Österreich steht zwischen Bundespräsidenten- und Nationalratswahl, und das Verhältnis von Populärkultur und Politik ist immer noch schwierig. Zeit für eine Bestandsaufnahme.
Alles ist alles, alles ist nichts
Wir leben in komplexen Zeiten. Ironie, Post-Ironie, Post-Post-Ironie. Alles ist schwieriger geworden. Das Internet hat alles so lange durcheinandergewirbelt, bis sich niemand mehr so richtig auskannte. Was bedeutet es, wenn Yung Hurn und seine minderjährigen Fans auf Konzerten »Mi-chi Häu-pl!«-Sprechchöre anstimmen? Und was bedeutet es, wenn gleichzeitig Martin Sellner, der Chef der österreichischen Identitären, Yung Hurn offensiv feiert? Wahrscheinlich nichts. Aber vielleicht ist auch gerade das ein Problem.
Es ist nicht leicht, in der Netzkultur mit ihren zahlreichen Schichten der Ironie politische Forderungen zu finden. Es ist sehr schwierig, sich in einer Welt, wo nichts mehr so richtig ernst gemeint sein darf, genuin politisch zu äußern, ohne sich lächerlich zu machen. Und es ist natürlich verdammt einfach, sich über politische Musik lustig zu machen.
Aber auch abseits der Ironie wirft gerade explizite politische Musik berechtigte Fragen auf. Was bringt das? Hat es einen Nutzen, wenn dieselben Musiker immer und immer wieder vor der FPÖ warnen? Ist das nicht einfach ein Abspulen bekannter und völlig absehbarer Positionen, das man sich auch sparen könnte? Was bringt es, wenn Gustav am Popfest die »Proletenpassion« aufführen oder Bands Arbeiterlieder re-interpretieren? Wird das nicht außerhalb eines kleinen, ohnehin bekehrten Kreises nur ironisch rezipiert?
Auf der anderen Seite darf man aber natürlich auch fragen, ob es nicht auch die Aufgabe, vielleicht sogar die Pflicht der Kunst ist, sich (gesellschafts)politisch zu äußern. Von Schriftstellern wird es quasi verlangt – man muss schon sehr gut aufpassen, wenn man nicht hinter der nächsten Ecke in den neuen Gastkommentar von Robert Menasse laufen möchte. Zu dieser Frage gibt es im Wesentlichen zwei Positionen. Die einen sagen, Kunst muss aufrütteln, den Finger in die Wunde legen. Künstler haben Freiheit, gerade weil man ihren Aussagen mehrere Ebenen zugesteht und an sie nicht dieselben Kriterien anlegt wie an andere. Der Satiriker, der Literat, der Künstler darf auf Podien wortgewaltig Unsinn reden, während man beim Politiker jedes Wort auf die Goldwaage liegt. Der Künstler hat den benefit of the doubt, und viele meinen, man hätte die Pflicht, diese Position zu nutzen. Andere meinen, Kunst müsse gar nichts. Aber das ist eben auch schon nah dran an einer künstlerischen Position.
Kurz gesagt: Es ist kompliziert
Wir leben in Wahlkampf-Zeiten. Steht Österreich diesen Herbst wieder vor einer Polarisierung wie im letzten? Ja. Nein. Vielleicht. Es ist kompliziert. »Im Präsidentschaftswahlkampf hat das die Zuspitzung eine Positionierung ›gegen äußerst rechts‹ leichter gemacht«, sagt auch Tschürtz. »Diese Motivation fehlt im Nationalratswahlkampf tendenziell.«
Redet man mit Leuten, spürt man wenig von der teilweise kämpferischen Haltung des Vorjahres, dafür viel von dem unbehaglichen Arrangieren mit dem (wahrscheinlich) Kommenden. Es gibt eine hohe Chance, dass die FPÖ in der nächsten Regierung sitzt, und jeder weiß es. Und anders als 2000, 2015 oder 2016 könnte der Szene im kommenden Wahlkampf auch der eine, gemeinsame Feind und damit auch der gemeinsame Nenner fehlen. Doch wer weiß das schon? Vielleicht kommt alles anders. Wenn es um Pop und Politik geht, ist alles kompliziert und wird wahrscheinlich auch noch komplizierter. Aber wie sollte das auch einfach sein, wenn alles politisch ist?
Die vorgezogene Nationalratswahl findet am 15. Oktober 2017 statt. Wahlberechtigt sind alle österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, die am Wahltag mindestens 16 Jahre alt und nicht wegen einer gerichtlichen Verurteilung vom Wahlrecht ausgeschlossen sind.