Waves Vienna 2021 – So war Tag 2

Das Waves Vienna ist (fast) in seiner alten Form zurück: Unser Field-Reporter Dominik Oswald berichtet von seinem Festivalerlebnis.

© Patrick Münnich

Der zweite Festivaltag ist in der Regel der beste: Man ist schon ein wenig eingegroovt, die lange Zeit ohne derartige Events hat ja bekanntlich alte Knochen rosten lassen. Und man ist noch nicht am Ende, der letzte Festivaltag zehrt für gewöhnlich schon an Körper und Geist. Außerdem spannend: Am zweiten Festivaltag, besonders heuer beim Waves Vienna, verdichtet sich vieles, das am ersten Tag schon in Ansätzen erkennbar war. Nämlich: Österreichische Acts bilden das Rückgrat der heurigen Ausgabe, aber nicht nur in der Menge, sondern auch in der Qualität. Das zieht auch bei Publikum, vor dem WUK bilden sich lange Schlangen an jenen Menschen, die Tagespässe besorgt haben.

Downers & Milk

© Hannah Tögel – Downers & Milk

Den Beginn des österreichischen Reigens bilden die Kammerpopper Downers & Milk, deren im Frühling erschienenes Debüt-Album »Songs of Fear and Flight« genauso viel einhält, wie es versprochen hat: »Großartig dunkel und zugleich hoffnungsvoll«, konnte man an Ort und Stelle lesen. Ihr Auftritt in der großen WUK-Halle, der größten und repräsentativsten des gesamten Waves Vienna 2021, zeigt, dass ihre so noch nicht sehr oft gehörte Mischung, die an Get Well Soon oder Calexico erinnert, auch und vor allem für die Bühne gemacht ist. Zu acht stehen sie schlussendlich auf der Bühne, das sieht aus und klingt nach Americana, insbesondere die beiden besten Songs »Borrowed Years« und »Golden Fields« mit ihren überlebensgroßen Refrains stechen heraus. Das könnte genauso gut aus Nashville sein, das heute für eine Dreiviertelstunde an der Donau liegt. Passend zu den Fokusländern am blauen Fluß, quasi.

Gran Bankrott

© Hannah Tögel – Gran Bankrott

Im WUK-Foyer gibt es heute ganz besondere Gäste, mit einem Showcase von Numavi präsentiert das zurzeit wohl heißeste österreichische Label Auszüge aus seinem Roster, das zuletzt zahlreiche fantastische Releases hervorgebracht hat. Eines davon ist das selbstbetitelte erste Album unter dem neuen Alias von Florian Tremmel als Gran Bankrott, der damit zwar weit an seiner eigenen künstlerischen Bankrotterklärung vorbeischrammelte, aber dafür anderen schnell die Schranken aufwies. Diese Kompromisslosigkeit ist in seinem Genremix aus Noise und 1-2-3-Rock auch live das identitätsstiftende Merkmal seines Projekts. Auf der Bühne steht er mit Bassistin Lina Gärtner (bekannt von Just Friends and Lovers), er gibt den new-wavigen Crooner, der mal deutsch, mal englisch, vorgibt, nur die Regierung stürzen zu wollen. Die Beats kommen vom Band, Bass und Gitarre werden per Hand gespielt. Es ist ein Leichtes, die schon zahlreich gekommenen Gäste im Foyer zu begeistern. Apropos WUK-Foyer: Die Soundabstimmung ist dermaßen auf den Punkt, trotz der räumlichen Enge der perfekte Ort für die Numavi-Bands. Ein frühes Highlight.

Rahel

© Hannah Tögel – Rahel

Ja, vor allem die Rockbands sind in ihrer Anzahl die großen Auffälligen in diesem Jahr, aber das Waves war auch immer ein Festival für die nächste große Popentdeckung. Heuer ist es vielleicht die Niederösterreicherin Rahel, die mit ihrem cuten Song »Tapp Tapp Tapp« für einige Herzchenaugen-Emojis gesorgt hat und höchstes Potenzial für den Popstarhimmel zeigt. Mit drei Begleitmusikern steht sie auf der Bühne, gleich als zweites kommt der große Hit, aber auch der Rest des Sets beweist das Gespür für die große Geste, soulig und gleichzeitig wavig, ab und an ist ein bisschen Kitsch und Schlagereskes erlaubt, aber immer mit politischer Message in Text und Ansage.

Wolfgang Pérez

© Alexander Galler – Wolfgang Pérez

In der Krypta – zehn Minuten Fußmarsch entfernt –, spielt der Casper Clausen des Freitags, weil: auch bekannt und beliebt von einer anderen Gruppe und nun solo unterwegs. Wolfgang Pérez kennt man von den Kölner Indiepoppern Golf, mit seiner insgesamt fünfköpfigen Band exerziert er äußerst verspielten, teils dem Experimentellen nicht abgeneigten Dreampop, der zum langsamen Schwofen einlädt. Da gibt’s trotz gelegentlicher Crescendi gar traumwandlerische Vibes, quasi als Gegenentwurf zur Wut, die ansonsten den Tag als Kernemotion begleitet.

Sluff

© Hannah Tögel – Sluff

Da für alle Freund*innen der gepflegten Gitarrenmusik heute kein Weg an der Numavi-Stage vorbeiführt, muss ebensolcher wieder behände aufgenommen werden, da mit den Wiener Slacker-Rockern Sluff ebendort einer der Lieblinge der Locals ihre Stücke zum Besten gibt. Mit ebenso dreamy Gitarren bauen die Label-Neulinge rund um Mastermind Martin Zenker sphärische Schichten ins WUK-Foyer, das zum Übergehen gefüllt ist und knapp am Siedepunkt balanciert, dass es nur so eine Freude ist. Abkühlung sollte eigentlich der malerische Innenhof verschaffen, der wie gewohnt der Place to be für das auf Festivals so wichtige Vernetzen ist, aber: denkste! Auch er ist richtig voll, da stehen sich die Leute auch auf den Füßen, gegebenenfalls auch übereinander.

Zinn

© Hannah Tögel – Zinn

Der Einlassstop, der mittlerweile für die beiden größeren Locations im WUK gilt, wirkt sich naturgemäß auf die Planung des weiteren Abends aus: Nur keine Fehler machen und bloß nichts riskieren! Ein Blick auf die Schweizer Neo-Soul-Sensation Sirens of Lesbos, die in der großen Halle spielt, geht sich ebenso wenig aus wie ein Wechsel zur Canisius Kirche. Denn auf der Numavi-Bühne spielt die Gruppe, die wohl das bis dato allerbeste Album bislang auf diesem Label veröffentlicht hat, nämlich Zinn. Mit ihrem in Melancholie getränkten Dark-Folk auf dem selbstbetitelten Debüt, das nach langem Warten nun diesen Frühling veröffentlicht wurde, gelang ein Meilenstein österreichischer Popmusik, dieses Album wird noch sehr lange sehr intensiv gehört werden. Auch wenn es schon durchaus einige Konzerte von Zinn in diesem Sommer gab, das Foyer ist wieder sehr gut gefüllt, ein weiterer Beweis dafür, dass Numavi wohl zurzeit das In-Label ist. Leider besteht das Publikum auch zu kleinen Teilen aus Männern ohne Maske, die eher im Bierzelt zuhause wären, fettes Minus für das Publikum. Überhaupt: Da könnte durchaus härter durchgegriffen werden, ein echtes Ärgernis. Nicht so Zinn. Die Gitarre flirrt beim ersten Stück »Wiederholung« so bedeutungsschwer wie die Texte: »Nach unten treten ist das Prinzip« und, darauf: »Gerechtigkeit ist nua a Idee« (aus: »Qualia«). Die teils ausufernden Instrumentalparts wabern düster durch die Halle, der Gesang, der manchmal zum Duett wird, ist schwelgerisch. Nach dem ersten großen Hit »Diogenes« wird’s noch politischer: Einer Anklage der Femizide folgt ein gelesener Text namens »Stirb, Patriachat, stirb« – quid pro quo, das ist auch gerichtet an die Toxischen im Publikum. Neben dem vielleicht besten Song »Black Lake« gibt’s auch noch ein neues Stück, bei dem man aufgerufen wird, den Apocalypse zu tanzen, bevor beim eigentlich letzten Stück »Lethargie« der Saft abgedreht wird. Die Anwesenden buhen zurecht.

Modecenter

© Alexander Galler – Modecenter

Aufgrund der angespannten Einlasssituation – viele Tagespässe sind wegen den Popsensationen Florence Arman und Lisa Pac gekommen – ist nun endgültig keinerlei Locationwechsel mehr ratsam, also geht’s direkt weiter im WUK-Foyer mit Modecenter, denen mit ihrem gleichnamigen Debüt zumindest eines der besten Post-Hardcore-Alben aus diesem Lande gelungen ist. Die Zeichen stehen demnach gleich doppelt auf Abriss: Eine sehr hungrige Band der Stunde voller Spielfreude und eine bummvolle Hütte. Und – es war nicht anders zu erwarten – Modecenter liefern gnadenlos ab. Mit wild quietschenden Gitarren, knallharten Drums und einer schier unglaublich druckvollen Stimme, denk an At The Drive-In, da fällt zu Beginn gleich einmal das Licht aus. Aus der Dunkelheit – das Licht geht eh gleich wieder an – schälen sich düstere kühle Klänge, Härteres hat man auf dem Waves Vienna wohl zuletzt bei den Petrol Girls 2019 gehört und gesehen.

Wer danach noch Klamotten zum Wechseln mit hat, kann sich im Anschluss in der großen WUK-Halle die deutschen Popper Schorl3 anschauen, auch die legen betont viel Wert auf ihre Adjustierung. Für alle anderen gilt: Schnell heim, kalt duschen und für heute noch einmal alle Körner zusammenkratzen.


Das Waves Festival Vienna findet bis 11. September 2021 im WUK und der Canisiuskirche statt. Tagespässe sind noch beim Ticketing im WUK erhältlich. Das Conference-Programm, Infos zur Fokusregion und detaillierte Timetable finden sich auf wavesvienna.com

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