Unstoppable

Wenn im Mai Song Contest und Life Ball in Wien sind, muss man die Regenbogenfahne nur einmal kaufen. Wenn es da nicht ein paar Störenfriede in Lederhosen gäbe.

Double Income No Kids

Dafür hat die Stadt Wien relativ früh erkannt, dass Lesben, Schwule und Queers nicht nur dem gesellschaftlichen Klima gut tun könnten, sondern sie oft auch mehr Geld haben. Norbert Kettner vom Wien Tourismus schätzt, dass homosexuellen Paaren rund 30 bis 40% mehr für ihre Städtereisen zur Verfügung stehen. Passenderweise gilt Wien als Top-Stadt für besserverdienende Urlauber, dazu gibt es auch ganz konkrete Zahlen. Statistisch ist der homosexuelle Wien-Besucher 34 Jahre alt, genau die Hälfte hat einen Hochschulabschluss, arbeitet zu 37% in einer Führungsposition oder selbständig und gehört zu 47% der Double-Income/No-Kids-Zielgruppe an.

Auch die Interessen sind klar: "Wien spricht das kulturbewusste Publikum an, das die schönen Künste und das Savoir Vivre zu schätzen weiß. Es sind die reiche Geschichte, die beeindruckende Architektur, Style und Design, das kulinarische Angebot und das umfangreiche Kunst- und Kulturleben", nennt Kettner die Hauptgründe für Wien-Besuche. Die Stadt würde sich dadurch stark vom Massentourismus im Gay-&-Lesbian-Bereich distanzieren. Sie versucht es dabei aber tunlichst zu vermeiden, nur Luxus-Destination zu sein. Premium ist das Motto. Im Unterschied zu Städten wie beispielsweise Berlin – das nicht nur wegen des offen schwulen Bürgermeisters Klaus Wowereit als eine der offensten Städte weltweit gilt – wird Wien nicht unbedingt als hippe Partystadt wahrgenommen.

Zwischen Trash und Glamour, Club-U und Rathaus

Wien hätte aber schon längst auch den Ruf als queere Partymetropole verdient. Zwischen Club-U und Rathaus, zwischen Trash und Glamour, zwischen Rhinoplasty und Life Ball spielt Wien mittlerweile alle Stückerl. Traditionell ist das Zentrum von queeren Clubs rund um den Naschmarkt angesiedelt, schon seit dessen Errichtung an heutiger Stelle um 1900. Durch das Verbotsgesetz, das bis zuletzt relativ streng vollzogen wurde, konnten sich kaum sichtbare Communitys bilden.

Als klassische Subkultur traf man sich daher eher um den Naschmarkt. Die Struktur als Großmarkt machte es möglich. Großhändler aus dem Umland trafen auf Detailhändler der anderen Wiener Märkte, Lokale dienten als Versorger, Sperrstunden waren daher kontraproduktiv. In diesem Wirrwarr an Lokalen entstanden subkulturelle und vor allem schwule Communitys. "Wir haben vielfältige Berichte über Lokale, Treffpunkte und Razzien, die in der Naschmarktgegend stattfanden, auch schon vor dem ersten Weltkrieg und in der Zwischenkriegszeit", so Andreas Brunner. Auch heute geht es um den Naschmarkt am meisten und am längsten ab.

Andi G. und die hinterm Mond

So positiv sich viele Entwicklungen auch darstellen mögen, akzeptiert – und eben nicht nur toleriert – sind Nicht-Heteros noch nicht. Homophobie passiert tagtäglich. Egal, ob ein Volks-Rock’n’Roller glaubt, im Feld der Reaktionären fischen zu müssen, der größte Sportverband des Landes eigenmächtig die "Töchter" aus der Bundeshymne streicht oder der Eklat im Café Prückel: Homosexualität und Gleichberechtigungsdebatten eignen sich gerade 2015 hervorragend als politischer Spielball, der laut Andreas Brunner "zu einem Urkampfthema wird, wie etwa zwischen Links und Rechts, zwischen religiös-konservativ und liberal. Wenn man sich in einer bestimmten Richtung positionieren will – vor allem auf konservativer oder reaktionärer Seite – sind Schwule immer gut als Feindbild. Egal, ob in Russland oder auch hier von sämtlichen religiösen Gruppierungen".

Das traditionelle Bild von Männlichkeit wandelt sich ja laufend. Wenn Rollen nicht mehr so funktionieren wie früher, entsteht manchmal Verwirrung im Kopf, vor allem bei Männern, aber auch darüber hinaus. Wenn man versucht, ein paar der klassischen gesellschaftlichen Asymmetrien zu beseitigen, etwa die zwischen Mann und Frau, Hetero- und Homosexuellen, zwischen Arm und Reich, kommen sich manche ausgebootet vor, weil sie nicht dieselben Privilegien genießen können. "Die fühlen sich auf der Verliererseite und reagieren gegen die Öffnung von Geschlechtermodellen ausgesprochen aggressiv", so Brunner. Die fürchten um ihren Kompass, die Homophoben. Im Mai zündet die Stadt große Leuchtfeuer für eine offene Stadt. Dafür, dass die Stadt auch wirklich so wird, müssen wir selbst sorgen.

Der Life Ball findet am 16. Mai statt, der Song Contest gastiert von 18. bis 23. Mai in Wien. Und am 20. Juni zieht dann noch die Regenbogenparade um den Ring.

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