Mein Traum im Silicon Valley

Warum der ehemalige News-Chefredakteur für uns aus dem Silicon Valley bloggt? Kann man ab sofort hier bei Wolfgang Ainetter lesen.

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Vor genau 20 Jahren, im Juli 1995, begann ich beim Wochenmagazin NEWS in der Lehrredaktion des großen Aufdeckers Alfred Worm. Damals bekamen die Anzeigenkunden von den NEWS-Werbern mitunter einen Satz zu hören, der heute undenkbar wäre: „Es tut uns leid, aufgrund der vielen Schaltungen können wir Ihr Inserat diese Woche nicht mehr drucken.“ Aus Freude über die Millionengewinne flogen die damaligen Eigentümer, die Brüder Fellner, die gesamte NEWS-Redaktion einmal pro Jahr nach Sizilien, Tunesien oder in die Toskana. Wenn ich jungen Redakteuren heute von den vielleicht luxuriösesten Betriebsausflügen der Zeitungsgeschichte erzähle, lese ich in ihren Gesichtern, dass vor ihnen ein Opa steht, der vom Krieg erzählt.

Nichts ist mehr, wie es einmal war. Nicht einmal im traditionsverliebten Wien.

Ich bin mittlerweile 43 Jahre alt, ein Printler aus einer goldenen Zeit, die es längst nicht mehr gibt. Ein österreichischer Verleger, den ich schätze, hat unlängst sinngemäß geschrieben, Qualitätsjournalismus sei nur auf Papier möglich. Der gute Mann kennt OZY nicht. OZY.com.

Hier, im Silicon Valley, möchte ich lernen, wie der Journalismus der Zukunft aussehen könnte. Die nächsten zwei Monate werde ich in Mountain View, der „Hometown“ von Google, leben und bei OZY hospitieren, dem vielleicht spannendsten Online-Magazin der USA. Für mich ein Glücksfall.

Obama, Gates, Jobs, Springer

Meine Lehrer haben für The New York Times, The Wall Street Journal, The Economist, Financial Times oder Vice gearbeitet. Der CEO von OZY war Anchorman bei CNN, der Chefredakteur für den Pulitzer-Preis nominiert, ein Redakteur der Redenschreiber von Präsident Barack Obama.

Im September wird OZY zwei Jahre jung. OZY, angeblich die Lieblingswebsite von Bill Gates, gilt als Plattform für modernen Online-Journalismus. Die OZY-Philosophie: Storys abseits vom Einheitsbrei zu finden, mit originellen Zugängen; Themen zu setzen, über die im besten Fall die Welt spricht.

Investoren lieben Geschichten, gute Geschichten. Mit seinem „Silicon Valley Spirit“ gewann OZY etwa Laurene Powell Jobs (Witwe von Apple-Guru Steve Jobs), David C. Drummond (Google’s Chief Legal Officer) oder Axel Springer als Geldgeber.

24 story ideas

Mehrere tausend Studenten, Journalismusschüler und Journalisten haben sich dieses Jahr für ein „Internship“ bei OZY beworben. 99 Prozent bekommen eine Absage.

„What’s the best way to OZY?“, fragte ich mich also vor drei Monaten. Ein ehemaliger Chef half mir und schrieb eine Mail an Carlos Watson, den er persönlich kennt: Schau dir doch bitte diesen Ösi an. Also mich.

Zwei Wochen später mein erstes Google-Hangout mit Watson, jenem Mann, der für CNN mehrmals Barack Obama interviewt hat. „Yes, I will“, sage ich. „I want to do the shift from pure print journalism to the digital world. I want to modernize myself.“

In Österreich hätte mit Sicherheit Vitamin B gereicht. But this is not America.

Mister Watson sagt offen, dass man sich ein Internship verdienen müsse, weil er zu jedem der zigtausenden Bewerber fair sein wolle. Er diktiert mir die Hausaufgaben: eine 15 Seiten lange Website-Kritik des OZY-Magazins. Dazu die Analyse von fünf herausragenden und fünf weniger geglückten OZY-Storys. Weiters eine Art „job description“, wie OZY von mir profitieren könne und umgekehrt. Und zuletzt soll ich mir 24 „story ideas“ einfallen lassen.

Ach du meine Güte.

Nach Carlos Watson führen der Co-Founder und der Chefredakteur jeweils 45 Minuten lange Telefoninterviews mit mir. Ich muss grinsen: So gründlich wurde ich nicht einmal bei den Vorstellungsgesprächen für meine Jobs als Redaktionsleiter durchleuchtet.

Dann, endlich, das erlösende: „Congratulation, Wolfgang! We’re excited to have you join up this sommer.“

Yeeeeeeah!

Diesen Montag habe ich meinen ersten Arbeitstag.

AD PERSONAM

Wolfgang Ainetter (hier auf Twitter) war Ressort-Leiter bei der Bild Zeitung, Chefredakteur der Gratis-Zeitung Heute und zuletzt Chefredakteur bei News – als längstdienender Chefredakteur nach dem Gründer. Diesen Sommer über bloggt Ainetter für The Gap über seine Hospitanz bei OZY im Silicon Valley.

WEITERLESEN:

2013 hat The Gap den bekennenden Boulevard-Journalisten Wolfgang Ainetter gemeinsam mit dem Medienblogger Helge Fahrnberger hier ausführlich interviewt.

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