Wortwechsel: Wie viel Fair Pay verträgt die Musikbranche?

Von Musik zu leben, ist nicht leicht. Weder für die meisten Musiker*innen selbst, noch für viele Berufsgruppen, die es diesen erst ermöglichen, live aufzutreten, zu touren, Alben aufzunehmen und diese zu vertreiben. Der Ruf nach fairer Bezahlung für geleistete Arbeit scheint natürlich nur gerecht. Wie müssen Förderungen strukturiert sein, damit sich auch kleinere Clubs und Veranstaltungen solche Gagen leisten können? Wie rentabel muss Musik für alle Beteiligten sein? Wer bestimmt, was fair, was Ausbeutung und was finanzierbar ist? Und zu guter Letzt: Welche Rahmenbedingungen muss die Politik setzen?

© Stephan Polzer, Ina Ayodgan, Kerstin Scharrer, Siegrid Cain

Von Musik zu leben, ist nicht leicht. Weder für die meisten Musiker*innen selbst, noch für viele Berufsgruppen, die es diesen erst ermöglichen, live aufzutreten, zu touren, Alben aufzunehmen und diese zu vertreiben. Der Ruf nach fairer Bezahlung für geleistete Arbeit scheint natürlich nur gerecht. Wie müssen Förderungen strukturiert sein, damit sich auch kleinere Clubs und Veranstaltungen solche Gagen leisten können? Wie rentabel muss Musik für alle Beteiligten sein? Wer bestimmt, was fair, was Ausbeutung und was finanzierbar ist? Und zu guter Letzt: Welche Rahmenbedingungen muss die Politik setzen?

Eva-Maria Bauer

Österreichischer Musikrat

Eva-MAria Bauer (Bild: Stephan Polzer)

Fair Pay als Vision

In der Fragestellung versteckt sich die Annahme, es würde sich um einen freien Markt handeln, der sich durch Angebot und Nachfrage selbst reguliert. Tatsächlich sind große Teile des Musikbetriebs jedoch durch öffentliche Subventionen gestützt. Viele Initiativen können sich nicht einnahmenseitig finanzieren, sie sind auf Zuschüsse angewiesen. Der öffentlichen Hand als Fördergeberin kommt deshalb eine zentrale Rolle am Markt zu, die mit großer Verantwortung einhergeht. Daher ist es nur sinnvoll und folgerichtig, dass der Fair-Pay-Prozess bei öffentlichen Förderstellen ansetzt und auch die Honorarempfehlungen im Musikbereich primär für den geförderten Bereich entwickelt wurden.

Was bedeutet faire(re) Bezahlung konkret? In der Fair-Pay-Strategie der Gebietskörperschaften 2022 haben sich Bund, Länder, Städte und Gemeinden darauf geeinigt, dass im Förderwesen die Empfehlungen der Interessensgemeinschaften als Orientierung herangezogen werden sollen. Sie stellen Mindeststandards dar, damit Künstler*innen und Kulturarbeiter*innen von ihrer Tätigkeit leben können.

Es gibt die Befürchtung vonseiten besser verdienender Musiker*innen, dass bei einer Etablierung der Honoraruntergrenzen keine höheren Gagen mehr bezahlt werden würden. Wir sind in Österreich jedoch noch weit von einer flächendeckenden Durchsetzung von Fair-Pay-Standards entfernt. Und ohne eine breite Solidarität in der Szene kann Fair Pay nicht funktionieren.

Es gibt die Befürchtung seitens Veranstalter*innen, dass mit der Etablierung von Fair Pay ihre Aktivitäten nicht mehr finanzierbar seien. Ja, es braucht kräftige Erhöhungen der Kulturförderbudgets und Fair-Pay-Zuschüsse für Auftrag- und Arbeitgeber*innen, damit Fair Pay realistisch ist. Aber ich sage auch: Weniger ist manchmal mehr. Wäre es nicht besser, einige Veranstaltungen und Produktionen weniger anzusetzen und dafür fair zu bezahlen, als weiterhin ein Künstler*innenprekariat strukturell mitzutragen?

Fair Pay ist vor allem eines: eine Vision. Eine Vision von Schutzmaßnahmen und Standards, die in anderen Berufssparten in Österreich längst Realität sind. Es sollte selbstverständlich sein, dass Musikvermittler*innen nach einem Kollektivvertrag bezahlt werden, mit geregelten Arbeitszeiten. Es sollte selbstverständlich sein, dass Musiker*innen bei einem Konzert Spesenersatz für Anreise und Unterkunft erhalten. Schließlich diskutiert auch niemand mit Installateur*innen über die Legitimität von Anfahrtspauschalen.

Es läuft auf die Frage hinaus: Was ist uns Kunst wert? Kulturarbeit ist Arbeit und verdient eine faire Entlohnung. Künstlerische Arbeit ist wertvoll und verdient eine faire Entlohnung. So viel Fair Pay verträgt der Markt.

Eva-Maria Bauer ist seit diesem Jahr Präsidentin des Österreichischen Musikrats. Gemeinsam mit Günther Wildner hat sie die Fair-Pay-Empfehlungen für den Bereich Musik im »Fair Pay Reader« des Kulturrats Österreich formuliert.

Mira Lu Kovacs

Musikerin

Mira Lu Kovacs (Bild: Ina Ayodgan)

Eine Frage der Bereitschaft

In einer perfekten Welt hätten alle Menschen die Möglichkeit, in Frieden und Freiheit zu leben, kreativ zu sein und Kunst zu machen. Da wir davon leider extrem weit entfernt sind, setze ich anders an. So wie größere Entertainmenthäuser durchfinanziert und gefördert werden, so muss es auch in der freien Szene möglich sein, faire Löhne/Gagen zu zahlen. Dabei geht es um annähernd faire Kompensation des Arbeitsaufwands. Proben werden immer noch relativ selten kompensiert, sind aber ein großes zeitliches Commitment. Gutes, ständig gewartetes und zeitgemäßes Equipment wird quasi vorausgesetzt. Das Investment auf Seiten der Künstler*innen ist immens.

Man sehe sich einmal die verschiedenen Einkommensquellen von Musiker*innen an: Tantiemen, die mitunter stark durch Beteiligung vieler Parteien beschnitten werden; Livegagen, bei denen die jeweilige Venue gut zahlen muss, damit nach den Reisekosten etc. noch genug übrig bleibt. Und demgegenüber stehen die Ausgaben: steigende Kosten fürs Recording, Mixing und Mastering; Miete für Proberäume; etwaige Ausbildung; Instandhaltung und Anschaffung von zeitgemäßem Equipment. Die Liste ist sicherlich noch länger, aber man kann sich vorstellen, warum hier zumindest für adäquate Livegagen gekämpft wird. Da ist die Leistung am sichtbarsten.

Also ja, Fair Pay muss »ertragen« werden. Es ist hauptsächlich eine Frage der Bereitschaft und Wertschätzung von Politik und zum Teil vom Publikum (Stichwort »Gratiskonzerte«). Die gesamte Arbeit sollte eigentlich so gut entlohnt werden wie bei anderen Berufen. Installateur*innen verrechnen korrekt Anfahrt und Stunden. Warum können das nicht auch alle in der Musikbranche tun? Ich kann die Branche nicht schöner malen, als sie ist. Wegen der Schönheit des Produkts (d. h. der Kunst) haben wir ein romantisiertes Bild von diesem Beruf und daher auch der Branche. Es macht ja Spaß, also warum sollte man dafür auch noch Geld bekommen? Darf Arbeit keinen Spaß machen, erfüllend sein?

Österreich nennt sich Musikland, das ist schön. Aber nicht nur in der Klassik gibt es Bedarf und Publikum, sondern ebenso in Subkulturen, freier Szene und Popmusik.

Mira Lu Kovacs ist als Musikerin sowohl solo als auch in Bands wie My Ugly Clementine und 5K HD aktiv. Außerdem ist sie Botschafterin der IG Freie Musikschaffende. Kürzlich ist ihre neue Single »Disappear« erschienen, ab Mitte April ist sie wieder auf Tour.

Florian Walter

Alter Schlachthof Wels

Florian Walter (Bild: Kerstin Scharrer)

Ist das fair?

Die Frage »Was ist Gerechtigkeit?« ist so alt wie die Menschheit. Es ist deshalb wenig verwunderlich, dass sie – zumindest in Form der Fair-Pay-Debatte – nun auch im Kultursektor angekommen ist. Eine Antwort darauf haben die klügsten Köpfe der Geschichte nicht gefunden, sie ist daher auch von Kulturpolitiker*innen oder Interessensvertretungen nicht zu erwarten. Was also tun?

In meiner alltäglichen Arbeit in einem Kulturzentrum mit mehreren Angestellten und Honorarkräften, zahlreichen Ehrenamtlichen und natürlich regelmäßig auftretenden Künstler*innen begegnet mir das Thema faire Bezahlung ständig. Fast täglich stellt sich die Frage nach einer angemessenen Gage für künstlerische Darbietungen: Ist es fair, der Band X für eineinhalb Stunden Bühnenshow 300 Euro zu zahlen, während ich Band Y für ihr ebenso langes Liveset unter 5.000 Euro gar kein Angebot zu machen brauche, weil die sonst einfach nicht kommt? Am Ende bleiben halt bei Band Y aufgrund höherer Einnahmen ein paar hundert Euro übrig, die ich brauche, damit ich Band X statt 300 zumindest 500 Euro Gage geben oder der unbekannten Band Z überhaupt eine bezahlte Auftrittsmöglichkeit bieten kann. Ist das fair?

Ähnliches gilt im nicht künstlerischen Bereich: Warum bekomme ich als Bürokraft (übrigens auch nach Fair-Pay-Schema der IG Kultur) für dieselbe Arbeitszeit die Hälfte mehr bezahlt als meine Kolleg*innen von der Reinigung? Warum kriegt der Plakatierer weniger als die Barleiterin? Der Tontechniker mehr als die Reinigungskraft? Und warum sollen überhaupt Menschen unentgeltlich (man beachte das schöne Wort »ehrenamtlich«) teilweise schwere und verantwortungsvolle Arbeit wie Aufbau-, Ordner*innen- oder Kassadienste leisten?

Das Wichtigste an der Fair-Pay-Debatte scheint mir derzeit zu sein, dass Strukturen geschaffen werden, die es den unterschiedlichen Berufsgruppen im Kulturbereich ermöglichen, jeweils gerechte Arbeitsbedingungen zu verhandeln. Richtlinien für faire Mindestgehälter und -gagen spielen dabei eine zentrale Rolle. Eine Gleichmacherei wird besonders im künstlerischen Bereich, wo Bekanntheit die zentrale finanzielle Rolle einnimmt, ohnehin nicht funktionieren.

Florian Walter ist Politologe und Kulturarbeiter. Beim Alten Schlachthof Wels ist er für Ticketing, Öffentlichkeitsarbeit, Projekte und Proberäume verantwortlich.

Susanne Lipinski

Dachverband Salzburger Kulturstätten

Susanne Lipinski (Bild: Siegrid Cain)

Höheres Kulturbudget

Das Berufsbild Musiker*in hat sich stark gewandelt. Musiker*innen arbeiten in den Bereichen Musikproduktion, Veranstaltungs- und Labelmanagement, sie spielen in unterschiedlichen Ensembles oder Bands. Wie in anderen Sparten finden sich freischaffende Musiker*innen sowohl in (prekären) selbstständigen wie auch unselbstständigen Beschäftigungsverhältnissen wider. Das bestehende Steuer- und Sozialversicherungssystem ist jedoch nicht für diese Vielschichtigkeit ausgelegt, was die soziale Absicherung beeinträchtigt.

In Sachen Fair Pay hat Salzburg hier eine Vorreiterrolle eingenommen. Fair Pay I, also eine schrittweise Gehaltserhöhung für angestellte Kulturarbeiter*innen wird vom Land Salzburg seit mehreren Jahren erfolgreich umgesetzt. Die Stadt Salzburg zieht hier 2024 nach. Fair Pay II, also die gerechte Entlohnung für selbstständige Künstler*innen, gestaltet sich allerdings aus oben genannten Gründen ungleich schwieriger. Immerhin stellt das Land Salzburg aber für 2024 400.000 Euro für Fair Pay II zur Verfügung.

Viele Salzburger Institutionen sind bemüht, auch ihre selbstständigen Musiker*innen fair zu bezahlen. Doch Thomas Randisek, Geschäftsführer des Dachverbands, bringt das Dilemma auf den Punkt: »Unsere Mitglieder wie das Rockhouse Salzburg oder der Jazzit Musik Club versuchen bereits, eine faire Bezahlung der bei ihnen auftretenden Musiker*innen und Bands zu gewährleisten. Solange sie dafür aber keine Sonderförderung erhalten, können sie Honorarnoten nicht zur Gänze nach Fair Pay auszahlen.« Durch die Salzburger Vorreiterrolle und durch viele Kampagnen der Interessenvertretungen gibt es hierzulande zunehmend Bewusstsein für Fair Pay. Fakt ist aber, dass sich rechtliche wie finanzielle Rahmenbedingungen zum Besseren wenden müssen.

Zwei wesentliche Forderungen sind etwa verpflichtende Fair-Pay-Kriterien für Förderungen und faire Honorare im nicht geförderten Bereich. Speziell für Salzburg bleibt zu hoffen, dass der Gemeinderat der Stadt sich auch nach dem Generationen- und Parteienwechsel dem Thema faire Entlohnung für freischaffenden Musiker*innen annehmen wird. Das würde einfach formuliert bedeuten: ein höheres Kulturbudget für die freie Szene insgesamt.

Susanne Lipinski arbeitet als Kulturvernetzerin, Schauspielerin und Texterin. Sie ist Kulturarbeiterin im Dachverband Salzburger Kulturstätten und Leiterin des Künstler*innenkollektivs Kollinski Sozial.

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