Das Waves Vienna ist (fast) in seiner alten Form zurück: Unser Field-Reporter Dominik Oswald berichtet von seinem Festivalerlebnis.
Es folgt eine Liste an Dingen, die uns so wirklich gefehlt hat: Das Waves Vienna. Ende der Liste. Das allseits beliebte Showcase-Festival, das heuer bereits zum elften Mal die Hauptstadt beehrt, war ja im Vorjahr nur als Streaming-Festival ausgetragen worden, mit Public Viewing der nebenan stattfindenden Konzerte. Heuer also endlich wieder »so richtig«. Ein paar Neuerungen gibt’s im Vergleich zur letzten regulären Ausgabe aus dem 19er-Jahr, die HLW Michelbeuern, direkt am Nebeneingang des WUK – das wieder einmal die Basis für alle Abenteuer bildet – gelegen, wird renoviert, weshalb als zweite Main-Location die bereits in der Vergangenheit genutzte Canisius-Kirche installiert wurde. Das ist ehrlicherweise nicht ganz ideal, der Weg zwischen den zwei Hotspots ist ein langer, wie der erste Abend noch zeigen sollte. Waren es in der Vergangenheit immer zwei Schwerpunkt-Länder, ist es heuer ein bisschen naheliegender: Da sollen vor allem die Länder an der schönen blauen Donau hervorgehoben werden.
Am ersten Abend, da trennt sich die Spreu vom Weizen, da zeigt sich, welchen Geistes Kind man ist. Es gibt nämlich im Großen und Ganzen zwei Typen von Menschen, die Showcase-Festivals besuchen: Jene, die sich eher experimentierfreudig alles reinziehen, was so spielt. Und jene, die lieber ihren Lieblingsgenres treu bleiben. Aber, das eint sie: Informiert sind sie alle, da am Waves.
Aze
Wie bei so vielen startet der erste Abend in der Canisius-Kirche, für die man lieber die U6-Station Nussdorfer Straße wählt. Die Kirche als solches ist als Konzertort ja seit einiger Zeit beliebt und erprobt, so zahlen sich exorbitant hohe Gebäude dann doch irgendwie aus. Während Securities noch einschulend herumwuseln – Zitat des Einschulers: »Das ist eh so entspanntes Hipster-Publikum, so Kunstmenschen« –, präsentieren Ezgi Atas und Beyza Demirkalp als AZE eine Mischung aus Soul und Sprechgesang, die tiefe Stimme, die beizeiten zum Duett wird, hallt durch die für diesen frühen Zeitpunkt okay besetzten Kirchenbänke, von der Decke fliegen Origami-Möwen. Zu der teilweise mit einzelnen Noten und mit kräftig Hall-Effekt gespielten schönen Jazzmaster in Ocean Turquoise wachen die Ikonen des Altars über das türkisch-kurdisch-österreichische Duo, dessen Debüt dann im Herbst erscheint, Genre-Freund*innen werden ihre Freude haben.
Sir Simon & Burkini Beach
Eine Krypta ist ein sich unter dem Altar befindlicher Raum, gemütliche Gaststätten sagen auch »Gwölb« dazu, im Keller der Canisius-Kirche steht auf güldenem Schild mit Pfeil lieber »Beichtgelegenheit«. Simon Frontzek alias Sir Simon und Rudi Maier alias Burkini Beach, übrigens auch Mitglieder der Band von Thees Uhlmann – Maiers Gitarren auf »Junkies und Scientologen«: ein Traum! – spielen ein Doppelkonzert. Sie haben ihre Alben, die gleichzeitig erschienen sind, gegenseitig produziert. Beim Waves werden abwechselnd die Songs getauscht. Die gänzlich neue Venue ist sehr chic und sehr gut gefüllt, dass im Programmheft Vergleiche von Burkini Beach mit Death Cab for Cutie angestellt werden, ist dementsprechend hilfreich: Das mit dem Waves altersmäßig gewachsene Publikum erinnert sich nun einmal gerne an ihre Jugend. Das können sie auch, das ist sehr charmanter Indiepop.
Discovery Zone
Dass die Berliner Gruppe Fenster recht super ist, darf als bekannt vorausgesetzt werden, auch mit ihrem Solo-Act wird JJ Weihl ihrem Bandnamen gerecht: Es gibt mehr zu entdecken als auf einer Abenteuerreise in sich selbst: Weil dort die besten Reisen beginnen, fängt auch Discovery Zone dort an und spielt – Achtung Alliterationen – entfesselnden, entfernten und gleichzeitig experimentellen sowie elektronischen Dreampop, beginnt mit dem Theremin und wavigen Beats aus dem Laptop, greift aber auch zur kopflosen Gitarre, während sie selbst den ihren für entschleunigten und verzerrten Gesang einsetzt. Sie animiert das Publikum zum Mitklatschen – in der Kirche! –, als banalster Vergleich bietet sich tatsächlich Kraftwerk an, vor allem die einfach gestrickteren Melodien sind sehr eingängig.
Vereter
Im Pfarrsaal, nur ein paar Stufen und noch ein paar Stufen von der Kirche entfernt, quasi im Nebengebäude der Kirche, findet indes ein Showcase der Organisation Question Me & Answer statt, die sich zur Aufgabe gemacht hat, Musiker*innen, die sich als Schwarz, POC oder (post)migrantisch identifizieren, sichtbarer in der Wiener Szene zu machen: An Ort und Stelle macht das Projekt Vereter – auch bekannt als Teil der Rockband Bosna – klassischen Songwriting-Folk mit österreichischen Texten im Dialekt, das ist am heurigen Waves Vienna eine Seltenheit, obwohl heuer aufgrund der allseits bekannten Umstände der Anteil an heimischen Acts besonders hoch ist. Die sehr guten Lieder mit noch besserem Storytelling, ganz in der Tradition von Liedermacher*innen, handeln etwa über Racial Profiling der Wiener He.
Keshavara
Ortswechsel ins WUK, ins kleine Beisl, wo als einziges Speisen kredenzt werden, dort spielen die Funker Keshavara. Es ist einer der zahlreichen deutschen Acts, aber auf diesen durfte man sich im Vorfeld ganz besonders freuen. Zu einzigartig, zu tanzbar, zu abgefahren waren schon die ersten Video-Veröffentlichungen, die für einige Aufregung garantieren sollten – und ja, Keshavara stachen aus dem Line-Up des Donnerstags heraus. Zu zweit feuern sie »exotische« Klänge aus ihren Drum-Maschinen, knackiger Afrobeat und schwelgerische Phasen mit dem Vocoder, dass da vornehmlich Menschen mit sehr langen Haaren dazu tanzen, versteht sich von selbst. Abriss!
Takeshi’s Cashew
In der zum Bersten gefüllten großen WUK-Halle, die auch heuer wieder so etwas wie die Main-Stage ist, stehen und sitzen auf der Bühne die sechs österreichischen Psych-Rocker, die ein klein wenig »Bollywood«-Feeling darbieten: Mit fernöstlichem Instrumentarium ausgestattet verlieren sich Takeshi’s Cashew in ellenlange Elegien, die aber keinesfalls langatmig sind, sondern sowohl zum Mitschunkeln als auch bis in die letzte Reihe zum belebten Kopfnicken einladen. Erstaunlich gefällig und gleichsam beeindruckend, vor allem der Multiinstrumentalist an den außerordentlichen Blasinstrumenten verzückt. Die Stimmen kommen teilweise verzerrt vom Band, Gesangmikros sucht man vergeblich.
Sinks
Im Anschluss und nur eine Tür entfernt spielt die tschechische Noise-Post-Punk-Gruppe sinks, die unter Kenner*innen einer der am heißesten erwarteten Bands des Abends ist. Der Dreier in klassischer Besetzung und mit jenseitigem Sprechgesang malträtiert die Lautstärke-Pegel und nivelliert die Grenzen der Trommelfelle auf das Exaltierteste, zum Glück stehen Stöpselspender an der Bar bereit, in die auch beherzt gegriffen wird. Die minimalistisch flackernde Beleuchtung in Rot, Blau und Weiß unterstützt das beklemmende kühle Soundkleid, obwohl bei der Hitze – da brauchst keine Jacke. Das pulsierende Mantra »Something’s not right!« bohrt sich in die Gehörgänge, obwohl hier Einspruch erlaubt sein muss: Da ist alles richtig, da stimmt alles!
Leider – und das ist eben die Qual der Wahl auf Festivals wie dem Waves Vienna – muss ein kleiner Teil schon weiterziehen, da schon die nächste Top-Band wartet. Und das noch dazu in der Krypta, die gut zehn Fußminuten entfernt wartet. Der Weg wäre zu lang für einen Fehler, aber keine Sorge: Richtig viel falsch machen kannst du beim heurigen Line-Up eh nicht.
Faux Real
Wieder im Kirchengebäude angekommen, wartet eine Menge an Eingefleischten auf das franko-amerikanische Brüder-Duo Faux Real, die vor allem mit sehr kultigen Musikvideos für einige Aufmerksamkeit und Schnappatmung gesorgt haben: Auch auf der Bühne – und vor allem dort! – funktioniert das elaborierte Konzept der ironischen Auflösung von Rockstar-Gehabe, ganz in Weiß und leider sehr bald und wohl obligatorisch auch oberkörperfrei und ganz ohne Schuhe, tanzen sich die beiden auf und vor der Bühne einen ab, lo-fi-beatig stampft die Musik aus dem Band, allzu selten ist es fetziger Glamrock, häufig aber Trashpop, aber immer mit weit geöffneten Mäulern und modisch unmodischen Vokuhilas. Es gibt einstudierte und frenetisch bejubelte Choreografien, menschliche Zweierpyramiden – kurz: aktionistischen Gaga.
Faux Real sind die ideale Band, um den Abend mit einem Knall ausklingen zu lassen, während auf den anderen Bühnen noch fleißig gespielt wird: Der ekstatische Indierock von Sparkling oder Johnny Mafia, sowie der Kraut-infizierte Popentwurf von Casper Clausen, sozusagen dem Headliner des ersten Festivaltags. Bis morgen!
Das Waves Festival Vienna findet bis 11. September 2021 im WUK und der Canisiuskirche statt. Tagespässe sind noch beim Ticketing im WUK erhältlich. Das Conference-Programm, Infos zur Fokusregion und detaillierte Timetable finden sich auf wavesvienna.com