Wortwechsel: Song Contest, quo vadis?

Ursprünglich wurde der Eurovision Song Contest mit dem Wunsch gegründet, Europa näher zusammenzubringen, über einen technisch wie institutionell einmaligen Zusammenschluss europäischer Sendeanstalten. Seitdem ist einige Zeit vergangen, die Medien- und Musiklandschaft hat sich mehr als einmal gewandelt, doch der ESC scheint nach wie vor seinen fixen Platz zu haben. Dennoch stellt sich die Frage, wie die Zukunft des Grand Prix aussieht und spezifisch die Zukunft der österreichischen Delegation. Was wollen Fans von Song Contest und ORF, was die teilnehmenden Musiker*innen, was die breitere österreichische Musikszene? Wie soll künftig entschieden werden, wer für Österreich zum ESC fährt? Wer soll mitreden können, wer befragt werden? Welches Potenzial steckt im Song Contest? Geht es nur um den Sieg oder gibt es andere Erfolgskriterien? Welche Bedeutung kann der Song Contest in Zukunft für Österreich und für Europa haben?

Pænda

Singer-Songwritern, ESC-Teilnehmerin

Pænda (Foto: Lukas Plöchl)

Legitimes Karriere-Sprungbrett

Der Song Contest: geliebt, gehasst, verurteilt, vorverurteilt, bejubelt – oder für manche schlichtweg uninteressant. Und obwohl jede*r denken darf, was er*sie möchte: Mich fasziniert, wie verschieden die Beliebtheit von Land zu Land ist. Wer’s nicht weiß: Österreich gehört diesbezüglich zu den Ländern, in denen das Ansehen des ESCs nicht gerade hoch gehalten wird. Das führt eben dazu, dass – obwohl die Reichweite und Plattform riesig wäre und der Nutzen sehr hoch sein könnte – sich dann doch viele Musiker*innen (die es »ernst« meinen) scheuen, auch nur damit in Kontakt zu kommen. Das finde ich persönlich sehr schade, könnte es doch ein super Sprungbrett sein (wie zum Beispiel in Schweden oder Italien). Ich glaube aber, die leider berechtigte Angst, zuerst gehatet und danach als kredible Musiker*in gecancelt zu werden, obwohl man tatsächlich in der Tätigkeitsausführung nichts anders macht als die Kolleg*innen, die nicht teilnehmen, machen es eine*r Musiker*in natürlich etwas unschmackhaft, die Chance wahrzunehmen, obwohl er*sie es vielleicht sogar machen wollen würde.

An dieser Stelle möchte ich auch betonen: Ich habe auf der anderen Seite sehr wohl den Eindruck, der ORF ist jedes Jahr bemüht, genau solche authentischen Musiker*innen in die Auswahl zu schicken, und ich wünsche mir auch, dass das so bleibt und vielleicht sogar noch mehr darauf geachtet wird, diese Linie zu verfolgen. Das interne Auswahlverfahren finde ich dabei nicht schlecht, solange die Jurys gut gewählt sind und absolut keinen eigenen Vorteil daraus ziehen können; auch andere Länder machen das so. Wieder eine Entscheidungsshow einzuführen, wäre natürlich auch eine Möglichkeit, allerdings wage ich zu bezweifeln, dass durch das »Mitspracherecht« der Bevölkerung beziehungsweise Fans, die »Zufriedenheit mit dem Ergebnis« tatsächlich steigen würde.

Ich glaube jedenfalls: In einer Zeit, in der Castingshows und Tiktok als Sprungbrett ihre Berechtigung haben, wäre es nur fair, auch den Song Contest (wieder) als legitime Plattform anzuerkennen.

Pænda ist Singer-Songwriterin, Producerin und betreibt ihr eigenes Label Sick Kick Records. Sie vertrat Österreich beim Song Contest 2019 in Tel Aviv. Im Herbst erscheint mit »Call Me Cat« ihr drittes Album.


Marco Schreuder

ESC-Kommentator, -Podcaster

Marco Schreuder (Foto: Niko Ostermann)

Versäumte Tradition

2023 geht bereits die 67. Ausgabe des Eurovision Song Contest über die Bühne. Erstaunlich, wie lange sich das Format halten kann. Was immer gleich blieb: Der Song Contest ist für alle Generationen da. Auch die junge Generation liebt die Show noch immer. Trotzdem musste der Song Contest sich in seiner Geschichte kontinuierlich anpassen, auch wenn das Grundgerüst gleich blieb.

Die Anpassung an die Dramatik der Klimakatastrophe steht aber noch aus. Dies obwohl Greta Thunbergs Mutter 2009 Schweden vertrat. Noch immer ist eine Flughafenanbindung zentrale Voraussetzung eines Austragungsortes, nicht die Zuganbindung. Man möchte, dass Tausende Beteiligte in Flugzeuge steigen. Hier ist Umdenken notwendig. Die Pandemie zeigte eine Möglichkeit. Als die Kinderausgabe (Junior Eurovision) Ende 2020 über die Bühne ging, wurden die Beiträge aus den Heimatländern zugeschaltet. Es klappte überraschend gut. Das gemeinsame Feiern der Fans in Vielfalt ist freilich ebenso wesentlicher Bestandteil. Um beides zu ermöglichen, braucht es neue Konzepte.

In Österreich hat man bereits in den frühen Jahren des ESC verabsäumt, eine Tradition zu etablieren. Wenn in Schweden die nationale Vorausscheidung Melodifestivalen ausgestrahlt wird, sind die Straßen leer. Ebenso bei der Mutter der Eurovision, dem italienischen Sanremo-Festival.

Es wäre eine schöne öffentlich-rechtliche Aufgabe ein Art Sanremo Österreichs zu etablieren, statt jedes Jahr das Rad neu zu erfinden, wie man zu einem österreichischen Beitrag kommt. Man könnte es sogar zu einem Fest der österreichischen Musik machen, bei dem die Wahl eines ESC-Beitrages nur ein Teilaspekt wäre. Für die österreichische Pop-Community gibt es kaum noch große öffentliche Bühnen, in denen sie ihre Arbeit präsentieren können. Das Festival di Sanremo zeigt, wie es geht. Dort treten Schlager, Rap, Indie und Rock miteinander auf, und Künstler wie Måneskin oder Mahmood erobern so die Welt. Die Sparpläne des ORF lassen aber vermutlich weiterhin leider nur eine interne Auswahl zu.

Marco Schreuder ist Unternehmer, betreibt den ESC-Podcast »Merci, Chérie« und berichtet für den Standard zum ESC. 1976 bestaunte er als Siebenjähriger, frisch aus den Niederlanden in Österreich, den ESC aus Den Haag im österreichischen TV. Seitdem hat er keinen verpasst. Er sitzt für die Grünen Wien im Bundesrat.


Karin Pointner

Fanklub-Moderatorin, ESC-»Fangirl«

Karin Pointner (Foto: Karin Pointner)

Buntes Potpourri

Für viele Fans ist das ganze Jahr über Song Contest. Die Zeit nach dem Finale wird »P.E.D.« genannt – Post Eurovision Depression. Denn nach dem Hype schlägt der Alltag wieder zu und es dauert wieder ein Jahr bis zum nächsten ESC. Das klingt für viele verrückt, aber dieses ganze »Drumherum« ist es, das uns Fans begeistert. Damit meine ich die Vorentscheidungsshows wie zum Beispiel das schwedische Riesen-TV-Event Melodifestivalen. Damit meine ich Fanklub-Treffen wie unsere jährliche »ESC-Preview« von OGAE bei der wir uns gemeinsam die Musikvideos aller teilnehmenden Delegationen anschauen.

Der ESC ist mehr als nur eine Samstagabend-Fernsehsendung. Deshalb geht es mehr als um einen Sieg. Es geht ums Gehörtwerden, es geht um strahlende Gesichter von Fans, die für Pre-Partys mit Auftritten der ESC-Acts durch ganz Europa reisen, es geht um internationale Aufmerksamkeit, Streaming-Klicks und natürlich nach wie vor um das Verbindende an diesem Event.

Als weiblicher Hetero-Fan finde ich es wichtig, dass das Event von außen nicht als »quasi Fußball-WM für schwule Männer« gesehen wird, wie mir 2015 jemand während der ESC-Woche in Wien erklärte. Sondern als das, was es ist: ein Event, das unterschiedlichste Menschen zusammenbringt. Auch heuer werden wir wieder ein kostenloses Public Viewing im Wiener Votiv Kino organisieren. Und wie in den Vorjahren bin ich mir sicher, dass an diesem ESC-Abend wieder ein breites Spektrum an Menschen dabei sein wird. Jung, Alt, Queer, Hetero, Pop, Rock, Trash – der Song Contest vereint ein buntes Potpourri an Menschen, Meinungen, Musikgenres und Geschmäckern.

Ich wünsche mir, dass der ORF und die österreichische Musikszene das Potenzial, das in diesem Event steckt, sehen bzw. erkennen. Nach dem Sieg von Conchita war die (finanzielle) Angst vor einem weiteren Austragen des ESC scheinbar groß. Heuer hat man sich Gedanken gemacht, viele Stimmen in die Auswahl des Acts einbezogen. Ich drücke die Daumen, dass diese Stimmen auch zukünftig gehört werden.

Karin Pointner ist Fanklub-Moderatorin bei der Organisation Générale des Amateurs de l‘Eurovision (OGAE) Austria, dem österreichischen Ableger des größten ESC-Fanklub-Netzwerkes. Infos zu Verein und Veranstaltungen gibt es auf www.ogae-austria.at.


Andreas Jantsch

Geschäftsführer Las Vegas Records

Andreas Jantsch (Foto: Karo Pernegger)

Ein Fest für die heimische Szene

Die meistgesehene Unterhaltungssendung in ganz Skandinavien ist das Melodifestivalen – der Vorausscheid Schwedens für den ESC. Begleitet von für die Industrie so wichtigen Assets wie Playlisten, CDs und DVDs wird dort die schwedische Musikszene gefeiert. Jeder Act will dabei sein – quer durch das schwedische Musikgemüsebeet.

Anstatt sich an diesem Role Model zu orientieren, wird der ESC (und dessen Vorausscheid) bei uns stiefelterlich behandelt: Obwohl die Szene boomt und ständig wächst, ist hierzulande kaum jemand bereit, sich für den ESC aufstellen zu lassen oder an einem Vorausscheid teilzunehmen. Aber warum ist das so? Liegt es an der leicht angestaubten Vorstellung des ORF, wie eine zeitgemäße Musiksendung im Hauptabendprogramm auszusehen hat? Sind es die rigorosen Eingriffe, die sich der ORF bei den Verlags- und Nutzungsrechten einräumt? Ist es die hohe Wahrscheinlichkeit in der Versenkung zu verschwinden, wenn man als Österreicher*in zum ESC fahren darf? Oder ist der ESC einfach uncool?

Der letzte erwähnenswerte Vorausscheid im österreichischen Fernsehen fand 2015 statt und legte den Grundstein für die Karrieren von Dawa, Folkshilfe und Zoë. In einer aufwendigen und gutgemachten Show zeigte die gesamte Szene ihr Können – von renommierten Indie-Acts wie Kommando Elefant oder Johann Sebastian Bass bis hin zu Pop-Größen wie Lemo oder Kathi Kallauch. Danach hieß es 2016 ein letztes Mal: »Wer singt für Österreich?«. Ein Blick auf die zehn Teilnehmer*innen von damals zeigt aber, dass niemand die Sendung für die eigene Karriere nutzen konnte, außer der bereits zuvor bekannten Zoë. Seitdem werden die Teilnehmer*innen von dem (von mir hochgeschätzten) Eberhard Forcher ausgewählt und dem bevormundeten Publikum vorgesetzt.

In Zeiten, in denen es ohnehin keine richtige Musiksendung im ORF gibt (außer den Amadeus und Schlager natürlich), könnte da nicht eine zeitgemäße, bunte und vielfältige Show im Hauptabend ein Fest für die heimische Szene sein? Und ja, es wird wohl auch notgedrungen jemanden geben müssen, der diese Show gewinnt und für Österreich zum ESC fährt. Lassen wir dann doch bitte unsere Teilnehmer*innen wieder in die Mitte der Szene zurückkehren – ganz egal, wie viele Punkte sie geholt haben.

Andreas Jantsch ist Geschäftsführer des Wiener Labels Las Vegas Records. Zudem war er verantwortlich für das Management von österreichischen Bands wie Leyya, Dawa und Kommando Elefant.


Der Eurovision Song Contest findet heuer von 9. bis 13. Mai in Liverpool statt. Für Österreich gehen Teya & Salena mit »Who The Hell Is Edgar?« an den Start. Die beiden Semifinale am Dienstag und Donnerstag sowie das Finale am Samstag werden jeweils ab 21 Uhr vom ORF übertragen. Für FM4 kommentieren Jan Böhmermann und Olli Schulz das Finale.

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