That Scene in Wien – Hyperreality-Edition

In unserem Club-Kalender zeigt euch Luca Niederdorfer jede Woche, was an und in der Wiener Clubszene bemerkenswert ist. Diesmal mit: Hyperreality.

Diese Woche steht hier alles im Zeichen eines Events. Sonst ist eh nicht so viel los, deswegen trifft sich das auch ganz gut. Aber es wäre natürlich kein guter Club-Kalender, wenn wir nicht ausführlich über das Festival für Clubkultur in Wien sprechen würden, das Hyperreality. Nach verschiedenen Locations, wie einer alten Sargfabrik in Liesing oder dem Zukunftshof, der heuer ja auch die Pforten des Kosmos Kuriosum geschlossen hat, ist das Festival wiederum in neue Gefilde aufgebrochen. Die diesjährige Ausgabe findet am Otto-Wagner-Areal auf der Baumgartner Höhe statt. Dort wird die alte Industrieküche kurzerhand für ein Wochenende zum Dancefloor. Nachdem der ganze Ort geschichtlich schwer belastet ist, wird nun versucht, ihn mit Projekten aus Kunst, Kultur und Wissenschaft neu zu beleben. Auf die Geschichte wird dabei selbstverständlich nicht vergessen. Das Hyperreality trägt die politische Orientierung des Festivals stark nach außen und sieht sich als Community, die über eine binäre Weltordnung, Geschlecht, Klasse und Religion hinwegleben will. In Bezug auf die Geschichte des Areals hat das Team gemeinsam mit der Organisation Gedenkdienst, dem Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes und der Stadt Wien einen Ordner erstellt, in dem Informationen zur Geschichte des Areals gesammelt werden. Wir können allen Wiener:innen und Interessierten nur nahelegen, sich damit zu befassen, werden uns aber jetzt doch auf das musikalische konzentrieren. Da gibt es nämlich auch so einiges zu erwähnen.

Freitag

Der Freitag startet gleich mit einer wilden Mischung an Künstler:innen und Genres und Mala Herba als Opener. Mala Herba kennen vielleicht manche auch schon vom Popfest oder einfach weil es ein spannendes musikalisches Projekt ist. Dahinter steckt Zosia Hołubowska, Queer-Artist & -Activist, und Gründungsmitglied des Sounds-Queer-Collective. Mala Herba verbindet Elemente traditioneller Musik und Mystik aus Osteuropa mit Darkwave- und Techno-Sounds zu einem düsteren und hypnotisierendem Musikgeflecht und gibt dem ohnehin düsteren Sound mit dem fast verschwindenden Gesang eine ganz besondere Stimmung. Ein spannender Einstieg ist garantiert.

Über den Abend verteilt gibt es so viele weitere tolle und interessante Künstler:innen zu sehen, dass wir gar nicht auf alle im Detail eingehen können. Kurz überflogen stößt man zum Beispiel auf das Wiener Punk-Noise-Duo Puke Puddle, die schon seit vielen Jahren immer wieder den deutschsprachigen Raum mit ihrem Shows bereichern. Oder den ugandischen Producer Masaka Masaka, der erst vor kurzem sein hervorragendes Debüt-Album »Barely Making Much« mit einem Mix aus Electronica, Hip-Hop und einem Schuss Dream-Pop veröffentlicht hat. DJ Working Class aus Brasilien darf man auch nicht auslassen, die mit Sets zwischen Techno, Trance, Breakbeat und Pop-Remixes immer etwas für alle parat hat, die sich eineinhalb Stunden so richtig auspowern wollen. Auspowern geht auch gut bei Cali Rose. Die aus Los Angeles stammende DJ und Performerin bewegt sich zwischen Trance, Darkwave und Progressive House und kreiert damit ihre ganz eigenen Sound-Sphären. Ein besonderes Schmankerl dürfte allerdings das Set von Octo Octa werden. Die amerikanische DJ und Producerin hat sich seit über zehn Jahren in der House-Szene einen Namen gemacht und gilt mit ihren Sets als Crowd-Favourite. Allerdings müssen House-Fans diesmal zurückstecken, denn laut Veranstalter:innen wird Octo Octa ein Drum-’n‘-Bass-Vinyl-Set spielen. Dafür könnte es wohl kaum ein besseres Warmup geben als das Set von DJ Storm, einer wahren Pionierin des Genres, die in den 90ern gemeinsam mit Kemistry in England die Männer-dominierte Szene aufmischte und den Weg für junge Künstler:innen bereitete. Es bringt also nicht nur die Location, sondern auch das Lineup ein Stück Geschichte mit sich.

Samstag

Am Samstag geht’s nicht weniger divers weiter und auch gleich mit einer Künstlerin los, die wahrscheinlich eher noch als Geheimtipp zu zählen ist. Die schwedische Sängerin und Producerin Saint Precious eröffnet den zweiten Tag des Festivals. Erst vor Kurzem brachte sie die erste EP »The Resonance« auf den Markt. Darauf zu hören ist ein verträumter Sound mit sehr viel Soul, aufbereitet mit modernem Pop-Producing. Ein enorm spannendes Projekt, früh kommen lohnt sich also auf jeden Fall. Einer der bekannteren Namen an diesem Wochenende dürft wohl Aïsha Devi, aka Kate Wax sein. Die Schweizer Künstlerin dehnt die Grenzen des westlichen Musikverständnisses nicht nur seit Jahren, sondern überschreitet sie eigentlich immer wieder. Ihre Musik bringt sowohl musikalisch als auch inhaltlich starke spirituelle Einflüsse mit sich, die wohl zumindest zum Teil aus ihren tibetischen Wurzeln sprießen. Sphärische, teils düstere Klänge, begleitet von hypnotisierendem Gesang werden diesen Auftritt wohl auch zu einem der erinnerungswürdigsten machen.

Aber auch mit vergleichsweise klassischen Techno-Sets kann der Samstag aufwarten. Da wäre zum Beispiel Tygapaw, das Alias von Dion McKenzie. Seit gut zehn Jahren schafft McKenzie Räume und Aufmerksamkeit für marginalsierte Gruppen in Brooklyns Club-Szene, vor allem People of Colour, Nicht-Binäre und Trans-Personen. Tygapaw wird den Detroit-Techno-Sound auf die Baumgartner Höhe bringen und die alte Küche ordentlich zum Dampfen. Ebenfalls aus der Brooklyn-Rave-Szene, möglicherweise durch Tygapaws Einsatz für die Szene, kommt Goth Jafar, wo man sich auf noch schnellere, aber auch verspieltere Sets mit dem ein oder anderen Pop-Sample gefasst machen kann. Danach kann man sich auch noch auf Infinity Divison freuen. Aus Berlin stammend, verbindet Infinity Division Punk-Elemente mit Trance, Techno und Breakbeat und schafft daraus abwechslungsreiche Sets mit treibendem Industrial-Sound. Das Wochenende ist dann schon lang aber Müdigkeit vergisst man da wahrscheinlich wieder.

Und wenn dann immer noch was geht, schließt Menal Batti, die manche Wiener*innen vielleicht noch als Ehrenschwesta kennen, das Festival für dieses Jahr ab. Dazwischen wurden jetzt einige Künstler*innen noch nicht erwähnt aber wer noch immer nicht überzeugt ist, wieso auch immer, kann sich im Programm noch mehr Infos holen. Das Hyperreality hat es jedenfalls wieder einmal geschafft, eine Lineup aufzustellen, das in Sachen Diversität, Kreativität und Energie in Wien seines Gleichen sucht und nicht finden wird. Es gibt wohl kaum ein Wochenende, an dem man in dieser Stadt so viele spannende Acts aus dem erweiterten Clubmusik-Spektrum zu sehen und hören bekommen kann.

Auf eine Veranstaltung abseits des Hyperreality möchten wir aber trotzdem noch aufmerksam machen. Am Samstag findet nämlich im Flucc tagsüber die Superfair statt. Dort können sich interessierte Veranstaler*innen oder solche, die es noch werden wollen, darüber informieren, wie man Open-Airs und Festivals möglichst nachhaltig organisiert. Die Superfair findet im Rahmen der Klima Biennale statt und bietet eine Reihe an Workshops, Infotischen und Vorträgen, um gut auf die Open-Air-Saison vorzubereiten. Im Anschluss an das Programm gibt es im Flucc auf beiden Floors noch eine Afterparty, die ebenfalls nicht uninteressant ist. Neben bekannten lokalen Gesichtern wie Ciao 3lla, Kollektiv Sheesh und Goldie Goldenshower sind auch Mimi Love und Pulli & Chomba von den Mystic Creatures aus Berlin dabei. Und als besondere Draufgabe wurde vor Kurzem auch noch Joyce Muniz als Special Act bekanntgegeben. Wir empfehlen immer noch das Hyperreality aber diese Party klingt schon nach einer validen Alternative.

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