sonst noch eine Hohenzollernbrücke gibt. Er steht da mit dem Schweißgerät und schweißt unsere Schlösser, zerreißt unsere Blicke. So singt er es zumindest im ersten Video seiner Band. Er, das ist Dominic Hoffmann, Sänger und Texter der Berliner Band Chaplin. Die gibt es erst seit einem Jahr und schon ist das Debüt erhältlich. Es heißt ganz verführerisch und verträumt großstädtisch »Im Taxi hinter der Tram«. Erscheinen wird es auf Tapete Records, der ersten Adresse für verliebt-melancholischen deutschsprachigen und vor allem intelligenten Pop, auch wenn dieser schon mal höher im Kurs war, schon einmal mehr Herzen von präadoleszenten Jünglingen für sich zu gewinnen wusste.
Chaplin erzeugen ihren Melancholie-Pop nicht nur mit Texten, die von trist-traurigen Alltagsbeobachtungen bis zu eindringlichen »Ich will nicht, dass du gehst!«-Forderungen reichen und dabei vor allem die dunkle Seite des Mondes beackern. Denn das Wort wird mit darauf abgestimmten Instrumentarium ergänzt, von akustisch-klingendem Schlagzeug, von Rhodes-Piano, von Gitarre und manchmal – an den richtigen Stellen – auch von einem Baritonsaxophon.
Melancholie, du kriegst mich nie klein
Man merkt schon: Hoffmann und seine Band haben in der Vergangenheit viel Tom Waits und Element Of Crime gehört. Es drängt sich beim wirklich sehr gefälligen Durchhören des Debüts ein Name in den Vordergrund, der mit seinen bislang zwei Soloalben das Loch zwischen TV Noir, Studenten-WG und Busbahnhof gestopft hat und wie kaum ein anderer in die verlassenen Seelen einzog, um nie wieder zu gehen: Gisbert zu Knyphausen.
Chaplin können echt fast froh sein, dass es kein Patent auf verträumten Indiepop gibt, der mit so viel Sadness in der Stimme und den Texten daher kommt, dass er fast zu schade ist, für die schnellen Momente, für das bloße Hinhören. »Im Taxi hinter der Tram« ist ein Album für die stille Einsamkeit, für das bibbernde, stundenlange Warten an Haltestellen und – ist das Objekt der Begierde gekommen – für schier ewige Fahrten mit den Öffis. So mancher – hust! – soll schon extra lange Strecken mit der Straßenbahn gefahren sein, um das gesamte Album hören zu können.
Jetzt, bei den warmen Temperaturen, bekommt man bei intensivem Hören die ungeheure Lust, nachts auf Balkonen in Übergangsjacken zu sitzen, Stangen von Zigaretten zu rauchen und eben noch einmal Chaplin zu hören. Egal, wie gut es im Leben läuft, man bekommt das dringende Gefühl, alles bewahren zu wollen und davor Angst zu haben, alles zu verlieren.
Musik, die solch ungeheure Melancholie, die einem dann doch irgendwann klein kriegt, auslöst, kann einfach nur gut sein. Musik soll Gefühle erzeugen und Gefühle verstärken. Und »Im Taxi hinter der Tram« tut das, wie zuletzt kaum ein Album dieses Genres.
Das wunderbare »Im Taxi hinter der Tram« von Chaplin erscheint am 8. Mai 2015 bei Tapete Records. Tourtermine gibt es, keine in Österreich.