Nah an der Rasierklinge gebaut

Nach eher langer Pause brilliert Wiens Vorzeigebarde auf zwei Alben, vor allem mit dem folkigeren „Bäume“. Aber auch das poprockige „Träume“ hat seine wunderbaren Momente.

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Als der Nino aus Wien letztes Silvester im Rahmen der Präsentation seiner Auftragsarbeit fürs Jasmin Baumgartners Film „I See A Darkness“ – in der er mit dem wundervollen Cover des gleichnamigen Bonnie „Prince“ Billy-Evergreens nicht nur seine herausragenden Fähigkeiten unter Beweis stellte, sondern auch zeigte, dass eine gute Neuinterpretation auch immer einen guten Ausgangssong braucht – via Social Media gleich zwei neue Alben ankündigte, war die Aufregung groß. Der Jahreswechsel wurde also auch ohne die Silvester-üblichen pseudoromantischen Verwicklungen zu einer Herzklopf-Sache.

Late-Night-Liebesbekundungen

Zur anfänglichen Freude mischte sich trotz der für Nino-Verhältnisse längeren Pause seit dem im November erschienen Vorgängeralbum „Bulbureal“ auch eine kleine Portion Skepsis: Zu groß war der Output seit dem wirklich wunderbaren Erstling „The Ocelot Show“ aus dem Spätdezember 2008, vier Alben in nicht einmal ebenso vielen Jahren haben die letzten beiden etwas an Konsequenz und Brillanz abhandenkommen lassen. Natürlich, gemeinsam mit dem fantastischen „Down in Albern“ hat es der Nino geschafft, innerhalb kürzester Zeit so viele Leben neu zu definieren und so viele seiner Zeile in ebenso viele Gedächtnisse zu zementieren. Endlich war da wieder einer, dessen Lieder und Konzerte die rare Fähigkeit hatten, alles und jeden – damit sind auch ehemalige Schmusis gemeint – stehen und liegen zu lassen und sich ganz der Musik hinzugeben. Ein Soundtrack für die verlorenen Seelen, die Heisltschik, für betrunken-emotionale Nachtbusfahrten an den Stadtrand, für bedeutungsschwangere Late-Night-Facebook-Liebesbekundungen, für Pre und Post Shakey Time Sadness.

„Schwunder“ – bis dahin das kommerziell erfolgreichste Album – und „Bulbureal“ konnten die zu Recht riesigen Erwartungen der Nino-Connaisseure nicht ganz erfüllen, die Öffentlichkeit zeigte sich mit insgesamt vier Amadeus-Nominierungen für die beiden LPs wohl zufrieden, so richtig wollte der Funke jedoch nicht überspringen. Zu sehr traten die immer schon vorhandenen Band-Elemente hervor, statt darken Anti-Folk-Elegien gab es vermehrt Feedback-Orgien, Poprock und Radiohits.

Ein Wien-Album

Die beiden neuen Schmuckstücke, die da „Bäume“ und „Träume“ heißen, teilen sich praktischerweise in diese beiden Stühle, auf denen der freundliche Herr Mandl mit seiner Kombo seit jeher sitzt, auf, sind wie zweieiige Zwillinge: So orientiert sich das dezidierte Wien-Album „Bäume“ lyrisch, musikalisch und überhaupt an den frühen Werken, an den langen Hymnen an die Traurigkeit, an das Anderssein, an das Überleben in der Großstadt und nimmt tiefe Atemzüge der Atmosphäre von Fan-Lieblingen wie „Es geht immer um’s Vollenden“ oder „Unknown Life Song“. In Oslip unter der Regie von Thomas Pronai aufgenommen, werden in „Bäume“ – getragen von spärlicher Instrumentierung – Alltagswahrhaftigkeiten mit lyrischer Brillanz in den Raum geworfen, die dem in der Vergangenheit oftmals geäußerten Vorwurf, es würde um gar nichts gehen, in ya face rotzen. Diesmal geht es um alles. Garniert mit Weltsongs wie „Davids Schlafplatz“, „Jena“ – das, im Rahmen der letzten Tour geschrieben, den Zeitpunkt, an dem einem alles am Arsch geht, beschreibt – und dem Titelstück, dass wohl sehr bald die Schlussnummer jedes romantisch-verklärten Mixtapes sein wird und sollte, ist „Bäume“ tatsächlich das bis dato beste Der Nino aus Wien-Album. Das sagt sogar Ernst Molden, seit Tag und Jahr Fan und Förderer. Und dem sollte man prinzipiell alles glauben.

Ein Band-Album

Das separat erhältliche „Träume“ wurde von Stammproduzent Patrick Sischka in der alten Bandheimat down in Albern aufgenommen und präsentiert sich auch mehr als Bandalbum, schließt also eher an die Alben drei und vier an. Das angesprochene und höchstsympathische Publikum aus depressiven Heisltschik spricht „Träume“ dadurch nur mehr in Ansätzen an, die Markenzeichen gewordene lyrische Abgrund-Exaltiertheit findet man nur mehr vereinzelt, vorzugsweise in den besten Songs wie „Anna Maria Morett“, „Grant“ und „Die Hütte vor dem Haus“, die allesamt – zumindest textlich – auch auf „Bäume“ Platz finden hätten können. Die anderen Stücke sind vom Zusammenspiel der Band jedoch mit die besten der Nino-Geschichte, poprockige Hits wie die erste Single „Diese Person ist cool“ und auch die Schlussnummer „Fantasy Dreamz“, die von der „fiktiven Band“ „Fantasy Dream“ aufgeführt wird, wären so vor drei, vier Jahren wohl noch undenkbar gewesen. Insgesamt gehen auf „Träume“ jedoch die liebgewonnen Nino-Trademarks ein bisschen verloren. Was schade ist.

Aber Kopf hoch: Am besten beide Alben kaufen, beide Alben hören und selbst entscheiden. Bei „Bäume“ zahlt es sich auf jeden Fall aus, bei „Träume“, naja, da eigentlich auch.

Und weil wir jetzt ja alle Songcontest sind, sollte man der Hoffnung von Armin Wolf, der den Nino als nächsten heimischen Teilnehmer am ESC vorschlägt, nachkommen. Da kann Österreich zeigen, wer oder was ist wirklich ist.

„Bäume“ und „Träume“ erscheinen am 16. Mai 2014 via Problembär Records. In der neuen, radiant orchid farbenen Ausgabe von The Gap, haben wir die Alben mit neun beziehungsweise sechs von zehn Punkten bewertet. Natürlich gibt es auch eine ausschweifende Tour, mit Österreich-Terminen in Wien, St. Pölten, Steyr, Waidhofen, Innsbruck, Graz, Salzburg und nochmals Wien.

Bild(er) © Problembär Records (x3), Michael Breyer
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