Wenn ein Act überall nur mehr gefeiert wird, stimmt doch etwas nicht. Aber gibt es überhaupt ein Entkommen vor dem Rudeljournalismus?
Mit sozialen Medien bricht das alles auf, niemand muss sich heute mehr vorpredigen lassen, warum eine bestimmte Musik schlecht oder falsch ist, ja, es kehrt sich sogar um. Wenn man den Auftritt eines beliebten EDM-Acts kritsiert, läuft das Netz Sturm. Der Zorn der Justin Bieber-Fans ist legendär. Und so sind Shitstorms heute auch gegen Medien alltäglich.
"Wenn man eine Meinung hat, soll man sie aufschreiben. Die Leser sind oft schlauer als wir denken. Sie können eine Meinung weitgehend als das identifizieren, was sie ist: eine Meinung, die gut oder schlecht gegründet sein kann.", so sieht Vogt einen Lösungsansatz. "Was mich aber nerven würde, ist so eine Erwartungshaltung, dass man als einziger Rufer im Sturm des Konsens dagegen sein möchte – dafür aber auch noch gefeiert werden will", so Linus Volkmann, Musikjournalistveteran, Autor für Intro und viele andere deutschsprachige Musikmagazine. Es ist ein schmaler Grat zwischen Beliebigkeit und Unbeliebtheit.
Die da oben
Dass alle dieselben wohlwollenden Meinungen haben, betrifft aber nicht nur kleinere Musikmagazine und -blogs, die nicht subventioniert werden, sondern auch die Großen. Egal ob FM4, Ö3, Krone-Hit oder Antenne, Kritik wird nur zwischen den Zeilen geäußert. Immerhin gilt es entweder einen Sendeauftrag zu erfüllen oder ein attraktives Werbeumfeld zu bieten. Die Sendezeit ist begrenzt, was nicht gefällt, wird nicht gespielt und fällt unter den Tisch. Nur das Feuilleton – mit Kollektivverträgen aus den guten alten fetten Tagen – schert da manchmal aus.
Dort wird darüber diskutiert, wo Wanda oder Bilderbuch vielleicht falsch liegen. Oder dass sie maßlos überschätzt sind. Dafür hagelt es zwar regelmäßig Stürme der Entrüstung, das Feuilleton hat dennoch seine Stammleser. Und immerhin gibt es international mit Pitchfork, i>The Needle Drop, Stereogum oder Sputnik einige Musik-Plattformen, die sich mit viel Enthusiasmus und einer weltweiten Leserschaft etablieren konnten. Diese feiern nur auffällig oft auch dieselben Alben.
Geld allein macht auch nicht unglücklich
"Momentan ist der Trend, dass es diesen immer gleichförmigeren, etablierten Musikjournalismus gibt", meint Volkmann. "Musikjournalismus hängt nach wie vor am Tropf der großen Acts, der Musikindustrie und dem Kanon. Es ist aber auch zunehmend kein Geld mehr da. Musikjournalismus wird zum Hobby oder Feuilleton-Thema. Musikjournalismus als willfähriger Putzerfisch der Majorlabels ist bald Geschichte."
Denn Musikjournalismus bringt diversen Medien fast kein Geld. Von Promo-MP3s lässt es sich eben nicht leben. "Die Gleichschaltung, die ich die letzten Jahre empfunden habe, ist wirtschaftlichen Umständen geschuldet", so Volkmann. Wohlwollender Artikel gegen Anzeigengeld, selbst das ist heute selten drin. Aber ja, es gibt genug Medien, die sich auf solche Deals einlassen.
Wie also soll man Ja, Panik, Wanda, 5/8erl, Nazar oder gar Bilderbuch nur halbgut finden oder sie kritisieren? Nun, vorerst wird das schwer. Vor Rudeljournalismus wird zwar ständig gewarnt, aber so schnell wird er nicht verschwinden. Wen das nervt, der müsste bereit sein, für anspruchsvolle Texte zu zahlen. Denn nur dann dürfte man sagen, dass das neue Bilderbuch-Album keine neuen Hits drauf hat oder dass es nach Falco und Moneyboy klingt. Ohne dass das Netz komplett ausflippt. Also gewöhn‘ dich besser dran, dass alle Bilderbuch super finden.
Die Langversionen der Interview mit Linus Volkmann und Jonas Vogt zum Thema Rudeljournalismus finden sich hier.