Österreich steht zwischen Bundespräsidenten- und Nationalratswahl, und das Verhältnis von Populärkultur und Politik ist immer noch schwierig. Zeit für eine Bestandsaufnahme.
Vor etwas mehr als einem halben Jahr ging ein kollektives Aufatmen durch die österreichische Kulturszene. Im Dezember 2016 besiegte Alexander Van der Bellen Norbert Hofer, seinen Konkurrenten um das Amt des Bundespräsidenten, im finalen zweiten Wahlgang mit 53,79 Prozent. Ein Sieg, den »die Zivilgesellschaft« für sich reklamierte. Überall im Land waren Menschen gerannt, hatten ihre Positionen in den sozialen Netzwerken dargelegt und ihre Großmütter überzeugt. Und auch Teile der Musikszene hatten sich ins Zeug gelegt. Von Wahlaufrufen von Clara Luzia oder Nazar (»Brudi VdB«) über semi-selbstorganisierte »Presidential Raves« der Wiener Clubszene bis zum Auftritt von Skero und 5/8erl in Ehr’n bei »Stimmen für Van der Bellen« im Konzerthaus und Fendrichs Freigabe von »I am from Austria« für eine Kampagne hatte sich eine breite Front aus Musikern für den ehemaligen Chef der Grünen starkgemacht. Das war auch deren Sieg. Zumindest ein bisschen.
Nicht immer ist das Verhältnis von Politik und Populärkultur so einfach. Im Grunde wird es bis heute immer wieder neu verhandelt. Zahlreiche Wissenschaftler, insbesondere aus den Subcultural Studies, haben in den letzten 35 Jahren versucht, es endgültig zu entwirren. Doch immer wenn Kulturtheoretiker wie Dick Hebdige oder Stuart Hall gerade damit fertig waren, Jugendkulturen und ihre Codes eindimensional politisch aufzuladen, kamen Leute wie Steve Redhead oder Sarah Thornton daher und zeigten überzeugend auf, dass es so einfach vielleicht nicht ist.
Viele politische Kampagnen bedienen sich popkultureller Ästhetik, gerade wenn sie junge Wähler ansprechen wollen. Das ikonische »CHANGE«-Poster von Barack Obama ist ein prototypisches Beispiel. Genau wie Celebrity Endorsements oder Polit-Auftritte auf Konzerten (wie Jeremy Corbyn auf dem Glastonbury vor ein paar Wochen) kann das, wenn die Ansprache authentisch und dezent geschieht, sehr gut funktionieren. Die Fallhöhe ist allerdings immens. In den schlechteren Fällen ist es ein bisschen so, als würde der eigene Onkel plötzlich in zerschnittenen Jeans in die Wohnung stürmen und »Ich bin motiviert vong Party her« jaulen. Das Beispiel ist übrigens gar nicht so weit hergeholt: Als die Neos letztes Jahr darüber nachdachten, die Wahl in der Leopoldstadt anzufechten, hängten sie im 2. Bezirk »Was ist das für 1 Schlamperei?«-Plakate auf.
Jetzt sag doch auch mal was dazu!
Wir leben in hochpolitisierten Zeiten. Die beiden vergangenen Jahre brachten die Wien-Wahl, die Flüchtlingskrise, die Bundespräsidentenwahl. Die Politik fand nicht mehr im fernen Parlament oder im noch ferneren ORF statt, sondern kroch in den Alltag, die Freizeit, die Facebook-Feeds. Und die Kulturschaffenden waren mittendrin.
Dass Musiker politisch Stellung beziehen hat durchaus eine lange Tradition. Auch Östereich muss da nicht zurückstehen. Die Liste an heimischen Musikern und Musikerinnen, die sich immer mal wieder mehr oder minder politisch äußern, ist lang. Indie / Electronic-Acts wie Squalloscope, Ana Threat oder Ja, Panik; HipHopper wie Kid Pex und Def Ill (letzterer spendete alle Einnahmen von seinem Album R.A.F. – Refugees ain’t Fugitive an die Flüchtlingshilfe); Austropopper wie Hubert von Goisern oder Ostbahn-Kurti. Isabella Khom, Chefredakteurin der Musikplattform Noisey, sieht das allerdings ein bisschen differenzierter. Es seien meist nicht die wirklich Großen, die Stellung bezögen. »Im Zuge der Bundespräsidentenwahl haben wir die
Socials österreichischer Musiker durchforstet und feststellen müssen, dass es den jungen, aber durchaus erfolgreichen Bands am notwendigen Mut fehlt.« Ab einer gewissen Bekanntheit sei es offensichtlich der entspanntere Move, sich für Neutralität zu entscheiden. Oder für ein verhältnismäßig neutrales Statement wie ein Auftritt beim Voices for Refugees, dem riesigen Benefizkonzert am Heldenplatz im Jahr 2015. Hannes Tschürtz, Ink-Music-Chef und langjähriger Beobachter der Szene, sieht das ähnlich. »Ich halte Österreich für insgesamt wenig polarisiert. Und ich denke, das gilt in einer bestimmten Weise auch für die Musikszene.« Er persönlich schätze ohnehin den subtilen Zugang: Künstlern, die nicht direkt Partei ergreifen, aber letztlich durchaus tiefgründige gesellschaftliche Kritik üben.
Einen oft gar nicht so angenehmen Aspekt kann man wahrscheinlich nicht ausblenden: Natürlich hilft das alles auch ein bisschen im Aufmerksamkeits-Game. Man braucht niemandem Kalkül unterstellen, das würde wohl auch schnell durchschaut werden und nach hinten losgehen. Aber über authentische, politisches Interviews reden die Leute. Genauso wie über Deichkind in der vollen »Refugees Welcome«-Kluft beim Echo 2015 oder Mira Lu Kovac im »Make Feminism A Threat Again«-T-Shirt beim heurigen Amadeus. »Ich freu mich immer, wenn sich meine Bands politisch äußern, dann verkaufen die mehr Platten« sagt ein Wiener Labelchef dazu, und das auch nur halb im Scherz.