Wenn der Vorhang fällt – Der (Alb-)Traum vom Beruf am Theater

Glanz und Glamour auf der Bühne, harte Arbeit und oftmals wenig Anerkennung dahinter. Junge Assistent*innen und Hospitant*innen am Theater kämpfen mit prekären Arbeitsbedingungen, Machtgefällen und Überforderung. Ein Blick hinter die Kulissen zeigt, dass dringender Reformbedarf besteht.

© Adobe Stock (KI-generiert)

»In die Küche geschickt werden, Kaffee kochen und angemotzt werden, wenn man mit der vollen Kanne wieder reinkommt. Anderen den Dreck hinterherwischen und gerügt werden, weil der Staubsauger zu laut ist.« So beschreibt Hannah Helbig, Gewinnerin des Publikumspreises des Festivals Körber Studio Junge Regie 2024, in ihrer Performance »›Strukturen und Menschen‹ – Tagebuch einer Hospitantin 2.0« den Alltag als Regiehospitantin im deutschen Theaterkosmos.

Doch wie geht es an den Theatern in Wien zu? Wie steht es um die Arbeitsbedingungen, Aufgaben und den Alltag junger Assistent*innen, Hospitant*innen und Co? The Gap wirft dafür einen Blick hinter die Kulissen und altehrwürdigen Mauern der Spielstätten. Manche der Gesprächspartner*innen möchten anonym bleiben, weil sie Probleme mit ihren Arbeitgeber*innen und für ihre Zukunft in der Theaterbranche vermeiden wollen. Denn auch wenn die Theaterwelt glamourös und glitzernd wirkt, so kann die Arbeitsrealität in einer oftmals streng hierarchisch geprägten Struktur doch ganz anders aussehen.

Viel Arbeit, wenig Anerkennung

Die heute 23-jährige Johanna war mit dieser harten Realität an einer traditionsreichen Wiener Bühne konfrontiert. Schon immer theateraffin, erzählt ihr eine Studienkollegin von einer offenen Stelle als Regiehospitant*in. Ausgeschrieben sind solche Stellen selten, Vitamin B ist, wie so oft in Österreich, das Stichwort. Bereits im ersten Telefonat mit dem zuständigen Assistenten ist klar, was die Stelle mit sich bringen kann: »Viel Arbeit und wenig Anerkennung«, erinnert sich Johanna an das Gespräch. Diese Aussage bestätigt sich schnell. Zusammen mit dem Regieassistenten ist sie beispielsweise die einzige Person mit einem Schlüssel zum Proberaum. Wenn sich ihr Vorgesetzter verspätet, ist sie zuständig dafür, dass der Raum offen, versperrt oder gelüftet ist. Dafür muss sie viel erreichbar sein, was ihre Freizeitgestaltung deutlich einschränkt. Hinzu kommen zahlreiche weitere Aufgaben, die Johanna als eine »immense Anhäufung von kleinen Tätigkeiten« beschreibt.

Viel Arbeit, wenig Geld und dazu ganz unten in der Theaterhierarchie. Entlohnungen für Hospitant*innen, die in der Regel Vollzeit am Haus tätig sind, werden oftmals als »Taschengeld« bezeichnet. »Das waren um die 400 Euro«, berichtet Katharina (Name von der Redaktion geändert). Sie erzählt von ihrer Hospitanz in der Kostümabteilung eines großen Wiener Theaterhauses. In dieser Zeit lebt die junge Wienerin überwiegend von bereits im Vorfeld angespartem Geld. Denn ein zusätzliches Einkommen ist für die Hospitantin aus Zeitgründen nicht möglich und die 400 Euro reichen ohne finanzielle Unterstützung der Eltern nicht einmal für die Miete. »Ich habe hart gespart, damit ich quasi umsonst arbeiten kann«, meint sie kopfschüttelnd.

Stetige Verfügbarkeit

Katharinas Aufgabenbereiche sind umfangreich: Beschaffung von Kostümen und Materialien, Transport der Kostüme, Fotografie, Wäsche, Reparatur, aber auch Probenbeobachtung und Dokumentation. Oftmals sind es mehr als 40 Stunden in der Woche, die sie am Theater verbringt. Und ein Bestehen auf festgelegte Arbeitszeiten? »Man kann die Leute ja schlecht im Stich lassen«, so Katharina. Nach und nach wachsen ihre Anspannung und ihre Frustration. »Alle wurden zu irgendeinem Zeitpunkt einmal angeschrien.« Sie erzählt von einer Regisseurin und insbesondere einem Schauspieler. Der ältere Mann brüllte die junge Kostümhospitantin regelmäßig an – etwa wegen eines Knopfes, der ihm am Kragen geplatzt war. »Irgendwann war ich nervlich am Ende«, berichtet Katharina. Besagtem Theaterhaus kehrt sie nach Ende der Produktion den Rücken – auch aufgrund des prekären Arbeitsverhältnisses. Nach weiteren Tätigkeiten im Kostümbereich arbeitet Katharina nun seit mehreren Jahren in einem Bürojob. Zurück hinter die Bühne möchte sie nicht.»Alle wurden zu irgendeinem Zeitpunkt einmal angeschrien. Irgendwann war ich nervlich am Ende.«

Jakob hingegen hat den Traum von der großen Bühne nicht aufgegeben. Der 22-jährige Wiener studiert Regie am Max Reinhardt Seminar und konnte bereits einige Erfahrungen unter anderem als Regieassistent sammeln. Von Anfang an hat er am Theater das Gefühl, er sei mitunter von Menschen umgeben, die die Kunst auch als »Ausgleich für persönliche Probleme sehen«. Er erzählt von einer festgelegten »Hackordnung«, in der etwa Regisseur*innen Wut und Anspannungen an den ihnen untergeordneten Assistent*innen auslassen. »Und das einzige Ventil, das den Assistent*innen dann bleibt, ist meistens die Hospitanz«, so seine Einschätzung des seit Langem bestehenden Systems hinter den Theaterkulissen. Denn obwohl höhergestellt als Hospitant*innen, ist auch der Job als Regieassistent*in alles andere als ein Zuckerschlecken. Das bestätigen Jakob und auch andere Personen, mit denen The Gap über ihre Arbeitserfahrungen gesprochen hat.

Es braucht Veränderung

Von seiner Arbeit an einem Wiener Theaterhaus ist Jakob zeitweise überfordert. Er gilt schnell als zentrale Schnittstelle zwischen einzelnen Abteilungen, ist dem Regisseur untergeben und erfährt viel Druck von allen Seiten. »Es kam dann oft zu der Situation, dass ich am Abend vielleicht mal mit jemandem was trinken war und plötzlich meldete sich um 22 Uhr die Dramaturgie und wollte was von mir.« Fixe Arbeitszeiten gebe es für die Assistent*innen trotz vertraglich festgelegtem Stundenkontingent nicht. Es werde erwartet, dass sie in den Hochphasen allzeit zur Verfügung stünden und stets bei der Sache seien. »Die Leute machen dann oft unglaublich viele Überstunden, von denen die meisten auch nicht bezahlt sind«, erinnert sich Jakob. Alles für die Produktion. Das Privatleben wird hintangestellt.

Ein Thema, das Jakob nicht unangesprochen lassen möchte, ist teils missbräuchliches Verhalten, das er als Assistent auch am eigenen Leib von Regisseur*innen erfahren musste. Eine Erfahrung, die seiner Einschätzung nach viele junge Leute anfangs am Theater machen, sei es, nach und nach fertiggemacht zu werden und jegliche Fähigkeiten abgesprochen zu bekommen. So verabschiedete sich ein Regisseur etwa nach einem langen Probentag von jeder Person im Team, außer von dem ihm direkt untergeordneten Assistenten. Man fühle sich isoliert, hilflos, ausgegrenzt. »Es gab eine Zeit, in der meine Gedanken waren, ob es nicht leichter wäre, sich umzubringen«, blickt Jakob heute auf seine teils niederschmetternde Zeit am Theater zurück.

Was viele Assistent*innen und Hospitant*innen eint, ist das Kennenlernen und Definieren der eigenen Grenzen. Jakob, Katharina und Johanna – sie alle wuchsen mit der Zeit daran. Heute steuert Jakob auf eine Karriere als Theaterregisseur zu. Seine negativen Erfahrungen haben ihn nicht von seinen Plänen abbringen können. Jenen, die im Theater Fuß fassen möchten, rät er, »nicht alles mit sich machen zu lassen. Man sollte letzten Endes wirklich nur das machen, wofür man auch bezahlt wird.«

Trotz aller Rückschläge, Stress und einer oft viel zu großen Belastung geht eines den meisten nicht verloren: die Leidenschaft fürs Theater, die Leidenschaft für die Kunst, die Leidenschaft für die Bühne. Das Arbeiten mit immer unterschiedlichen und oftmals interessanten und bekannten Personen kann eine große Bereicherung darstellen. Viele der Gesprächspartner*innen blicken positiv in die Zukunft und freuen sich auf neue Herausforderungen und Facetten, die die bunte Theaterwelt für sie noch zu bieten hat. Eine Welt, die am besten im Team funktioniert und in der ein Miteinander essenziell für ein gutes Endprodukt ist.

Die festgefahrenen Machtstrukturen und Verhältnisse müssen sich jedoch ändern, um Überforderung und Unrecht hinter den Kulissen entgegenzutreten. Zu Recht fordern Assistent*innen und Hospitant*innen faire Entlohnung, feste Arbeitszeiten und insbesondere mehr Wertschätzung. Allen unseren Gesprächspartner*innen ist der Abbau der strengen Hierarchien wichtig, die nach wie vor an vielen Spielstätten herrschen. Denn es sollte ja eigentlich nie darum gehen, wer wie viel Macht hat, »sondern darum, dass die Aufgaben unterschiedlich verteilt sind«, so Jakob. Von einer Theaterwelt, die frei von patriarchalen Strukturen und Machtgefällen ist, sind wir also auch in Österreich noch weit entfernt. Umso wichtiger ist es, denen zuzuhören, die oftmals ungesehen immens viel dazu beitragen, dass uns dieser verrückte Kosmos der Kultur auch in Zukunft noch lange erhalten bleibt.

Die Arbeiterkammer bietet Informationen und Beratungen zu Arbeitsrecht an. In Krisenzeiten steht die Telefonseelsorge unter der Notrufnummer 142 rund um die Uhr unterstützend zur Seite.

Hinweis: Die vollständigen beziehungs­weise richtigen Namen unserer Gesprächs­partner*innen sind der Redaktion bekannt. Wie auch die konkreten Theaterhäuser, in denen sie ihre negativen Erfahrungen gemacht haben. Da wir die Situation als systemisches Problem der Theaterbranche verstehen, haben wir darauf verzichtet, einzelne Häuser zu nennen.

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