2007 hatten 52.600 US-Journalisten einen Vollzeitjob bei einer Zeitung. 2014 waren es nur noch 32.900. Und 2016 werden in Amerika nur noch halb soviele Redakteure und Reporter im Einsatz sein wie noch vor 16 Jahren.
Immerhin: Journalisten haben bessere Zukunftsaussichten als Taxifahrer. Diese Berufsgruppe wird sich verabschieden, sobald Googles selbstfahrende Autos massentauglich sind. Bereits jetzt findet diese Revolution auf der Straße statt, nämlich hier in Mountain View in Kalifornien.
Werden Journalisten am Ende zu den Gewinnern oder Verlierern des digitalen Umbruchs zählen? Kann man einem Studenten ruhigen Gewissens empfehlen, heutzutage noch Journalist zu werden?
Wenn mir jemand diese Frage stellt, muss ich immer an den aufgeblasenen Nachrichtensprecher denken, der vor langer Zeit einen Vortrag an meiner Tiroler Schule hielt. Ich, damals 16 Jahre alt und Redakteur der Schülerzeitung, ging schüchtern auf den ORF-Star zu: „Grüß Gott! Glauben Sie, dass junge Menschen Chancen haben, einen journalistischen Beruf zu finden?“ Antwort: „Journalist ist kein Beruf, sondern eine Berufung. Suchen Sie sich lieber etwas anderes.“
Ich bin froh, nicht auf den G’scheit-im-Bild-Mann gehört zu haben. Sonst könnte ich jetzt nicht im Silicon Valley von den vielleicht besten Online-Journalisten der Welt lernen, in der Redaktion des Internetmagazins OZY.
Neben mir sitzt „Mister Facebook“
Mein Schreibtischnachbar heißt Colin, geboren und aufgewachsen in Washington D.C.. Seit zehn Monaten ist der 23-Jährige „Social Media Manager“, einer der absoluten Leistungsträger im Redaktionsteam.
„Facebook is most important for OZY and everyone“, sagt Colin. Er ist so etwas wie „Mister Facebook“, weiß exakt, welche Art von Geschichten und Fotos zu welcher Tages- und Nachtzeit funktionieren, wie man Storys am besten anteasert und welche Headlines den Traffic erhöhen. Colins Wissen steigert die Reichweite und somit auch das Glück der OZY-Chefs und Investoren.
Erstaunlich: Colin startete wie ich als „old-fashioned Printman“.
An der Virgina Commonwealth University in Richmond studierte er vier Jahre lang „Print Journalism“. Seine ersten Berichte erschienen in der Studentenzeitung „The Commonwealth Times“: „I was the sport’s editor.“
Vor einem guten Jahr, knapp vor Ende seines Studiums, bewarb sich Colin beim „Dow Jones News Fund“. Diese nationale Organisation wurde 1958 von der „Wall Street Journal“-Legende Bernard „Barney“ Kilgore gegründet – mit dem Ziel, die Qualität der Journalistenausbildung zu erhöhen.
The journalist’s road to success
Nach einem strengen Test (Allgemeinwissen, „Headline Writing“ und „Copyediting“) wurde Colin als einer von zehn Kandidaten unter Tausenden Bewerbern akzeptiert.
Colin: „Wir wurden nach Phoenix, Arizona, geflogen und hatten dort eine Woche intensives Training in ,Digital Media’.“
Anschließend bekam jeder Preisträger ein dreimonatiges Internship finanziert. Colin landete beim „New Haven Register“, der zweitgrößten Tageszeitung in Connecticut. Nach der anfänglichen Euphorie die traurige Erkenntnis: „Von den drei Stockwerken des riesigen Redaktionsgebäudes wurde nur noch eines genutzt, und selbst diese Etage war nicht voll besetzt. Im halbleeren Newsroom saßen 30 Vollzeitjournalisten, zehn Jahre zuvor hatte die Redaktion noch mindestens drei Mal soviele Editors.“ Die Atmosphäre: „lacking energy and enthusiasm“, #nofuture.
Colin beschließt: „I don’t want to limit myself to newspapers.“
Er analysiert die wichtigsten Websites der Welt und büffelt als Autodidakt Social-Media-Strategien. 20 Bewerbungen schickt er ab. Fast kein Verlag antwortet, und wenn, mit einer Absage.
„Und dann, endlich, kam der Anruf von OZY“, strahlt Colin. „Einer der OZY-Chefs hat gesagt: ,Wir brauchen einen Social-Media-Profi wie dich.’ Yeah! Mein erster Job.“
Was er Journalistenschülern rät?
Colin: „Do not get discouraged just because newspapers are not hiring. There isn’t a lot of opportunity in newspapers. But there is unlimited opportunity for people who can write. Always keep an open mind.“
Zum Schluss zitiert Colin US-Idol Jesse Owens, den größten Leichtathleten der Sportgeschichte: „Um Erfolg zu haben, brauchst du nur eine einzige Chance.“
AD PERSONAM
Wolfgang Ainetter (hier auf Twitter) war Ressort-Leiter bei der Bild Zeitung, Chefredakteur der Gratis-Zeitung Heute und zuletzt Chefredakteur bei News – als längstdienender Chefredakteur nach dem Gründer. Diesen Sommer über bloggt Ainetter für The Gap über seine Hospitanz bei OZY im Silicon Valley.
WEITERLESEN:br />Erster Teil des Blogs – Die Bewerbung und die Vorgeschichte
Tag 4 Welcome To The Stone Age
Tag 5 Larry Page, Marissa Mayer und der Telefonzellenfabrikant
Tag 6 Anforderungsprofil für Silicon-Valley-Journalisten
Tag 7 Kann man mit Online-Journalismus Geld verdienen, Mister OZY?
Tag 8 Fingernägel, Nasenrotz und andere Erfolgsgeheimnisse
Tag 9 Friseure sind die besseren Schreiber
Tag 10 Nachts im Silicon Valley
Tag 11 The same procedure as every day and every week.
Tag 12 OZY = Apple = CNN = eBay = Google = Time Warner = White House
Tag 13 Redakteure Gates, Bush, Blair, Rice und Shriver
Tag 14 Gute Fotos sind die Feindbilder der Controller
Tag 15 Sind die Zeitungsverlage die „Chain Gangs“ der Google-Diktatur?
Tag 16 „The Voice“ und die Trommelfellkiller-Bosse
Tag 17 Ein Alien bei Starbucks und 7 weitere Short Stories aus dem Silicon Valley
Tag 18 König OZY, Steve Jobs und die Träume
Tag 19 Printjournalisten sind wie Blackberry, Palm oder Nokia