Wenn im Mai Song Contest und Life Ball in Wien sind, muss man die Regenbogenfahne nur einmal kaufen. Wenn es da nicht ein paar Störenfriede in Lederhosen gäbe.
Man fühlt sich fast wie in Venedig, so viele Brücken werden derzeit in Wien gebaut. "Building Bridges" lautet nämlich das derzeit überall herumflatternde Motto des Eurovision Song Contests. Alles Dank Conchita Wurst. 200 Millionen Menschen werden dann vor dem Fernseher sitzen, wenn sich Wien als weltoffene Stadt präsentiert. Eine Woche vorher vergoldet der Life Ball das Rathaus. Auch hier gilt: Es ist das größte Event seiner Art in Europa. Beide Veranstaltungen sind zwar keine exklusiven LGBTQIA-Events – HIV und zweifelhafte Musik gehen alle etwas an -, haben aber ganz besonders ein Auge auf Homo- und Bisexuelle, Transgender, Queers, Inter- und Asexuelle geworfen. Ganz klischeefrei erfreuen sie sich hier sehr hoher Beliebtheit. Vor allem der Song Contest gilt dabei als gutes Abbild der gesellschaftlichen Stimmung und als Gradmesser für Toleranz in den Teilnehmerländern.
Relativ simple Rechnung: Conchita hat nur dort deuze points erhalten, wo LGBTQIA-Rechte relativ weit gediehen sind. Dabei liegt Wien an einer europäischen Bruchlinie. Während wenige Kilometer weiter in Budapest, Bratislava oder Zagreb Schwulenparagraphen verschärft werden, gibt es in Österreich, Tschechien, Slowenien oder Deutschland eingetragene Partnerschaften und eine Kultur der Toleranz. Wien kann sich heuer ganz besonders als Leuchtturm und Hort queerer Kultur präsentieren. Die Stadt versucht das schon lange, Probleme macht da nur die Gesellschaft.
Historische Heteronormativität
Die Griechen hatten ja bekanntlich kein Problem mit zwei Frauen oder zwei Männern, die sich lieben. Die antiken Römer ein wenig. Mit dem Christentum wurde das spätestens anders. Kastration, Enthauptung, Verbrennung waren Strafen für Sodomie und Unzucht. Unter dem Reformer Joseph II. wurde die Todesstrafe für Sodomie zwar als erstes Land weltweit abgeschafft, aber im Gegensatz zu anderen Ländern gab es seit 1852 zusätzlich ein Verbotsgesetz. Dass Erzherzog Ludwig Viktor, Bruder von Kaiser Franz Joseph I., schwul war, war kein Änderungsgrund. Die Hofzensur kehrte seine Sexualität unter den Tisch. Ist ja auch peinlich, so ein schwuler Bruder. Wien entwickelte sich in den 1920er Jahren zum Zentrum der Debatte um Homosexualität, der späte Freud interpretierte sie schon als natürliche Variante der Sexualität. Ein Wiener Übersetzer prägte damals das Wort "homosexual".
Die wichtigste Figur in der Aufhebung des berüchtigten Paragraphen 129Ib war Justizminister Christian Broda. Er vertrat schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg Homosexuelle und boxte 1971 die Straffreiheit auch gegen den Widerstand seiner SPÖ durch. An die Stelle des §129Ib traten einige Sonderparagrafen. Neben Versammlungsverbot, Werbeverbot und Prostitutionsverbot brachten diese auch ein eigenes Schutzalter mit sich, weil man noch immer das Bild des "homosexuellen Kinderverzahrers" vor Augen hatte. Alles unter 18 Jahren war tabu und sogar strafbar, egal wie sehr beide Sex wollten. "Der letzte Paragraph wurde erst 2003 abgeschafft", weiß Andreas Brunner, Leiter des Zentrums QWIEN, sprich: Queen. Geändert wurde er vor zwölf Jahren, weil der Europäische Gerichtshof entschieden hatte, dass die alte Regelung gegen die Menschenrechte verstieß.
Dass Lesben, Schwule und Queers einmal heiraten könnten – seit 2010 gibt es die Eingetragene Partnerschaft – war in den 70ern noch lange nicht vorgesehen. Und eigentlich stellte sich die Frage auch gar nicht. Für Brunner ist sie eine Folge der Aids-Krise, die Mitte der 80er auch Österreich erreichte. Ganz banale Dinge wie einen geliebten Menschen nicht besuchen zu dürfen oder kein Anrecht auf die gemeinsame Wohnung oder das Eigentum zu haben, weil man im Erbrecht nicht vorkommt, führten zu einem Umdenken in der Community, die zuvor eher kein Interesse hatte, die traditionellen Vorstellungen von Familie und Glück zu imitieren. Dazu gehören auch Kinder. Dass diese einen Papa und eine Mama brauchen, weil sie sonst einen an der Waffel haben, wurde heuer vom Verfassungsgerichtshof cirka mit den Worten "wir reden weiter, wenn der Schließmuskel wieder funktioniert, inzwischen dürfen gleichgeschlechtliche Paare Kinder adoptieren" quittiert. Auch wenn es noch einiges zu tun gibt – so werden etwa vor 1971 Bestrafte immer noch als Sexualstraftäter geführt – ist 2015 sicher das beste Jahr aller Zeiten, um in Wien lesbisch, schwul oder transgender zu leben.
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