Das Fortuna Kino: eines der letzten Sexkinos Österreichs, aus einer Zeit als Pornografie nicht leicht zugänglich war und als sich gleichzeitig die Medienlandschaft für Kinos weltweit veränderte. Doch wie ist das heutzutage, sich Pornos im Kino anzusehen?
»Wann war ich das letzte Mal in einem Sexkino?«, dachte ich mir, als ich vom Fortuna Kino in Wien erfuhr. Gegründet 1920 von Ferdinand Samen (Zufall, dass der Name die Ausrichtung des Kinos schon vermuten lässt?) war es zunächst ein herkömmliches Kino und wurde dann von 1977 bis heute als Erotikkino weitergeführt. Damit ist es eines der ältesten Kinos in Wien. Auf die einleitende Frage lässt sich übrigens schnell eine Antwort finden: nie. Zugegeben, ich als bisexuelle cis Frau war noch nie an einem solchen Vergnügungsort, aber als medieninteressierter und sexpositiver Mensch packte mich die Neugier. Denn es stand für mich fest, dass das bewegte Bild mit Ton fest mit unserem Lustgewinn verknüpft ist. Es verwunderte mich zunächst nicht, dass das Fortuna Kino das letzte seiner Art in Wien ist. Denn daran, wie Pornografie in unser Leben tritt, hat sich seit den 70er-Jahren viel verändert. Seitdem das Internet Pornografie für uns so einfach zugänglich gemacht hat, braucht es keine designierten Orte des Konsums mehr. Wir können frei auswählen, was wir wann, wo und wie konsumieren wollen.
Historisch verbirgt sich hinter dem Wiener Sexkino allerdings eine durchaus komplexe Geschichte der Repräsentation von Sex im öffentlichen Raum. Lange war die Leitfrage: Was kann man wo sehen? Und damit verknüpft: Was war wo verboten? Seit 1950 gab es nämlich ein Totalverbot in Österreich für den gewinnbringenden Vertrieb von Pornografie in jeglicher Form – so etwa auch auf Papier oder eben als laufende Bilder. Diese Regelung hielt sich bis in die 1960er-Jahre, als es dann sogenannte Fachgeschäfte für Ehehygiene gab. Alles andere waren Grauzonen, denn es musste immer erst definiert werden, was als unsittlich galt. Ab 1971 entschied man sich dann, dass alles, was sozial schädlich sei, auch unsittlich sei. Damals war homosexuelle Prostitution zwar schon nicht mehr verboten, entsprechende Pornografie jedoch weiterhin. Diese wurde erst 2000 vollkommen entkriminalisiert.
Lang lebe das Kino?
Genauso wie sich in der Nachkriegszeit die Rechtslage von Pornografie und Prostitution enorm änderte, wandelte sich auch die Medienwelt. In den 60ern bekamen die Kinos starke Konkurrenz durch das Aufkommen des Fernsehens, in den 70ern dann durch die Etablierung der VHS-Kassette. Es setzte das sogenannte Kinosterben ein, weil viele Menschen sich lieber zu Hause unterhalten ließen, als ins Kino zu gehen. Die rechtliche Lockerung bezüglich Pornografie und die schwierigere Publikumslage für die Kinos brachten vermehrt Spielstätte hervor, die erotische Inhalte in ihr Programm aufnahmen. Auch in Wien öffneten sich einige Kinos für Erotik- oder Pornofilme. Das hatte teilweise weitreichende Effekte auf ganze Bezirke, denn durch dir Demografie des Publikums wurde auch zunehmend Prostitution angezogen. Beispiele für solche Kinos in Wien sind etwa das Lustspieltheater im Prater, das ab 1976 bis zur Schließung 1981 Pornofilme zeigte. Auch das Kino Treffpunkt in Meidling oder das Maxim Kino hielten sich bis in die 1980er-Jahre. Das Schlössl Kino in Margareten und das Währinger Gürtel Kino gab es sogar bis ins neue Jahrtausend. Und eben das Fortuna Kino, das bis heute besteht.
Was für eine Welt würde sich mir also eröffnen, wenn ich diesen verbliebenen Ort aufsuchen würde, um mich erregen zu lassen? Ich sah mich schon als Erika Kohut in Michael Hanekes Verfilmung der »Klavierspielerin« in beschämter und perverser Faszination in einer einsamen Kabine durch ein Guckloch starren, nur um letztlich heteronormative Pornos, die es zuhauf auch im Internet gäbe, zu sehen. Diese Vorstellung machte mir dann doch etwas Angst, und um mich nicht ganz in diesem traurigen, sex-unterdrückenden Bild von Wien zu verlieren, entschloss ich mich, eine Begleitung für meine Safari in die vom Aussterben bedrohte Spielstätte zu erbitten. Ein Freund sollte mitkommen.
Auf ins Kino!
So machen wir uns an einem Freitagabend auf in den zehnten Bezirk, wo das Kino die Zeit bisher überstanden hat. Dort angekommen bestätigt uns die Außenwand des Fortuna Kinos, dass es sich um eines der ältesten Kinos in Wien handelt, und behauptet, dass es jede Woche »neue hochwertige Filme« zu sehen gebe. Wir betreten das Kino und kommen in einem langen Vestibül an, um dann mit einer freundlichen Dame am Buffet zu sprechen. Sie informiert uns, dass wir als Paar zu zahlen haben und dass wir unsere Mäntel in abschließbaren Kästen vor dem Kinosaal abgeben können, Getränke und Snacks gäbe es bei ihr auch zu kaufen.
In diesem Moment sehe ich mich zum ersten Mal wirklich um. Das Licht im Raum ist gedimmt und die Einrichtung wirkt etwas altmodisch, passend zu den in die Jahre gekommenen Spielautomaten in der Ecke. Auf der Bank vis-à-vis vom Buffet sitzen die anderen Besucher*innen: ergraute Herren und einige etwas jüngere Frauen. Weil mich die Kassiererin darauf aufmerksam machte, dass man auch Geschlechtsverkehr im Kinosaal haben dürfe, und dabei mit einer Handbewegung auf die »Mädchen« verwies, schätze ich sie als Sexarbeiter*innen ein. Zu diesem Zeitpunkt realisiere ich, wie ich an diesem Ort wirke. Um es abzukürzen: Ich und mein Freund sehen wohl aus wie zwei Twinks, wie zwei Paradiesvögel, die eigentlich zum Porn Film Festival wollten, sich jedoch im Termin vertan haben. Deswegen wahrscheinlich auch die uns zugeworfenen schrägen Blicke.
Als wir uns dann schnurstracks auf den Weg in den Kinosaal machen, sehen wir zum ersten Mal, welcher Film eigentlich läuft. Wir setzen uns in die erste Reihe und werden zu Zuschauenden eines offensichtlich sehr günstig produzierten amateurhaften heteronormativen Pornofilms mit einer ausgefeilten Handlung rund um die Renovierung eines Wohnzimmers und wie man alternative Zahlungsmethoden – Spoiler: Sex – geltend machen könnte. Diese Parodie eines Pornos präsentiert zu bekommen, enttäuscht mich etwas, jedoch scheinen die anderen Besucher*innen die Vorstellung zu genießen, denn es sind im Hintergrund einige zugange. Was dort genau passiert, kann ich leider nicht sagen, denn ich habe das Gefühl, dass zu offensichtliches Starren zuwider der Kinoetikette wäre. Wir verweilen in der ersten Reihe und versuchen, der Handlung des Films zu folgen, als sich ein Besucher von hinten an uns heranschleicht und höflich fragt, ob er eine Reihe hinter uns Platz nehmen darf. Wir fühlen uns etwas bedrängt und haben das Gefühl, in eine Welt geraten zu sein, die ein strenges Korsett hat und nicht viel Platz für Ungewöhnliches oder Neues lässt.
Mein Besuch im Fortuna Kino war wenig erregend, sondern eher enttäuschend, was sicherlich an meinen zu hohen Erwartungen lag. Insgesamt fühlten wir uns als Besucher*innen willkommen, jedoch war uns schnell klar, dass wir keinen Platz finden werden in einem Kino, das schon immer für eine männliche Sexualität gemacht war. Für mich sollte ein Sexkino vielmehr ein Ort der Freiheit und der Fantasie sein. Das mag etwas pathetisch klingen, jedoch ist die Realität von Pornografiekonsum so weit weg von Freiheit und Fantasie, dass es kaum eine andere Möglichkeit gibt als Pathos, um sich eine andere Form vorzustellen. In einem idealen Kino gäbe es Filme mit erotischen Inhalten aus allen Dekaden der Filmgeschichte, vom amateurhaften 20er-Jahre-Stummfilm über genreexperimentellen Sexfilm der 70er-Jahre bis hin zu queeren, inklusiven Pornos der Gegenwart.
Gemeinsame Erregung
Das Kino befindet sich ganz allgemein in einer zunehmend prekären Lage. Es ist ohnehin schwer genug, Menschen gemeinsam in einen Kinosaal zu bekommen. Umso mehr, wenn es darum geht, sich kollektiv mit Sex zu beschäftigen. Ich würde mir zumindest wünschen, dass es mehr Offenheit gibt, sich mit einem alten Konzept wie Kino als Vorführort von Sexualität zu beschäftigen. Das schließt sicherlich auch die bestehenden Kinos ein, sich gegenüber pornografischen Inhalten zu öffnen. Zumindest gibt es seit einigen Jahren in Wien das Porn Film Festival, bei dem sogar das Fortuna Kino zuweilen als Spielort herhalten darf. Außerhalb dessen wirkt das kleine Lichtspielhaus in Favoriten wie aus der Zeit gefallen und ist nur noch auf eine sehr bestimmte Zielgruppe zugeschnitten. Dabei könnten Kinos viel mehr in der Auseinandersetzung mit Sex bieten. Das weiß jeder, der sich schon einmal mit einer Menge fremder Menschen einen erotischen Film angesehen hat. Der Moment des eigenen Erregtseins vervielfacht sich nämlich, wenn man spürt, dass es anderen genauso geht. Dafür muss man sich nicht einmal ansehen oder berühren. Das Kino ermöglicht als Ort genau dieses gemeinsame Erleben.
Das Fortuna Kino in Wien-Favoriten hat täglich von 12 bis 22 Uhr geöffnet. Das nächste Porn Film Festival findet von 10. bis 15. April 2025 statt.