Von Schwestern und Städterinnen – »Civitas Cunt« im Dschungel Wien

Wie sollte eine Stadt im idealen Fall aussehen? Große Wolkenkratzer, viele Parks oder doch vielleicht in Form einer Vulva? In einer feministischen Performance wird der Frage nachgegangen, wie wir wohnen wollen und wer da eigentlich wohnt.

© Johanna Saxen

In einem sehr kleinen Haus wohnt eine sehr kleine Frau. Wir sind irgendwo zwischen Mittelalter und Heute, in einem Zimmer mit Büchern. Diese Bücher sind alle von Männern geschrieben und Häuser wie Städte sind alle von Männern gebaut. Diese sehr kleine Frau (es handelt sich um Christine de Pizan) schreibt an einem Buch über die Stadt der Frauen. Da erscheinen ihr wie aus dem Nichts drei Frauen. Sehr unterschiedliche Frauen: eine unerkannte Erfinderin, eine alleinerziehende Girlbossin und eine ihr helfende Naildesignerin. Sie versprechen ihr als feenhafte Schwestern zur Seite zu stehen und wollen den Weg in eine bessere Welt weisen.

»Civitas Cunt« ist eine Koproduktion mit dem Kulturverein Schaumburg Österreich sowie dem Schweizer Verein für darstellende und bildende Künste. Im Gepäck haben die beiden Performer*innen Chantal Dubs und Petra Schnakenberg gleichermaßen detaillierte wie grazile Architekturmodelle mitgebracht, die auf der Bühne stehen und nacheinander bespielt werden. Dabei fallen die beiden Performerinnen in identen Hosenanzügen zunächst in den Hintergrund. Sie bewegen die Figuren und Miniaturbühnen, welche sie per Kamera vergrößert auf die Leinwand projizieren. Die Stimmen der Figuren kommen dabei aus dem Off. Kurz stellt sich die Frage, ob sie gar nur Puppenspielerinnen sind.

Ihr erster Spielort ist das Haus von Mary B. Kenner, Erfinderin des Menstruationsgürtels und PoC. Zu Lebzeiten hat sie es nie zu Ruhm gebracht, da weiße Männer keine Geschäfte mit ihr machen wollten. Professionelle Erzähler*innenstimmen kommentieren das alles – von Geburt bis Lebensende – aus dem Off. Nach einer Weile fühlt es sich wie ein kontextreiches Youtube-Video an.

»Civitas Cunt« (Bild: Johanna Saxen)

Kinder großziehen in Phallus-Städten

Nächster Stopp: eine Stadt namens Missouri – oder doch eher Misery? Graue Hochhäuser wachsen aus der Betonlandschaft, viele Penisbauten auf kleiner Fläche. Zwischen den Häuserschluchten begrüßt uns Chantal Dubs im Slick-Back-Look als übergroßer Bürgermeister einer Stadt, die laut ebendiesem Bürgermeister – zugleich ein mächtiger Firmenchef –  für arbeitende Frauen und Männer sei.

Mit übertriebenen Grimassen und raubtierhafter Energie umrundet Dubs das Stadtmodell und die Fassade des feministischen Frimenchefs wird zunehmend ruiniert. Kollegin Petra Schnakenberg fungiert als hartnäckige Journalistin und führt mit ihrem Handy durch die Straßen und Plätze dieser kleinen Stadt. Aus dem Off erklingen Stimmen von Städter*innen, mit Gedanken zu Themen wie Gender-Data-Gap, Feminismus und Sicherheit in der Stadt. Die Antworten sorgen im Publikum mal für Schmunzeln, mal für herzhaftes Lachen.

In einem anderen Viertel dieser Stadt, wohnen besagte Girlbossin Zaza und Naildesignerin Quin Ling. Gemeinsam leben sie in einer Art platonischer Familie und ziehen Zazas Tochter groß, deren Vater die Familie verlassen hat. Girlbossin Zaza arbeitet nebenbei auch noch Vollzeit. Auch in dieser Episode arbeiten die beiden Performerinnen feinmotorisch aber verlieren sich manchmal zwischen Modell-Nagelsalon und Modell-Beige-Baby-Store in erzählerischen Nebensträngen. Der Blick bleibt auf die Leinwand gerichtet, auf der die Liveübertragung zu sehen ist.

»Civitas Cunt« (Bild: Johanna Saxen)

Weiblich geplante Infrastruktur

In einem haarigen Intermedium berichtet Petra Schnakenberg – sie trägt einen wunderschönen Badeanzug mit bunten korallenartigen Verflechtungen um den Schambereich – von ihrer ersten Gruppenduscherfahrung und ihrem »Busch«, für den sie sich mittlerweile nicht mehr schäme. Womit wir auch beim Ziel der Rundfahrt angekommen sind.

Anfangs noch im hinteren Bereich der Bühne verortet, kommt es jetzt ins Rampenlicht. Ein farbenfrohes Modell, mit Teich in der Mitte. Es ist eine Stadt, die von oben betrachtet, einer Vulva gleicht. Würde so eine Stadt aussehen, wenn sich die Frauen nicht immer an alles anpassen und mit allem abfinden müssten? Wenn Frauen in einer Stadt leben könnten, die von einer Frau geplant und gebaut ist? In der Vulva-Stadt ist die Infrastruktur konsequent auf weibliche Bedürfnisse ausgerichtet – ohne dabei die Lebensqualität der Männer zu mindern.

Im Maßstab 1:50 haben die beiden Performerinnen diese Städte gebaut und mit vielen Figuren sowie Geschichten erwecken sie sie zum Leben. Kreativ und humorvoll werden Gestaltungselemente miteinander verwoben, mit Vape als Nebelmaschine und Gießkanne als Regenwolke. Da ist vieles gut durchdacht. Doch der Kleber, der die verschiedenen medialen Ebenen und Erzählungen zusammenhält, wird zunehmend brüchig und was aus der Frau geworden ist, die da allein in ihrem Zimmer mit Büchern von Männern steht, bleibt vage.

Nach der Vorstellung gibt es großen und langanhaltenden Applaus woraufhin das Publikum eingeladen wird, sich die Modelle doch aus der Nähe – bitte nicht berühren – anzusehen, denn die Vulva-Stadt ist noch nicht im realen Maßstab verwirklicht. Sie bleibt Utopie. Die Aufforderung ist klar: Städterinnen, Schwestern vereint euch! Die beste Methode gegen das Patriarchat ist die weibliche Freundschaft, die gemeinsame Sache. Eine Stadt, für die Frauen, die in ihr wohnen.

»Civitas Cunt« (Bild: Johanna Saxen)

»Civitas Cunt« war von 15. bis 19. März 2025 im Rahmen des SLUP Festivals im Dschungel Wien zu sehen.

Dieser Text ist im Rahmen eines Schreibstipendiums in Kooperation mit dem Dschungel Wien entstanden.

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