Aaron Dessner von The National über das neue Album „High Violet“, ungewöhnliche Live-Auftritte und seine außergewöhnlichen Berufswünsche.
Im Vorfeld der Veröffentlichung des neuen Albums „High Violet“, telefonierte Barbara Schellner mit Aaron Dessner, Gitarrist von The National, in seinem sonnigen Hintergarten in Brooklyn, New York.
Wie geht ihr als Band an ein neues Album heran? Kommt ein Bandmitglied und sagt, ich habe da ein paar Ideen?
Es beginnt einfach mit Musik, mein Bruder (Anm. der Redaktion: Bryce Dessner, auch Gitarrist von The National) und ich schreiben dauernd an irgendetwas, da gibt es lang noch keine Texte, einfach nur Melodien auf der Gitarre oder dem Klavier. Daraus entstehen dann circa 60 oder 70 Songfragmente, die ich an unseren Sänger Matt schicke. Die hört er sich dann ständig an und überlegt, womit er textlich arbeiten könnte. Da bleiben dann so 20 oder 25 Songs übrig und an denen arbeiten wir dann als Band oder jeder für sich, wie Matt das gerne macht. Er schreibt einfach so viele Texte, genug für ein ganzes Buch. Das dauert alles sehr lange, aber irgendwann beginnen wir diese ganzen Fragmente zu so etwas wie einen Song zusammenzuführen. Da gibt es aber noch immer keine wirklichen Texte. Wenn wir schon am finalen Arrangieren der Songs sind, kommt Matt dazu und singt eine Melodie.
Von der ersten Recordingsession, bis zum fertigen Song, kann das bis zu einem Jahr dauern. Das ist so das Grundprinzip, aber natürlich fangen wir oft wieder von Neuem an oder verwerfen Ideen wieder. Der ganze Prozess ist einfach kompliziert, wir machen natürlich auch nur Rocksongs, aber wir versuchen mit komplexen Arrangements mehr herauszuholen und das kann dauern.
Wie lange habt ihr dann wirklich bis zur Fertigstellung von „High Violet“ gebraucht?
Insgesamt sicher 2 Jahre, aber das Aufnehmen alleine hat 15 Monate gedauert.
Ich habe in einem Interview gelesen, dass euer Studio hinter deinem Haus ist? Kannst du dann überhaupt irgendwann abschalten?
Ja, das Studio ist in der umgebauten Garage hinter meinem Haus. Ich sitze gerade davor, in meinem Garten. Aber wirklich abschalten kann ich nicht, wenn wir gerade aufnehmen. Vor allem weil ich die treibende Kraft in der Band bin. Ich spiele mich einfach gerne mit Ideen, egal um welche Uhrzeit. Sozialleben habe ich während den Aufnahmen keines.
Was macht denn das neue Album für dich aus? Ist es mit dem Vorgänger „Boxer“ zu vergleichen?
Für mich sind die beiden Alben total unterschiedlich. „High Violet“ ist viel zwangloser, aber textlich ernsthafter und tiefgründiger. Wir wollten etwas Lustiges und Leichteres machen. Ich glaube, dass ist uns auch mit der Musik gelungen. Das neue Album ist laut, roh und spezieller geworden. Sicherlich auch, weil wir es im Gegensatz zu „Boxer“ in unserem eigenen Studio aufgenommen haben. Der Sound ist noch immer sehr gut, aber einfach ein bisschen mehr Low-Fi. Auch Matts Stimme ist viel intensiver geworden, er nutzt sein ganzes Potential. Der größte Unterschied ist aber sicher, dass sich die Songs diesmal an den Gitarren orientieren. Wir zupfen die Gitarren jetzt nicht, wir spielen sie. Bei „Boxer“ standen die Drums im Vordergrund, jetzt halt ein bisschen mehr die rohen Gitarren. „High Violet“ ist einfach mehr Rock’n’Roll. Wir wollten definitiv etwas ganz anderes als „Boxer“ machen.
„Bloodbuzz Ohio“ gab es vorab als gratis Download auf eurer Homepage, wolltet ihr das Songmaterial testen? Oder illegale Downloads verhindern?
Nachdem die BBC in England das Lied gespielt hat, war eine schreckliche Version davon im Internet im Umlauf, deshalb haben wir es gleich auf die Homepage gestellt. Unser Label hat „Bloodbuzz Ohio“ auch als erste Single bezeichnet, für uns ist es aber gar nicht der beste Song, aber er klingt am meisten nach uns. Ich habe aber auch kein Problem mit illegalen Downloads. Aber wenn einem die Musik wirklich gefällt, sollte man dann doch das Album kaufen.
Allerdings glaube ich auch, dass Musiker stark davon profitieren, denn der Bekanntheitsgrad steigt automatisch. Zum Beispiel Österreich: Wir verkaufen hier kaum Platten, aber jedes Mal wenn wir in Wien waren, sind wahnsinnig viele Menschen zu unseren Konzerten gekommen. Das gleiche passiert uns auch in Portugal, da spielen wir immer als Headliner auf großen Festivals. Platten verkaufen wir aber dort auch kaum.
Ihr geht jetzt bald auf Tour, wie viel Einfluss habt ihr darauf, wo ihr spielt?
Wir suchen uns die Locations eigentlich immer selber aus. Wir spielen gerne an interessante Orten, zum Beispiel am Musiksommer Dachau, wo wir schon einmal 2008 aufgetreten sind. Es hat einfach eine ganz spezielle Bedeutung, wenige Meter entfernt von einem ehemaligen Konzentrationslager zu spielen. Außerdem vergessen die Leute auch gerne, wie schön die Stadt Dachau ist. Das Konzert war großartig, also spielen wir heuer wieder. Die Tour dieses Jahr ist zwar lange, aber immer mit genügend Unterbrechungen. Ich glaube sogar, dass wir im August in Österreich spielen, aber sicher bin ich mir nicht.
Was war euer schlimmster Auftritt?
Wir hätten in einem Einkaufszentrum in Orange County, Kalifornien spielen sollen. Aber niemand ist gekommen, also sollten wir erst gar nicht auftreten. Aus Mitleid hat dann das Mädchen an der Tür eine Platte gekauft. Aber wir hatten auch ganz furchtbare Auftritte in England, wo wir des öfteren fast verprügelt wurden. Einmal mussten wir bei einem Studentenfest nach lauter Metalbands spielen, da haben sie uns fast gelyncht.
Zusätzlich zu The National hast du ja noch unzählige andere Projekte, an welchem arbeitest du gerade?
Mein Bruder und ich machen ständig irgendetwas mit Musik. Während den Aufnahmen zu „High Violet“ haben wir auch den Sampler „Dark was the Night“ zusammengestellt. Im Moment bin ich mit dem Musikprojekt „The Long Count“ an der Brooklyn Academy of Music, gemeinsam mit Mitgliedern von den Breeders, beschäftigt. Das geht in Richtung Klassik, sehr progressiv und experimentell. Da kommt dann auch eine Platte heraus. Aber The National ist natürlich im Moment meine Hauptbeschäftigung.
Wo siehst du dich den eigentlich in 10 Jahren? Kannst du dir ein Leben ohne Musik überhaupt vorstellen?
Wir haben ja alle vorher studiert oder gearbeitet. Bevor das mit The National losgegangen ist, hatten wir alle normale Jobs. Wir sind keine richtigen Rockstars, eher echte Langweiler, die einfach gerne Musik machen. Mit The National möchte ich weitermachen, solange es geht. Aber sicher auch noch etwas anderes. Ich würde zum Beispiel gerne Lehrer werden. Oder Fußballtrainer, ich war immer schon ein guter Fußballspieler.
"High Violet" von The National erscheint am 7. Mai 2010 via 4AD.