Im Silicon Valley wird Journalismus neu gedacht. Bei Ozy steht Originalität an oberster Stelle. Das hat ihnen in weniger als 2 Jahren über 10 Millionen Leser gebracht.
Mein erster Tag bei OZY. Ein Bürohaus in der Castro Street, der blitzblanken Hauptstraße von Mountain View (74.000 Einwohner) im Silicon Valley. Ein schlichtes Großraumbüro im zweiten Stock. Rund 50 Redakteure und Reporter gestalten hier das wohl beste Online-Magazin der USA, unterstützt von Korrespondenten und Kollegen in den OZY-Büros Washington und New York.
Hier sitzen gefühlte 1.000 Jahre Printerfahrung: Der Großteil der Crew hatte früher The New York Times, The Washington Post, The Economist und andere Weltblätter als Arbeitgeber. Kein einziger der Ex-Printler glaubt übrigens mehr an Print.
Chefredakteur Jonathan verantwortete mehr als zehn Jahre lang die Seite 1 des Wall Street Journal. „As someone who has made the transition from print to OZY, I can guarantee you would find this an invaluable learning experience“, sagt der Mann, der einst für den Pulitzer-Preis nominiert war.
Ich bin in die neue Welt gekommen, um zu lernen, „stepping into the new era of journalism“.
Mehr Stories sterben als anderswo
Gibt es einen Unterschied zu den Redaktionen in Österreich und Deutschland? Auf den ersten Blick nein. Redaktionen sehen bekanntlich immer irgendwie gleich aus. Vom Tischtennistisch und der Dartscheibe im OZY-Office einmal abgesehen.
Aber: Bei OZY sterben mehr Geschichten als in den meisten anderen Medien. „Wir wollen ausschließlich neue Stoffe, die nirgendwo anders zu lesen waren“, sagt Jonathan. Todsünde: „to bore the readers“. Der Einheitsbrei der Agenturen und die Seite-1-Gleichschaltung vieler Printmedien sei „strictly forbidden“: „Enough with the same-old, same-old.“ Die OZY-Philosophie: „to surprise with original content, different stories“ – und einem brillanten Storymix.
Auf einen Kaffee mit CNN-Legende Carlos Watson, Gründer und CEO von OZY. „Wir wollen, dass der User unsere Website mit einem positiven Gefühl verlässt, weil er dann wieder kommt.“ Bad news is good news? Retro-Journalismus!
Online und der Abgabestress
Der Redaktionsschluss hält sich nicht an Landesgrenzen. Logischerweise herrscht auch bei OZY Abgabestress. Doch mir wird das erste Mal seit Langem bewusst, wie anders sich positiver Stress anfühlt. In meinem Print-Leben musste ich zuletzt mit meinem Team jede Woche gegen den Abstieg kämpfen, ein Sparpaket jagte das andere inklusive Kündigungen und Streichung des Lektorats. Manche Ausgaben bestritt ich mit nur 10 Redakteuren, was pro Kopf einen Output von 10 Seiten bedeutete (keine Angst, ich fange jetzt nicht zu jammern an).
Die OZY-Leute spielen um den Sieg: 10 Millionen Leser pro Monat (und das erst 22 Monate nach der Gründung des Portals). Erfolgsformel: „smarter, fresher, different.“
Kreativität braucht eine positive Grundstimmung.
AD PERSONAM
Wolfgang Ainetter (hier auf Twitter) war Ressort-Leiter bei der Bild Zeitung, Chefredakteur der Gratis-Zeitung Heute und zuletzt Chefredakteur bei News – als längstdienender Chefredakteur nach dem Gründer. Diesen Sommer über bloggt Ainetter für The Gap über seine Hospitanz bei OZY im Silicon Valley.
WEITERLESEN:br />Erster Teil des Blogs – Die Bewerbung und die Vorgeschichte