Was bringt Spaßprotest?

Angewiderte Bürger tun ihren Unmut über Karl-Heinz Grasser über Twitter-Witzchen kund. Wiener Clubbetreiber protestieren gegen die Sperrstundenpolitik der Stadt mit dem lustigen Video-Viral „Ursula Stressend". Eh ganz lustig. Bleibt bloß die Frage: Macht Spaßprotest mehr als nur Spaß?

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Es war mehr als eine dieser lustigen Ideen, die sich, ohne großen Hintergedanken im sozialen Netzwerk abgesondert, verselbstständigen. Keine zufällige Eigendynamik, sondern ein kalkulierter Kampagneneffekt und ein professionelles Produktionsteam standen hinter dem Video „Ursula Stressned". Vertreter der Wiener Clubszene hatten unter dem Namen „Copy Paste“ ein Viral-Video in Umlauf gebracht, das den Duck-Sauce-Hit „Barbra Streisand" auf Ursula Stenzel ummünzte. Die gesamte Szenerie des Videos war von New York nach Wien umgelegt worden – wo Ursula Stenzel, die auf Law and Order bedachte Bezirksvorsteherin der Wiener Innenstadt, auch über eine rigorose Einhaltung der Sperrstunde wacht. Weil in richtigen Städten aber rund um die Uhr gefeiert werde, war der Aufruf des Videos eben: „Ursula, stress ned!". Eine amüsante und letztlich vieltausendfach aufgerufene Kampfansage an die Wiener Sperrstundenpolitik.

Weniger geplant, doch um nichts weniger weitreichend im Web 2.0: die Causa Karl-Heinz Graser und dessen Unschuldsgeltungsvermutung. Auf den Hashtag #grassermovies gab es schnell eine ganze Flut an Reaktionen und Variationen auf bekannte Filmtitel. Von „Die fabelhafte Welt der Amnesie“ bis „Erwischen Impossible“. Auf die Multiplikation des Protests setzte erst zu Redaktionsschluss das satirisch-verwackelte Werbevideo einer kleinen Salzburger Bio-Brauerei, des Brauhaus Gusswerk. Darin plauderte der Braumeister, das peinliche Englisch des zurückgetretenen EU-Abgeordneten und ÖVP-Lobbyisten Ernst Strasser imitierend, vor Undercover-Reportern aus, wie er aus Hopfen, Wasser und Malz sein „Brewing Business" entwickelt. Dass Protest oder auch nur Unmut mit Witz kundgetan wird, ist kein Phänomen der Gegenwart. Beispiele für Witz als Kritik an politischer Systematik gibt es zahlreiche. Selbst im Dritten Reich konnten Kabarettisten die Herrschaft der Nationalsozialisten ins Lächerliche ziehen, ohne gleich dafür belangt zu werden. Auch am Hofe eines mittelalterlichen Herrschers war der Hofnarr der einzige, der ungestraft Kritik unter dem Deckmantel des Witzes, am Herrscher üben konnte. Wohl auch, weil er dazu beitrug, eben diese Herrschaft aufrechtzuerhalten. Ein Streifzug durch die Kulturgeschichte zeigt, dass es sich bei den aktuellen Spaßprotesten keineswegs um eine Neuerfindung des 21. Jahrhunderts handelt. Wobei die Frage offen bleibt, inwiefern gerade auch die dezentral übers Internet verbreitete Formen des Protests im Stande sind, wirklich etwas zu beeinflussen. Im Falle des Sperrstundenprotests um „Ursula Stressend" schlägt das System mittlerweile gnadenlos zurück. Die hinter der Kampagne steckenden Clubs werden derzeit besonders rigoros kontrolliert, ob sie die vom Gesetzgeber vorgegebenen Sperrstunden auch wirklich einhalten.

Weiterführendes unter www.thegap.at/wortwechsel

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