Angewiderte Bürger tun ihren Unmut über Karl-Heinz Grasser über Twitter-Witzchen kund. Wiener Clubbetreiber protestieren gegen die Sperrstundenpolitik der Stadt mit dem lustigen Video-Viral „Ursula Stressend". Eh ganz lustig. Bleibt bloß die Frage: Macht Spaßprotest mehr als nur Spaß?
Wer verarscht, wird verarscht!
Die Frage müsste wohl eher lauten: Was bringen Proteste? Denn auch Aktionen wie „Grassermovies“ oder „Ursula Stressned“ sind nicht einfach vom Himmel gefallen. Wie bei jeder anderen Form von Protest stecken dahinter vor allem Unzufriedenheit mit gesellschaftlichen oder politischen Verhältnissen. So lustig die „Grassermovies“ auch waren, im Hintergrund schwangen doch immer die Skandale rund um Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser mit. Und genau hier setzen Proteste wie „Grassermovies“ an: Wenn er uns verarscht, dürfen auch wir ihn verarschen! Jene Aktion scheint zwar in der Causa nichts verändert zu haben – erreichte aber trotzdem ein wichtiges Ziel von Protesten: große (mediale) Aufmerksamkeit. Die Gesellschaft wehrt sich – und dafür braucht man sich nicht mehr an Bäume zu ketten oder Parolen an die Wände zu schmieren.
Marlene Altenhofer, 23, hat Publizistik und Kommunikationswissenschaften sowie Anglistik studiert. Sie ist Society-Redakteurin bei /Woman/ und war eine der Ersten, die bei den „Grassermovies" mitgetwittert haben.
Lieber Spaßprotest als gar kein Protest
In der heutigen Zeit wird viel zu viel ganz einfach so hingenommen, nach dem Motto: „Was auf den Tisch kommt, wird - ohne darüber nachzudenken - einfach gefressen. Die meisten Menschen sehen es nicht einmal mehr als Option an, in irgendeiner Form zu protestieren. Der Mensch sollte sich nicht alles so gefallen lassen, man sollte sich mitteilen, wenn man sich ungerecht behandelt fühlt. Dafür gibt es viele Wege. In unserem Fall wollen wir unsere Message durch gute Laune und positive Energie unter das Volk mischen. Um auf die Frage zurückzukommen, was Spassprotest bringt: Es bringt auf jeden Fall mehr als gar kein Protest. Unzufriedenheit einfach runterschlucken ist ungesund und wie will man Themen behandeln, die niemand vorgibt. Das „Ursula Stressned“- Projekt hat auf jeden Fall eine Diskussion ausgelöst, wurde von vielen Medien im In- und Ausland behandelt und war erst der Grundstein für ein weiteres kreatives Schaffen.
Copy Paste setzt sich als anonyme Aktionismus-Plattform u.a. mit dem Video "Ursula Stressned" für die Sperrstundenverlängerung in Wien ein. In dem Video tauchen allerlei Szene-Figuren auf, darunter Mel Merio, Patrick Pulsinger, Hennes Weiss (Pratersauna), Rudi Wrany (Flex), Christopher Just, Katha Schinkinger und Tamara Mascara.
Bloß postmoderne Beliebigkeit
Mitunter scheint es mir, als sei meine Generation die letzte gewesen, die sich seinerzeit noch aufraffte, eine angebrachte Sturm-und-Drang-Phase zu durchleben, die sich immer noch anschickt, wider das Patriarchat aufzubegehren, gegen soziale Ungerechtigkeit auf die Straße zu gehen und die es nicht als vergebene Liebesmüh sieht, sich etwas Wissen anzueignen ehe sie sich zum Tagesgeschehen äußert – möglicherweise die letzte Generation, die sich überhaupt noch ab und an zu einer politischen Haltung durchringen kann. Mein längst überfälliges Outing als über dreißig Jahre alte und potentiell verbitterte Frau und Feministin wäre also hiermit erfolgt. Der Terminus Spaßaktionismus evoziert vielleicht vordergründig positive Assoziationen weil Aktionismus erstens eine wünschenswerte Sache ist und was sollte schon - zweitens - gegen Spaß einzuwenden sein? Nun ist es ist natürlich erstmal eine gute Sache, dass die jungen Leute überhaupt etwas machen. Aber die in Verbitterung überaus versierte Feministin wird leider rasch stutzig, wenn sich sämtliche Vorurteile, die gegen die Nachfolgegenerationen - bei der tagtäglichen Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel gehegt und gepflegt - bestätigen, sobald man auch nur oberflächlich am Lack dieser Flashmobs, Smartmobs, Twitter-Hashtags und der sonstigen Aktionismen zu kratzen beginnt. Gründliches Nachdenken, die Aneignung von Hintergrundwissen, das Verstehen von Zusammenhängen und die reflektierte Inbetrachtnahme derselben scheint vielen der Partizipanten eher Zumutung denn Voraussetzung zu sein. Es ist ja auch unbestritten wesentlich bequemer, postmoderne Beliebigkeit zu leben als eine Poststrukturalismus-Vorlesung zu besuchen.
“The Next Social Revolution” (Howard Rheingold, 2002) kann ich also beim besten Willen (noch) nicht in diesen punktuellen Aktiönchen aufkeimen sehen. Allerdings gibt es auch immer wieder regionale Erfolgsstories, die das Phänomen für sich verbuchen kann; so sollen etwa diverse Smartmobs in Kalifornien kleinen Bio-Läden Umsatzpeaks beschert haben und korrupte Politiker fürchten sich mitunter vor dem Auftauchen schwarz gekleideter Demonstranten. Es bleibt daher vorerst abzuwarten, ob die nächste Revolution nicht doch noch aus Polsterschlachten, Social Media Buzz Words und Gummientchen gestrickt werden wird.
Evelyn Fürlinger, 34, hat Anglistik und Germanistik studiert. Sie lebt und arbeitet in Wien – u.a. als Teil des offen widerständigen Künstlerkollektivs Monochrom.
Mehr Abwehr als Gegenwehr
Für mich sind diese so genannten Spaßproteste - ein Wort, das ich für mich nicht gelten lassen möchte - nichts anderes als die massenkompatible Fortführung des einstmals politischen Kabaretts mit dem Verständnis und den Kommunikationsmitteln einer heutigen Gesellschaft. Protest darf und soll zwar Lust machen und befreien, er soll aber auch zum Handeln und Verändern anregen. „Lachen” ist dabei meist die ursprünglichste Form, mit einem Problem fertig zu werden. Im Großen und Ganzen habe ich aber nach all den Jahren des ProtestSongContests bemerken müssen, dass die österreichische Seele mehr auf Abwehr als auf Gegenwehr gepolt ist.
Gerald C. Stocker, geboren 1968, ist Erfinder des „ProtestSongContest” im Wiener Rabenhof, hauptberuflich für die Kommunikation des Staatsopernballetts zuständig und regelmäßiger Verfasser von Musikkritiken in The Gap.
Die Tortung als Grundpfeiler des Gesellschaftsvertrags
Im neoklassischen Gottesstaat gilt neben dem Geld auch für die Aufmerksamkeit: Die Reichen werden reicher, die Armen ärmer, also bedeutungsloser. Sie verlieren zunehmend ihre politische Vertretung und damit die gesetzliche Verankerung ihrer Ansprüche auf einen Anteil an den vorhandenen Ressourcen. Gegen diese Marginalisierung kann man versuchen anzurennen, indem man sich in Castingshows von geifernden Zynikern demütigen lässt, pünktlich zur Nachtschicht in der Fun Factory erscheint oder sich im Hauptabendprogramm von seinem Vater mit dem Auto über den Haufen fahren lässt. Wer es sich noch leisten kann, greift freilich zu weniger körperfeindlichem, metaphorischerem Aktivismus. Ideen hierfür finden sich etwa beim Schweizer Uhrmachersohn Jean-Jacques Rousseau, der bekanntlich einer jungen Fürstin den Vorschlag in den Mund legt, das Volk solle, wenn es kein Brot habe, eben Brioche, also Kuchen essen. Die fiktive Monarchin beweist in diesem Zitat ihre Geistesgegenwart, indem sie mühelos zwischen der Bevölkerung und diversen Backwaren unterscheidet. Mittlerweile, an der Schwelle von der Demokratie zum aufgeklärten Lehenswesen wird der Bürger von der herrschenden Klasse allerdings in zunehmender Häufigkeit mit Tortendiagrammen verwechselt. Es handelt sich also durchaus um einen Dienst am Gemeinwesen, wenn Teile der Zivilgesellschaft den Entscheidungsträgern helfen, sie nicht allzu sehr aus den Augen zu verlieren, indem sie sich in zuckriger Form zurück ins Gesichtsfeld rücken. Womöglich finden sie sich dann ja sogar gegenseitig ganz süß und alle werden doch noch Freunde.
Hosea Ratschiller, 29, ist Kabarettist, FM4-Ombudsmann und war bis vor kurzem auch im Rahmen der mittlerweile abgesetzten Ö1-Satiresendung „Welt ahoi!" tätig.
Es war mehr als eine dieser lustigen Ideen, die sich, ohne großen Hintergedanken im sozialen Netzwerk abgesondert, verselbstständigen. Keine zufällige Eigendynamik, sondern ein kalkulierter Kampagneneffekt und ein professionelles Produktionsteam standen hinter dem Video „Ursula Stressned". Vertreter der Wiener Clubszene hatten unter dem Namen „Copy Paste“ ein Viral-Video in Umlauf gebracht, das den Duck-Sauce-Hit „Barbra Streisand" auf Ursula Stenzel ummünzte. Die gesamte Szenerie des Videos war von New York nach Wien umgelegt worden – wo Ursula Stenzel, die auf Law and Order bedachte Bezirksvorsteherin der Wiener Innenstadt, auch über eine rigorose Einhaltung der Sperrstunde wacht. Weil in richtigen Städten aber rund um die Uhr gefeiert werde, war der Aufruf des Videos eben: „Ursula, stress ned!". Eine amüsante und letztlich vieltausendfach aufgerufene Kampfansage an die Wiener Sperrstundenpolitik.
Weniger geplant, doch um nichts weniger weitreichend im Web 2.0: die Causa Karl-Heinz Graser und dessen Unschuldsgeltungsvermutung. Auf den Hashtag #grassermovies gab es schnell eine ganze Flut an Reaktionen und Variationen auf bekannte Filmtitel. Von „Die fabelhafte Welt der Amnesie“ bis „Erwischen Impossible“. Auf die Multiplikation des Protests setzte erst zu Redaktionsschluss das satirisch-verwackelte Werbevideo einer kleinen Salzburger Bio-Brauerei, des Brauhaus Gusswerk. Darin plauderte der Braumeister, das peinliche Englisch des zurückgetretenen EU-Abgeordneten und ÖVP-Lobbyisten Ernst Strasser imitierend, vor Undercover-Reportern aus, wie er aus Hopfen, Wasser und Malz sein „Brewing Business" entwickelt. Dass Protest oder auch nur Unmut mit Witz kundgetan wird, ist kein Phänomen der Gegenwart. Beispiele für Witz als Kritik an politischer Systematik gibt es zahlreiche. Selbst im Dritten Reich konnten Kabarettisten die Herrschaft der Nationalsozialisten ins Lächerliche ziehen, ohne gleich dafür belangt zu werden. Auch am Hofe eines mittelalterlichen Herrschers war der Hofnarr der einzige, der ungestraft Kritik unter dem Deckmantel des Witzes, am Herrscher üben konnte. Wohl auch, weil er dazu beitrug, eben diese Herrschaft aufrechtzuerhalten. Ein Streifzug durch die Kulturgeschichte zeigt, dass es sich bei den aktuellen Spaßprotesten keineswegs um eine Neuerfindung des 21. Jahrhunderts handelt. Wobei die Frage offen bleibt, inwiefern gerade auch die dezentral übers Internet verbreitete Formen des Protests im Stande sind, wirklich etwas zu beeinflussen. Im Falle des Sperrstundenprotests um „Ursula Stressend" schlägt das System mittlerweile gnadenlos zurück. Die hinter der Kampagne steckenden Clubs werden derzeit besonders rigoros kontrolliert, ob sie die vom Gesetzgeber vorgegebenen Sperrstunden auch wirklich einhalten.
Weiterführendes unter www.thegap.at/wortwechsel