Österreich steht zwischen Bundespräsidenten- und Nationalratswahl, und das Verhältnis von Populärkultur und Politik ist immer noch schwierig. Zeit für eine Bestandsaufnahme.
Links ist da, wo der Daumen rechts ist
Wir leben in hochpolarisierten Zeiten. In Wahlkämpfen fällt die Unterstützung für gewöhnlich Parteien wie SPÖ oder den Grünen zu. Natürlich gibt es auch Ausnahmen. In Niederösterreich hatte Erwin Pröll die Kulturszene großzügig finanziell unterstützt und an die nur lange Leine genommen. Sie dankte es ihm, indem sie den Landeshauptmann vor Wahlen lobte oder zumindest still blieb.
Die Musikszene gilt gemeinhin als »links«, und wenn man sich ihre Positionierung in den Politduellen anschaut, könnte man dem auf den ersten Blick fast zustimmen. Doch das ist vielleicht zu einfach. Während es natürlich Musiker, Bands und ganze Subszenen gibt, die man guten Gewissens links verorten kann, sind es im Normalfall eher die Fragen gesellschaftlicher Liberalität, die Musiker zumindest auf die sozialmedialen Barrikaden treibt. Das ließ sich im Van-der-Bellen-Wahlkampf gut beobachten: Es ging immer um ein drohendes dumpfes, enges Österreich, mit dem offenen, rauchenden Wirtschaftsprofessor als Kontrastprogramm. Das hatte sicher seine Berechtigung, aber »links« war das nicht. Auf dieser Gefühlsebene konnte man sich dort problemlos mit bürgerlichen ÖVPlern oder Liberalen treffen. Das roch ein bisschen nach dem Versprechen von Offenheit, mit dem auch Kreisky die Kulturschaffenden und Intellektuellen dazu brachte, das berühmte Stück des Weges gemeinsam zu gehen.
»Ich glaube, dass die Musikszene tendenziell links ist, trifft nicht ganz den Kern, auch wenn es einige Musikjournalisten gern so hätten«, sagt Ilias Dahimène, Labelchef von Seayou Records und Futuresfuture. »Ich finde zum Beispiel die Kultur der egoistischen Selbstverwirklichung viel stärker ausgeprägt, sowohl in Pop- als auch in Subkultur.« Das sei eher Nietzsche und Adam Smith als Marx und Marcuse. In diesem Sinne ist es logisch, dass auch andere Parteien Kulturschaffenden ein Angebot des temporären, gemeinsamen Weges machen können. Anfang Juni gaben die Leute von Tanz Durch Den Tag nach ihrem finanziell desaströsen Aufwind-Festival eine gemeinsame Pressekonferenz mit den Neos Wien, um die harte Regulierung des Wiener Veranstaltungswesens zu kritisieren. »Wir waren bei allen Parteien, aber die Neos waren die einzigen, die sich wirklich dafür interessiert haben«, sagt Vereinsobmann Fabian Burger. Wenn es primär darum geht, dass man vom Staat weniger behelligt wird, finden auch Liberale und Hippies partielle Gemeinsamkeiten.
Die einzige Partei, mit der kaum jemand Gemeinsamkeiten finden will, ist die FPÖ. Wie fast alle rechtspopulistischen Parteien in Europa wird die FPÖ von der Kulturszene fast frenetisch bekämpft. Reinhard Fendrich versuchte immer wieder, der Partei das Abspielen seiner schmalzigen Ersatz-Bundeshymne »I am from Austria« auf ihren Veranstaltungen gerichtlich zu verbieten. Aber anders als in den USA ist das in Österreich kaum möglich. Der FPÖ bleibt aktuell nur Andreas Gabalier (der natürlich »weder links noch rechts ist«, aber Strache nach der Elefantenrunde der Wien-Wahl 2015 auf Facebook erbittert verteidigte) und natürlich die John Otti Band. Die blaue Hauskapelle besteht aus vier Brüdern aus Kärnten, beschallt seit über 20 Jahren Festln in Österreich und in Wahlkampfzeiten nahezu jede größere der FPÖ. Früher bestand Sänger Werner Otti noch darauf, dass sie eben Musikdienstleister seien. Diese Distanz (niemand kam auf die Idee, Jazz Gitti ihren Auftritt beim Wahlkampfauftakt von Richard Lugner vorzuwerfen) fiel in den letzten Jahren zusehens. 2013 und 2015 komponierte die Band sogar jeweils den Wahlkampfsong (»Liebe ist der Weg«; »Immer wieder Österreich«).
The politics within
Wir leben in hochpolitischen Zeiten. Und zwar überall um uns herum. Mit dem Satz »Das Private ist politisch« lehnte die Frauenbewegung der 70er-Jahre die Trennung zwischen Privatem und Politischen ab. Die Verortung von Politik in den Parlamenten diene nur dazu, die Machtverhältnisse auszublenden und die Entscheidungen dorthin zu schieben, wo man selbst am wenigsten Einfluss habe.
Wenn alles politisch ist, ist es natürlich nicht nur das »Bitte wählt Van der Bellen«-Posting, sondern auch das Line-up, das Setting, das Auftreten. Das Verständnis dafür, dass Inklusion und Diversity Maßnahmen auf vielen Ebenen bedürfen, wird zunehmend größer. Clubs werden vermehrt dazu aufgefordert, sexuelle Übergriffe auch dann nicht zu dulden, wenn sie »eh nur casual« sind und ihre Räumlichkeiten zu einem Ort mit einem Mindestmaß an Sicherheit für Frauen zu machen. Und die Abende mit reinen Männer-Line-Ups werden zum Glück auch langsam seltener.
Projekte wie die Plattform Femdex gehen das Thema »Geschlechterverhältnis« offensiv an, damit es nicht bei dem einen jährlichen Apell bleibt, den dann alle teilen und der eine Woche später wieder vergessen ist. Die Webseite von Femdex bietet quasi einen »Serviceteil«: eine Datenbank mit Künstlerinnen und weiblichen DJs sowie ihre Kontaktdaten, damit man den Satz »Wir haben echt gesucht, aber es gibt in unser Richtung einfach keine Frauen« seltener hören möge. Darüber hinaus schafft Femdex aber auch Öffentlichkeit. Hannah Christ aka Minou Oram, die maßgeblich hinter Femdex steht, hat den (weitgehend erschreckenden) Frauenanteil der Bookings von Wiener Crews aus dem Bereich der elektronischen Musik untersucht und veröffentlicht. Femdex untersucht auch regelmäßig das Verhältnis der Bookings einzelner Partys und postet es in das Facebook-Event, falls die Veranstalter zustimmen.
Der für Wien radikalste, inhärent politische Entwurf in die Richtung war sicher Hyperreality, das Festival im Schloss Neugebäude im Rahmen der Wiener Festwochen. Mindestens 50 Prozent Acts, die sich nicht männlich identifizieren, Non-Binary-Toiletten, Musikentwürfe, die gerne mit dem Modewort »postkolonial« bezeichnet werden. Hochpolitisch, advantgardistisch, seiner Zeit voraus – allerdings auch auch sehr großzügig subventioniert. Im kommerziellen Bereich verweisen die Veranstalter darauf, dass so ein radikal großer Wurf für sie nicht möglich sei. Aber das muss es vielleicht auch gar nicht. Auch kleine Schritte können helfen. Versucht man den DJ Objekt (Hessle Audio) zu booken, teilt einem die Agency freundlich die Bedingungen mit: An dem Abend müsse mindestens ein DJ, der sich nicht männlich identifiziert, auf derselben (oder einer größeren) Bühne spielen. Wer Objekt haben möchte, muss sich halt an diese Regeln halten. In der Wissenschaft gibt analog es ein als »The Pledge« bekannte Liste, auf der Wissenschaftler öffentlich bekennen können, nicht mehr an All-male-Panels teilzunehmen.
Natürlich schließen sich explizite Aussage und implizites Transportieren von Botschaften nicht aus. Klitclique machen Musik, sind aber über Themenwahl und Auftreten natürlich auch Kunst und Politik. Es gibt aber durchaus auch ein Problem am Konzept, das alles Politik ist. Man politisiert damit nämlich auch Dinge, die eventuell gar nicht politisch sein wollen. Die Lederjacken, die Machismen und das Spiel mit dem schwitzigen, leichten Sexismus von Wanda wäre dann definitiv politisch, genau sie wie das Spiel mit der »Heimat« im Schlager. Das klingt ja alles noch irgendwie in Ordnung. Aber nehmen wir mal kurz an, dass Tom Neuwirth mit seiner Bühnenpersönlichkeit Conchita Wurst gar nicht »Geschlechterstereotype hinterfragen« wollte, sondern einfach nur Spaß am großen Auftritt hätte. Wäre es dann in Ordnung, das Ganze von außen politisch aufzuladen? Beziehungsweise allgemeiner gefragt: Wer darf entscheiden, was politisch ist?