Wortwechsel: Wer zahlt für Gratiskonzerte?

Gratiskonzerte sind nicht immer so gratis, wie sie scheinen. Vier Perspektiven auf Preis, Nutzen und Gefahren von Musik für lau.

© Juergen Hoerl, Edvard Orell, Barracuda Music, Florian Wörgötter

Sommer, Sonne, Open Air – die wärmste Jahreszeit ist nicht nur die Saison für Festivaltickets im dreistelligen Euro-Bereich, sondern am anderen Ende des Kostenspektrums auch für diverse Konzertangebote bei freiem Eintritt. Mit Popfest, Wir sind Wien, Donauinselfest usw. lässt sich schon allein in der Bundeshauptstadt der Freizeitkalender für lau füllen. Doch wer übernimmt die Kosten, wenn es nicht die Besucher*innen tun? Wie können Venues gegen die Gratiskonkurrenz bestehen? Wer ist noch bereit, Geld für Musik zu zahlen, wenn alles umsonst ist? Und: Welchen Wert haben Gratiskonzerte? Inwiefern bereichern sie die Szene?

Monika Erb

Geschäftsführerin Basiskultur Wien

Monika Erb (Bild: Juergen Hoerl)

Barrieren abbauen

Kunst und Kultur zu genießen, ist ein Privileg, das nicht allen gleichermaßen zugänglich ist. Erstens muss man sich den Eintritt leisten können und zweitens muss ein Konzertbesuch auch geplant werden. Das heißt, es braucht zeitliche Ressourcen, Wege müssen zurückgelegt und mögliche Betreuungspflichten ausgelagert, gegebenenfalls auch bezahlt werden. Dann stellen sich noch die Fragen, ob es einen Dresscode gibt und ob ich diesen erfüllen kann, welches Verhalten erwartet wird, ob ich mich ohnehin in einem Kreis von Kunstinteressierten bewege oder ob das Neuland für mich ist und somit mit Unsicherheit verbunden. Als Gesellschaft tragen wir die Verantwortung, Barrieren abzubauen und Kunst und Kultur allen Menschen zugänglich zu machen – unabhängig von ihrer sozialen Verortung. Dazu braucht es kostengünstige Veranstaltungen ebenso wie kostenfreie im öffentlichen Raum, außerdem Veranstaltungen an dezentralen Orten und ohne Konsumzwang. Und genau hier setzen wir mit dem Wir sind Wien Festival an. Mit einem breiten Programm, in dem sich alle Bewohner*innen und Besucher*innen Wiens wiederfinden können, kommen wir direkt zu den Menschen, in ihren Park, ihre Nachbarschaft, ihr Grätzl. Wir verstehen Kunst und Kultur als verbindendes Element, das spielerisch dazu einlädt, sich auf Unbekanntes einzulassen, zum Austausch anregt und vor allem Spaß machen soll.

Dass Kulturveranstaltungen bei freiem Eintritt überhaupt stattfinden können, ist selbstverständlich nur durch Förderungen möglich bzw. auch mithilfe von Unterstützer*innen und Sponsor*innen.

Wir merken natürlich schon, dass manche Bands keine Gratiskonzerte mehr spielen, weil sie problemlos Konzertsäle ausverkaufen. Aber für viele, vor allem für junge Künstler*innen bietet das Wir sind Wien Festival die Möglichkeit, sich gegen Gage erstmals einem größeren Publikum zu präsentieren, neue Formate auszuprobieren und mit dem Publikum unmittelbar in Austausch zu treten. Und im besten Fall wecken wir bei unserem Publikum auch nachhaltig die Begeisterung für Kunst und Kultur.

Monika Erb ist Geschäftsführerin von Basiskultur Wien. Der Verein zeichnet neben dem Wir sind Wien Festival unter anderem auch für den Kultursommer Wien verantwortlich.

Harry Jenner

Konzert- und Festivalveranstalter

Harry Jenner (Bild: Barracuda Music)

Feste feiern, wie sie fallen

Dass Gratiskonzerte etwas Gutes sein müssen, scheint einerseits ja aufgelegt – weil: Wieso sollten sie es nicht sein? Andererseits zeigt schon die obige Fragestellung, dass es – wenn man es genau nimmt – eigentlich keine Gratiskonzerte gibt. Irgendwer zahlt schließlich immer und das meist auch nicht zu knapp. Für die Besucher*innen dürfte positiv sein, dass sie es nicht unmittelbar aus der eigenen Tasche zahlen müssen. Indirekt stimmt das allerdings schon nicht mehr hundertprozentig, weil alle hier aufgezählten Gratisveranstaltungen von der öffentlichen Hand und dadurch ja erst wieder von den Besucher*innen bezahlt werden. Somit stellt sich die Frage, inwiefern solche Konzerte überhaupt gratis sind. Richtiger wäre wohl, man nennt sie Veranstaltungen mit freiem Eintritt. Aber gut, diese Diskussion droht ins Philosophische abzudriften.

Zurück zum Thema: Im Allgemeinen sind die vermeintlichen Gratiskonzerte natürlich etwas Gutes, sie gehören konsumiert und gefeiert. Ich sehe sie eigentlich für alle Beteiligten als äußerst positiv. Selbst für die Venues, denn im Idealfall findet dann ja auch die Aftershowparty dort statt. Schlussendlich ist die Zahl dieser Art von Veranstaltung über das ganze Jahr ja stark begrenzt. Somit wirken sie höchstens belebend fürs Geschäft und für den gesamten Kosmos der Livemusik. Der positive Effekt weitet sich zudem noch auf sämtliche angrenzenden Bereiche wie Artists, Musiklabels, Gastro, Personal, Techniker*innen, Marketing etc. aus.

Als älteres Semester war ich noch live bei Falcos legendärem Auftritt auf der Donauinsel dabei und von dem erzähle ich bis heute. Natürlich war’s für lau und das Donauinselfest als damaliger HTL-Schüler ein fixer Bestandteil meiner »Fortgehkultur«. Aber ich kann auch genug Konzerte aufzählen, die ich damals ganz normal, mit bezahltem Ticket besucht habe. Unterm Strich war das Verhältnis hier sicher zwanzig zu eins für die bezahlten Shows. Also: Nicht zu viel über »Gratis oder nicht gratis? Gut oder schlecht? Wem könnte es was bringen oder nicht?« nachdenken. Lieber rausgehen und die Feste feiern, wie sie fallen. Wir sehen uns beim nächsten Konzert – mit oder ohne Eintritt!

Harry Jenner ist Miteigentümer von Barracuda Music, einer der größten Konzert- und Festival­agenturen in Österreich, und Mitveranstalter des Nova Rock und des Frequency Festivals.

Wolfgang Descho

Geschäftsführer Rockhouse Salzburg

Wolfgang Descho (Bild Edvard Orell)

Nicht zulasten der Ganzjahresversorger*innen

Die mittlerweile schon etwas inflationären Gratiskonzerte bringen nicht nur »Kultur für alle«, sondern zunehmend auch Probleme für die »normalen« Konzertveranstalter*innen. Beginnen wir mit den diversen Stadtfesten und -festivals, die sehr oft von der öffentlichen Hand mitgetragen bzw. teilweise von ihr organisiert werden. Als (zusätzliche) Einkommensquellen für Musiker*innen ist das natürlich gut – davon ausgehend, dass sie faire Gagen für ihren Auftritt bekommen. Auch die Belebung öffentlicher Orte kann man positiv bewerten. Problematisch wird es, wenn Bands, die sonst in Grassroots-Venues spielen würden, auf die Gratisbühnen gebucht werden. Denn warum sollen Konzertbesucher*innen für die Gruppe XY Geld bezahlen, wenn sie diese z. B. beim Stadtfest bei freiem Eintritt sehen können? Vor allem sind Gratiskonzerte also ein Problem, wenn dieselben Bands wenig später in Kulturbetrieben auftreten und Eintritt verlangt werden muss. Bessere Kommunikation und Einbindung sind hier natürlich die Zauberworte, die eine Lösung in Aussicht stellen könnten.

Prinzipiell können Gratiskonzerte in Zeiten steigender Ticketpreise ein gutes Zusatzangebot darstellen bzw. ein Kulturangebot auch für kleinere Geldtaschen bieten. Mit entsprechender Planung, Dosierung – das heißt wenige (!) und gut durchdachte Gratiskonzerte –, Kommunikation und Einbindung könnte die richtige Mischung gefunden werden. Denn in Zeiten von Teuerung, Energiekrise, Inflation etc. müssen die Kulturstätten, Clubs usw. ohnehin ums Überleben kämpfen. Sowohl die Musiker*innen als auch das Publikum schneiden sich ins eigene Fleisch, wenn Kulturstätten und Clubs schließen müssten, denn diese sind die kulturellen Ganzjahresversorger*innen.

Das Rockhouse Salzburg ist eine der zentralen Spielstätten für populäre Musik in Salzburg. Wolfgang Descho leitet die Venue seit seiner Eröffnung 1993.

Lukacz Custos

Musiker

Lukacz Custos (Bild: Florian Wörgötter)

Nicht nehmen, ohne zu geben

Ein Konzertbesuch ist im besten Fall ein Ereignis, das einem lange in guter Erinnerung bleibt und manchmal sogar die Initialzündung für das eigene künstlerische Schaffen darstellt. In jedem Fall ist es etwas, das uns Menschen glücklich macht, zumindest für die Dauer des Konzertbesuchs. Ein Konzert ist für Musiker*innen und Bands aber nur die sogenannte Spitze des Eisbergs. Denn bis es überhaupt zu einem Auftritt kommen kann, ist vonseiten der Künstler*innen viel Zeit in Proben, Vorbereitung, An- und Abreise etc. zu stecken. Da sich durch die Digitalisierung auch der Musikmarkt verändert hat, sind Konzerte für viele Bands und Musiker*innen mittlerweile die einzig relevante Einnahmequelle. Für seine Arbeit bezahlt zu werden, heißt nicht nur Anerkennung und Lebensunterhalt, sondern ist auch notwendig, um diese überhaupt weiter ausführen zu können.

Vereinfacht gesagt bedeutet ein Gratiskonzert, dass man als Publikum auf die Darbietung der Auftretenden eingeladen wird. Außer sie wird durch Steuergelder finanziert, dann lädt man sich als Steuerzahler*in zumindest teilweise quasi selbst ein. Möglichst vielen Menschen einen kostenfreien Zugang zu Konzerten zu ermöglichen, ist an und für sich etwas Erstrebenswertes, aber nur, wenn all jene, die auf sowie hinter der Bühne beschäftigt sind, fair entlohnt werden können und dies für Subkultur sowie freie Szene keine strukturelle Benachteiligung bedeutet.

Gratiskonzerte sollten eher die Ausnahme darstellen und unter Rücksichtnahme auf den umliegenden Kulturbetrieb gestaltet werden, weil sie sonst mehr Schaden als Nutzen bringen können. Besonders für kleinere Venues, die mittlerweile schon damit zu kämpfen haben, überhaupt Publikum zu erreichen, könnte dies nämlich sonst zum Nachteil werden. In jedem Fall muss einem bewusst sein, dass Gratiskonzerte genauso viel Arbeit bedeuten wie jene, für die an der Abendkasse Eintritt gezahlt wird. Aus wirtschaftlicher Sicht sind sie daher auf Dauer nicht tragfähig. Wahrscheinlich müssen wir uns auch hier die Frage stellen, ob es denn angemessen ist zu nehmen, ohne zu geben.

Lukacz Costa ist Gitarrist und Sänger in der Band Granada. Diese tritt dieses Jahr unter anderem am 15. Juni beim Nova Rock, am 29. Juni beim Stadtfest Hallein und am 17. Oktober im Rockhouse Salzburg auf.

Newsletter abonnieren

Abonniere unseren Newsletter und erhalte alle zwei Wochen eine Zusammenfassung der neuesten Artikel, Ankündigungen, Gewinnspiele und vieles mehr ...