Warum Katzen-Bilder sechsmal so wertvoll sind wie Aufdecker-Storys

Was muss ein Journalist im Jahr 2015 können? Kann eine journalistische Website ohne Paywall überleben? Und wie ist das mit den Katzen?

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Sie schrieb für die „Washington Post“ und das „Wall Street Journal“. Heute ist die preisgekrönte Journalistin und Buchautorin Ann Grimes Professorin an der Eliteuni in Stanford, wo sie „Technology Reporting“, „Digital Media“ und „Entrepreneurship“ unterrichtet.

Building 120, Communication Department, Office 334. „Ann Grimes, Professor of the Practice“ steht auf dem Türschild. „Richte Ann schöne Grüße aus“, hatte mich OZY-Chefredakteur Jonathan Dahl gebeten, „sie ist eine Vordenkerin.“ Die beiden arbeiteten viele Jahre lang gemeinsam beim „Wall Street Journal“.

„Welcome to Stanford University, nice to meet you“, sagt Mrs. Grimes mit einem gewinnenden Lächeln. Dann analysiert sie die Lage der Medien in Zeiten der Krise.

Als „Journal“-Editor hatte sie ein Spezialgebiet: Technologie und Business im Silicon Valley. Vor zehn Jahren bekam sie eine Professur im fortschrittlichsten Tal der Welt angeboten – und formulierte gleich zu Beginn einen neuen Leitsatz für die Journalismusstudenten: „For public-interest journalism to thrive, computer scientists and journalists must work together, with each learning elements of the other’s trade.“

Die von ihr eingeführte „Project Class“ – Journalismusstudenten suchen mit angehenden Computertechnikern und Wirtschaftswissenschaftlern nach Ideen und Geschäftsmodellen für neue Medien – gilt als universitäres Vorzeigemodell. Ann Grimes ist stolz darauf, dass bereits einige Absolventen digitale Startups gegründet haben.

Sechs Fragen an eine Frau, die sich selbst neu erfand – von der Printjournalistin zur US-weit gefragten Expertin der vernetzten Welt.

1. Was muss ein Journalist im Jahr 2015 können?

Die Job Description für moderne Medienmenschen: „You need to know the digital tools, the techniques of computer-assisted reporting, analytical problem-solving, how to use social media and multimedia, how to talk to engineers and business people, project management.“

Glücklicherweise, denke ich, haben zumindest zwei Anforderungen aus der guten alten Printwelt Bestand: „A nose for finding stories. And becoming a watchdog – investigative journalism is essential to our democracy.“

2. Wird es in 10 Jahren noch Zeitungen auf Papier geben?

„Die gedruckte Tageszeitung existiert in Zukunft nicht mehr. Es wird nur noch teure Sonntagszeitungen auf Papier geben.“ (Ann Grimes)

Die Professorin beobachtete unter anderem das Medienverhalten ihrer Nachbarn: „In meiner Straße stehen 30 Häuser. Hier wohnen sehr reiche Leute. Fünf Haushalte haben eine Tageszeitung abonniert, am Sonntag lesen 15 ,The New York Times’. Alle bestellten die digitale Version, kein Mensch hat hier noch Papier.“ Nachsatz: „Only the Baby Boomers like the paper.“ Also Menschen, die zwischen Mitte der 40-er und Mitte der 60-er Jahre geboren wurden.

3. Ist Journalist ein aussterbender Beruf?

2016 werden in den USA nur noch halb soviele Redakteure und Reporter im Einsatz sein wie noch vor 16 Jahren. Dennoch will Ann Grimes nicht von einem „aussterbenden Beruf“ sprechen: „It is a changing job. If you know the tools, you can do investigative stories faster, better and cheaper than before. You don’t need ten reporters doing, now two can do the same job because we have new tools to use.“

4. Kann eine journalistische Website ohne Paywall überleben?

Ann Grimes: „Früher finanzierten sich Medien zu 80 Prozent durch Werbung und zu 20 Prozent aus Abos. Heute ist es umgekehrt: Das digitale Modell der ,New York Times’ beispielsweise nimmt 60 Prozent durch Abos ein und nur 40 Prozent durch Werbung."

Erst kürzlich knackte die „Times“ die magische Zahl von einer Million Abonnenten, die die Internetausgabe beziehen. Rund 500 Dollar kostet die „Digital Subscription“ pro Jahr.

„Ohne Paywall hat ein Digitalprodukt kaum eine Chance“, sagt Ann Grimes. „Außer man ist so ein Gigant wie BuzzFeed.“ Mit 150 Millionen Besuchern pro Monat ist diese Website eines der populärsten Medienportale der Welt.

5. Warum ist Katzen-Content sechsmal so wertvoll wie Aufdecker-Kompetenz?

Vor neun Jahren gründete der Internet-Entrepreneur Jonah Peretti (damals 32) in New York BuzzFeed. Heute ist die „Media Company for the Social Age“ 1,5 Milliarden Dollar wert. Nicht zuletzt verdankt BuzzFeed diesen gigantischen Erfolg Storys wie „The 100 Most Important Cats Pictures Of All Time“.

Das Weltblatt „The Washington Post“, 138 Jahre alt und spätestens seit der Enthüllung des Watergate-Skandals Vorbild für alle Aufdeckermedien, erzielte einen Kaufpreis von lediglich 250 Millionen Dollar.

Warum ist BuzzFeed sechsmal so wertvoll wie „The Washington Post“?

„Diese Frage ist so gut, dass ich sie mir für meine Studenten merken muss“, sagt Ann Grimes und schreibt in ihr Notizbuch. „The answer is audience, attention and reach. If you got the audience, the advertisers will go there. BuzzFeed got the right audience – the Millennials.“ Konkret die heute 18- bis 34-Jährigen.

Grimes: „There are more Millennials in the workforce than Baby Boomers.“ Ich verstehe: Darum sind die Millennials für Werber die wichtigere Zielgruppe – und genau deshalb ist BuzzFeed sechsmal teurer als die gute alte „Post“.

Manchmal habe ich den Eindruck, dass auch gewisse Tageszeitungen die „Millennials“ erreichen wollen – allerdings nicht die gegenwärtigen, sondern die vorherigen.

6. Und was ist Ihre erste Lektüre am Morgen, Frau Digital-Media-Professor?

„Ich starte den Tag immer mit der ,Times’ und dem ,Wall Street Journal’ – in Papierform.“

WIE BITTE?

„Ja, weil ich beim Blättern schneller durch bin. Jahrzehntelange Gewohnheit eben.“ Herzhaftes Lacheln.

Ein kleiner Hoffnungsschimmer für alle Print-Dinos.

AD PERSONAM

Wolfgang Ainetter (hier auf Twitter) war Ressort-Leiter bei der Bild Zeitung, Chefredakteur der Gratis-Zeitung Heute und zuletzt Chefredakteur bei News – als längstdienender Chefredakteur nach dem Gründer. Diesen Sommer über bloggt Ainetter für The Gap über seine Hospitanz bei OZY im Silicon Valley.

WEITERLESEN:br />Erster Teil des Blogs – Die Bewerbung und die Vorgeschichte

Tag 1 in den Ozy Headquarter

Tag 2 Gastauftritt Kurt Kuch

Tag 3 Kein Wlan im Biergarten

Tag 4 Welcome To The Stone Age

Tag 5 Larry Page, Marissa Mayer und der Telefonzellenfabrikant

Tag 6 Anforderungsprofil für Silicon-Valley-Journalisten

Tag 7 Kann man mit Online-Journalismus Geld verdienen, Mister OZY?

Tag 8 Fingernägel, Nasenrotz und andere Erfolgsgeheimnisse

Tag 9 Friseure sind die besseren Schreiber

Tag 10 Nachts im Silicon Valley

Tag 11 The same procedure as every day and every week.

Tag 12 OZY = Apple = CNN = eBay = Google = Time Warner = White House

Tag 13 Redakteure Gates, Bush, Blair, Rice und Shriver

Tag 14 Gute Fotos sind die Feindbilder der Controller

Tag 15 Sind die Zeitungsverlage die „Chain Gangs“ der Google-Diktatur?

Tag 16 „The Voice“ und die Trommelfellkiller-Bosse

Tag 17 Ein Alien bei Starbucks und 7 weitere Short Stories aus dem Silicon Valley

Tag 18 König OZY, Steve Jobs und die Träume

Tag 19 Printjournalisten sind wie Blackberry, Palm oder Nokia

Tag 20 Wie junge Journalisten trotz der Krise Karriere machen

Bild(er) © 1: volobuev.me via Buzzfeed, 2-4: Wolfgang Ainetter
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