Das Gamifizierte Theater »Vienna – All Tomorrows« versetzt seine BesucherInnen in ein Wien im Jahr 2023, in dem Häupl als Cyborg regiert, die EU für ÖsterreicherInnen (und WienerInnen) irrelevant wird und drei Fraktionen – Autoritäre, Humanisten und Technokraten – um die WählerInnen buhlen. Gelenkt wird das interaktive Theaterstück von neun Spielerinnen auf der Bühne des Volx Margareten.
Gameifiziertes Theater könnte man „Vienna – All Tomorrows“ nennen. Das Projekt erforscht eine dystopische politische Zukunft, in der die Teilnehmerinnen selbst bestimmen, wie es mit der Stadt weitergehen soll. Eingeteilt in drei Fraktionen mit jeweils drei Spielerinnen müssen sie mit einem Tablet in der Hand die interaktive Wien-Karte am Bühnenboden abgehen. Via Augmented Reality baut sich das futuristische Wien auf dem Tabletscreen vor ihnen auf. Videobeiträge vermitteln zwischendurch immer wieder ein Gefühl davon, was in Wien und der Welt passiert.
Machtspiel mit festgefahrenen Ideologien
Das Spielprinzip bleibt dabei recht simpel, birgt aber einiges an Konfliktpotenzial. Die Spielerinnen müssen anhand von Multiple-Choice Fragen auf Ereignisse reagieren und die Interessen ihrer Fraktion im neuen Wiener Machtgefüge verteidigen. Dabei teilen sich die etwa 60 Minuten Spieldauer in lokale und globale Ereignisse auf. Während sich die Spielerinnen innerhalb der Stadt von Entscheidung zu Entscheidung hangeln, müssen sie auch auf Großereignisse reagieren, auf die sie keinen Einfluss haben: Kriege in Nahost oder explodierte Kernreaktoren fordern immer wieder das politische Geschick der Teilnehmerinnen heraus.
„Wir befinden uns schon politisch gerade in Mitteleuropa in der Kippe“, erklärt Projektleiter Georg Hobmeier die Idee hinter „Vienna – All Tomorrows“. Positionieren will er sich mit dem Stück jedoch nicht: „Unterschiedliche Ideologien zerren an der Gesellschaft und wir beziehen auch als Autoren nicht unbedingt Stellung. Wir bevorzugen eine Ideologie nicht gegenüber einer anderen, sondern wir nehmen alles mit schwarzem Humor. Wir sehen alle Fraktionen kritisch und uns geht es eher darum zu zeigen, wie sich das jahrzehntelange Weiterverfolgen von gewissen Ideologien auswirken kann.“
Black Mirror auf der Bühne
Ganz so weit von der Realität ist das dystopische Wien dabei gar nicht. Malte Andritter, Theaterpädagoge und Teilnehmer eines Probedurchlaufs teilt seine Erfahrungen: „Viele Ereignisse sind schon sehr nah dran an der Realität und das hat mich erschreckt. Zum Beispiel das Social Credit System, das in China ausprobiert wird: Man wird getrackt, beispielsweise wenn man bei Rot über die Ampel geht, und das hat dann Auswirkungen auf den ‚Lebensscore‘. Das hat mich alles sehr an die Serie Black Mirror erinnert.“ Die Black Mirror Folge ‚Nosedive‘ hat bereits 2016 die Folgen eines öffentlichen Social Credit Systems untersucht. Hier hatte sich der persönliche Score nicht mehr nur auf die Kreditwürdigkeit oder Reiseerlaubnis ausgewirkt, sondern auch auf zwischenmenschliche Beziehungen: Wer mit Menschen verkehrt, die einen niedrigen Score haben, dann wird man selbst abgewertet. Ein System, das so ähnlich aktuell in der Volksrepublik China getestet wird. Hier wirken sich die persönlichen Scores auch auf Familie und Freunde aus.
So richtig können Teilnehmerinnen nicht wissen, was sie erwartet bei „Vienna – All Tomorrows“, dafür ist man unvoreingenommen. Vielleicht wird man Teil einer Fraktion, deren Ansichten man persönlich nachvollziehen kann. Vielleicht muss man aber ein bisschen schauspielerisches Talent ausgraben und Argumente vorbringen, die man so gar nicht vertreten kann. Für Georg Hobmeier ist die Interaktion zwischen den Teilnehmerinnen das Wichtigste: „Ich wünsche mir bei einem Spieldurchlauf die richtige Mischung aus Kommunikation und am Ball bleiben. Das Spiel soll einen Sog entwickeln. Die Spielfläche mit der Wienkarte ist riesig und die Spielumgebung sehr immersiv, dadurch entsteht eine richtige Game-Theater Bewegung.“
Politik-Crashkurs
Tatsächlich ist die Gruppendynamik mit jeder Runde verschieden, je nachdem welche neun Persönlichkeiten miteinander interagieren müssen. Wer nur den schnellen Sieg will, ohne sich wirklich mit der Thematik auseinanderzusetzen, klickt sich einfach schnell durch die Aufgaben – hat dann aber möglicherweise das Thema verfehlt. Wer jede Frage ausdiskutiert und nur schwer zu Entscheidungen kommt, hat wiederum viel richtiggemacht, hinkt aber dem Weltgeschehen hinterher. Vorgaben gibt es keine, jede Fraktion ist für sich selbst verantwortlich. Die 60 Minuten waren für Malte eine Art Politik-Crashkurs: „Ich hatte das Gefühl, dass ich ein bisschen verstanden habe, wie Politik funktioniert. Es gab auch Entscheidungen, bei denen man nicht klar wusste, wie sie sich auf die Bevölkerung auswirken und wie sie angenommen werden. Man hat auch meistens die Spätfolgen von Entscheidungen nicht im Blick.“ Dass man für Entscheidungen, die man scheinbar richtig getroffen hat, nicht immer belohnt wird, ist zwar frustrierend – aber eben auch ein Stück Realität. „Vienna – All Tomorrows“ ist weniger darauf ausgelegt, für alle eine befriedigende Spielerfahrungen zu bieten, sondern will langfristig Denkanstöße geben: „Es können auch bei uns autoritäre, chinesische Verhältnisse entstehen, wenn man 2023 sagt: Jetzt wollen wir mal ein Heimatministerium. Und 2048 haben wir dann alle den Kontrollchip eingebaut.“
„Vienna – All Tomorrows“ wurde von Georg Hobmeier in Kollaboration mit Causa Creations, dem Kulturprojekt Gold Extra, sowie den Musikern von Wobblersound und Designer Clemens Scott für das Volkstheater Wien konzipiert. Gespielt wird auf der Bühne des Volx/Margareten, die Premiere fand am 25.05. statt. Weitere Termine gibt es im Mai und Juni. Pro Spieltag gibt es mehrere Durchläufe für jeweils 3 Kleingruppen à 3 Personen.