Wegen des Genozids wärs

"The Act Of Killing" sorgte in Indonesien und weltweit für Aufruhr. Die Nachfolgedoku wird das wieder tun. Wir haben den Regisseur Joshua Oppenheimer zum Interview getroffen.

Wie könnte die enorme Wirkung, die ihre beiden Filme hatten, den Umgang der Indonesier mit der eigenen Vergangenheit verändern?

Ich denke auf lange Sicht wird ein Wandel im Umgang mit der eigenen Vergangenheit geschehen. Die gesamte Welt spielt da eine große Rolle, da nun viele Menschen von dem Genozid im Jahr 1965 gehört haben. In Indonesien selbst macht sich nun ein großes Selbstbewusstsein breit, eben weil die Welt und auch viele Historiker sich diesem Kapitel der indonesischen Geschichte annehmen – und das ändert die Art und Weise wie darüber gesprochen wird.

„The Act of Killing“ sorgte für einen fundamentalen Wandel in der indonesischen Medienlandschaft und deren Umgang mit der Vergangenheit. Beispielsweise, dass man nun offen von dem Genozid als einem kriminellen Akt gegen die Menschheit spricht und, was noch viel wichtiger ist, dass endlich die bis heute andauernden Nachwirkungen des Genozids besprochen werden.

Liefen die vielen, stark besuchten, Vorführungen des Films ohne Störungen ab?

Im Winter 2014 heuerte das Militär Gangster an, die Vorführungen von „The Look of Silence“ stören, ja sogar verhindern, sollten. Die öffentliche Reaktion darauf war enorm: „The Look of Silence“ war bereits in den Medien präsent und wurde schon zum Film des Jahres gekürt. Anstatt dass die Polizei die Gangster daran hinderte und für das demokratische Recht des öffentlichen Vorführens eines Film eintrat, stellten sie sich auf die Seite der Gangster und sagten, dass sie nicht für die Sicherheit der Vorführung garantieren könnten. Das Volk weiß natürlich, obwohl es nicht sicher offen gesagt werden kann, dass Polizei und Militär Gangster für diese Störaktionen bezahlt hatte. Logischerweise gab es nach dieser Aktion Ärger und Empörung im Volk. Es war, als hätte man Salz in die Wunde gestreut.

Müssen dank ihrer beiden Filme nun die indonesischen Geschichtsbücher neu geschrieben werden?

Es werden schon erste Schritte dahingehend unternommen: Die Vereinigung der Geschichtslehrer in Indonesien hat sich zusammengesetzt, um einen alternativen Lehrplan zu erstellen. Lehrer sollen dadurch einerseits die „offizielle“ Landesgeschichte lehren können, wie sie in „The Look of Silence“, der Uncut-Version von „The Act of Killing“ oder auch alten Propagandafilmen aus den Jahren nach 1965, die sich jeder Schüler ansehen musste, erzählt wird. Allerdings sollen die Lehrer auch die Möglichkeit erhalten, die Schüler über die Wahrheit dahinter aufzuklären. Und das ist schon ein sehr tiefgreifender Riss in der Rüstung, es ist ein Bruch des „offiziellen“ Staatsmythos: Es ist nur eine Frage der Zeit bis die Geschichte komplett umgeschrieben wird.

Als „The Act of Killing“ für einen Oscar nominiert wurde, äußerte sich der Sprecher des indonesischen Präsidenten, dass man genau wisse, dass das was 1965 passiert sei, ein Verbrechen gegen die Menschheit war. Zudem sehe man keinen Bedarf nach Aussöhnung und brauche auch keinen Film, der das Land dazu zwinge. Die Regierung versuchte sich, über den Film hinwegzusetzen, aber es war trotzdem ein wunderbarer Moment, weil die Regierung eingestand, dass das was 1965 geschehen ist, falsch war. Das führte zu einem enormen Feedback in den sozialen Netzwerken und den Medien und warf zudem die Frage auf: Wenn die Regierung weiß, dass es falsch war, warum lügen sie dann unsere Kinder an?

Das erinnert wieder stark an den Diskurs, der in Folge auf Fatih Akins „The Cut“ in der Türkei entstand.

Das Beispiel des türkischen Genozids ist eine gute Warnung, weil ein Staat seine komplette Identität auf einem Genozid aufgebaut hat. Und auf dessen Leugnung, dessen Verherrlichung. Quasi aus dessen Dissimilation für etwas, was er gar nicht war. Genau in diesem Jahr jährt sich der Genozid in der Türkei zum hundertsten Mal, in Indonesien sind es genau fünfzig Jahre im Oktober. Dies ist ein Zeichen dafür, dass sich Dinge ohne Aufruhr nicht notwendigerweise ändern.

Der Grund warum meine Filme eine Wirkung hatten ist, weil sie nicht einfach nur ausstellen, was passiert ist. Sie erzählen auch nicht einfach, was laut den Überlebenden passiert ist. Nein, es sind die Täter, die zeigen, was passiert ist. Es sind die Täter, die zeigen, dass die genau wussten, dass es falsch war, was sie getan haben. Und wenn sie denken, dass es falsch war, wer in aller Welt könnte denken, dass es richtig war?

Wie ist Ihre Beziehung zu Werner Herzog, der bei Ihren beiden Filmen als ausführenden Produzent tätig war?

Werner ist wie ein Familienmitglied für mich. Genau wie seine Frau Lena und sein Sohn Simon und seine Tochter Hannah. Sie sind eine Art erweiterte Familie für mich und meinen Ehemann Shu.

Was genau fasziniert Sie an Werner Herzogs Filmen und wie ist deren Einfluss auf Ihre eigene Arbeit als Regisseur zu bewerten?

Ich liebe Werners Wildheit. Ich liebe seinen festen Glauben an seine eigenen Träume und sein eigenes künstlerisches Delirium. Ich glaube Werner hat schnell festgestellt, dass mein eigener Surrealismus, den ich konstruieren will, sich von seiner Auslegung des Surrealismus unterscheidet. Ich versuche Phänomene in der Welt, über die man ansonsten nur träumen könnte, zu finden und die, wenn man sie als Fiktion darbieten würde, schlichtweg dumm wären. Ein Handlungsstrang über Führer eines Todeskommandos, die ein Musical inszenieren, in welchem sie zelebrieren was sie getan haben, wäre in einem fiktionalen Rahmen undenkbar.

Ich denke jedoch sowohl Werner, als auch ich, versuchen beide in unseren Filmen emotional präsent zu sein, damit wir eine Situation richtig wahrnehmen und Empathie gegenüber jedermann zeigen können. Ich behaupte nicht Werners Gabe dazu zu haben, aber ich versuche mein Bestes.

In Herzogs Dokumentarfilmen sticht besonders sein prägnant gesprochener Voice-Over heraus. Wieso fiel bei deinen beiden Filmen die Entscheidung gegen den Gebrauch von Voice-Over?

Wir sind verschiedene Filmemacher. Werner leitet uns mit seiner Stimme durch die Geschichten in den meisten seiner Dokumentarfilme. Ich wiederum lasse den Zuschauer in die Welt eintauchen und will, dass der Zuschauer sehr intime Beziehungen mit den Individuen im Film aufbaut. Ich denke nicht dass Werners Dokumentationen, vielleicht mit der Ausnahme von „Grizzly Man“, diese besondere Art der Charakterentwicklung aufweisen. Werner nähert sich Dokumentationen auf eine andere Weise. Sein Ansatz ist komplett entgegen dem meinen.

Herzogs Stil wirkte auf mich immer sehr essayistisch.

Ich würde sagen Werner hat eine phantasierende und unzähmbare Vision und sieht und fühlt darin Dinge, einfach weil diese Vision so stark ist. Und er bringt den Zuschauer zu dem Moment, in dem er diese starke Vision auch fühlt. Dazu benutzt er jedes verfügbare Mittel, am wichtigsten ist dabei die Musik. Seine Art Musik zu nutzen ist unvergleichbar. Aber er benutzt auch seine Stimme in besonderer Weise, weil diese den Zuschauer dorthin bringt, wo er auch hingeht. Ich arbeite nicht auf diese Weise, ich habe einen anderen Ansatz.

"The Look Of Silence" startet aktuell in deutschen Kinos. Für Österreich steht noch kein Starttermin fest.

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