Welche 100 Objekte stehen für Österreich? Der Journalist Gregor Auenhammer hat das Gedankenexperiment gewagt und einen Kanon in Buchform vorgelegt. Dieser kann Land und Leute auch nicht abschließend quantifizieren, trifft aber oft genug ins Schwarze.
Seit Jahrzehnten beschäftigt eine große, methodische Frage die Sozialwissenschaften: Lassen sich soziale Konstrukte wie Familie oder Identität objektiv messen? Welche Maßstäbe muss man dafür anlegen? Und kann man einen Begriff wie Freundschaft wirklich in zehn Parametern ausdrücken? Zu diesen schwer erfassbaren Phänomenen gehört auch die Nation. Was macht denn Österreich aus? Der Journalist Gregor Auenhammer hat sich an einer Antwort auf diese Frage versucht und den Weg der Kanonisierung gewählt. Sein im September erscheinendes Buch »Die Entdeckung Österreichs in 100 Objekten« ist eine Auflistung von Gegenständen, in denen sich die Alpenrepublik würdig wiederfindet. Anleihen genommen hat der Autor offenbar am British Museum, das in einer Ausstellung einmal versuchte, die Geschichte der Welt in 100 Objekten zu erzählen (The Gap berichtete).
Neben einigen Überraschungen kommt auch Auerhammer nicht um die Klassiker eines jeden Reiseführers herum. Burgtheater, Schönbrunn und Wiener Konzerthaus fehlen ebenso wenig wie das unvermeidliche Trio Schnitzel, Sachertorte und Melange. Der Autor versucht sich im Subtext aber auch immer wieder an einer Beschreibung des »Nationalcharakters« – sofern es so etwas gibt. Einige Objekte symbolisieren Eigenschaften, die dem Österreicher – zu Recht oder zu Unrecht sei dahingestellt – zugeschrieben werden. Der Steigbügel steht hier sowohl für die Hofreitschule als auch für die austriakische Art, Geschäft zu machen – Stichwort Hawara-Partie. Der Ärmelschoner symbolisiert die heilige Dreifaltigkeit der österreichischen Beamtenmentalität (»Des hamma scho immer so gemacht“, »Da könnt ja jeder kumman«, »Nur Dienstag und Donnerstag«). Und Scheuklappen gibt es nicht nur an den Fiakerpferden, sondern sie wurden den Österreichern auch im Hinblick auf gewisse Momente ihrer Vergangenheit nachgesagt. Siehe dazu auch Nummer 87: »Der Thomas Bernhard kredenzte Misthaufen«.
Ignorieren oder umarmen?
Ebenfalls eine Rolle spielen die großen Söhne und Töchter, die allerdings zu Lebzeiten oft nicht von ihrer Größe profitier(t)en. Davon können Nummer 25 und 26 (Mozart + Falco) ein Lied singen bzw. komponieren. Nicht zu vergessen die zweite Möglichkeit, mit der die Alpenrepublik mit ihren ungeliebten Vordenkern umgeht: Was nicht verboten oder ignoriert werden kann, wird mittels vereinahmender Umarmung zu Tode geliebt. Beispiele dafür finden sich in Auerhammers Buch genug: Sei es Hermann Nitsch, Sigmund Freud oder der Life Ball, wobei zumindest Letzterer nie aus Wien fliehen musste.
Auenhammers Buch zeigt aber auch, warum solche Auflistungen letztlich nicht über den Unterhaltungsaspekt hinausreichen. Die Auswahl ist durch und durch subjektiv und kann es auch gar nicht anders sein. Insgesamt bietet die Liste einen guten Überblick darüber, was es zwischen Wien und Bregenz zu lieben und zu hassen lohnt. Oder – ganz österreichisch – eben irgendetwas dazwischen. Dabei geht der Autor mit seinen Landsleuten nur mäßig ins Gericht und sudert genüsslich auf über 170 Seiten über Dinge, die er im Grunde wohl weitgehend mag. Eigentlich auch typisch Österreich. Sein Buch könnte getrost als Nummer 101 durchgehen.
Gregor Auerhammer »Die Entdeckung Österreichs in 100 Objekten« ist am 1. September im Metroverlag erschienen.