Matthias Horx vom Zukunftinstitut über die Grenzen der Zukunftsforschung, Leonard Cohen und seine besten und schlechtesten Prognosen.
Herr Horx, warum können Sie die Zukunft besser voraussagen als ich?
Matthias Horx: Wahrscheinlich kann ich das gar nicht. Vor allem dort nicht, wo es um Ihre persönliche Zukunft geht, denn die ist ja auch stark von Ihrem Verhalten abhängig. Was ich vielleicht besser kann ist, die verschiedenen Groß-Modelle, Szenarien und Behauptungen der Zukunftsforschung abzugleichen und daraus Wahrscheinlichkeits-Gewinne zu ziehen. Es geht darum, eine Übersicht über die Millionen von Prognosen zu behalten und dabei zu verstehen, was man voraussagen kann und was dem Zufall unterliegt, was wahrscheinlicher ist und was einfach nur Hype. Es geht dabei meistens nicht um Prognosen, sondern um System-Beschreibungen. Man nutzt die Zukunft als Spiegel, um die Gegenwart besser zu verstehen. Wir nennen das die »Rekursion des Kommenden«: Die Zukunft wirft sozusagen ein Licht oder einen Schatten zurück.
Welche Methoden kommen in der Zukunftsforschung zum Einsatz?
Vieles ist zunächst einmal »educated guessing«: Man versucht, Muster in der Gesellschaft zu erkennen und sie nach vorne zu projizieren. Dazu braucht man viel Erfahrung und letztendlich journalistische Methoden. Dann gibt es die System-Methoden mit Hilfe von großen Datenmengen, »Big Data«. Schließlich arbeiten wir mit interdisziplinären Methoden – wir kombinieren Elemente der Spieltheorie, der Systemwissenschaft, der Komplexitäts- und Chaostheorie mit Probabilistik.
Sind quantative Methoden besser als qualitative? Bedeuten mehr Daten auch bessere Prognosen?
Das Beispiel der Ökonomen zeigt uns, dass Daten oft in die Irre führen. Die Ökonomen haben uns ja noch vor zehn Jahren mit mathematischer Präzision die Märkte und die Konjunkturen vorausgesagt. Und dann kam die Finanzkrise. Man braucht auch so etwas wie ein Gespür, ob ein System intakt oder krank ist, ob ein Trend fundamental robust oder volatil ist. Zahlen erzeugen da oft eine Scheinsicherheit. Man braucht ein Verständnis für Evolution im erweiterten Sinne.
Wie lassen sich die Modelle, wenn es um Wahrscheinlichkeiten geht, überhaupt überprüfen?
Es geht ja in der Tat nicht so oft um präzise Vorhersagen im Sinne eines bestimmten Datums oder einer Zahl. Konkrete Ereignisse sind schwer voraussagbar. Es geht um die Einschätzung von Märkten, gesellschaftlichen Systemen, Lebensformen, Wertewandel. Man muss verstehen, wo die Welt im Ganzen hingeht, weil viele Trends miteinander vernetzt sind. Zu jedem Trend existiert auch ein Gegentrend. Die Zukunft entwickelt sich nicht linear, sondern in »rekursiven Schleifen«. Richtig gelegen ist man, wenn man einen bestimmten Zustand des Gesellschaftlichen oder Ökonomischen richtig beschreibt, nicht so sehr, ob man den genauen Zeitpunkt dafür kennt.
Kommunizieren Zukunftsforscher sinnvoll, oder lassen sie sich nicht auch selbst zu oft zu »sexy Thesen« hinreißen?
Das ist das große Problem. Es gibt eine gesellschaftliche Nachfrage nach Zukunftsprognosen, in der nur die Extreme wahrgenommen werden. Wenn man den demnächst bevorstehenden Untergang von Was-auch-immer voraussagt, kommt man in jede Talkshow. Die Zukunft ist aber oft keine Sensation, alles ist eben viel komplexer. Wer hätte zum Beispiel vorausgesagt, dass die Herrschaft von Wutgefühlen, in Form des Populismus, unsere Zukunft bestimmen kann? Genau mit solchen mentalen, gesellschaftlichen Trends beschäftige ich mich intensiver als mit irgendwelchen technischen Super-Sensationen.
Besonders zwei Ihrer Prognosen zum Internet als Massenmedium und Facebook werden immer wieder hämisch zitiert. Ärgert Sie das?
Es ärgert mich so, wie es einen immer ärgert, wenn im Netz die üblichen Shitstorms toben, bei denen es nicht primär um inhaltliches Interesse geht, sondern ums Niedermachen. Ich habe vor fünfzehn Jahren gesagt, dass das Internet kein Massenmedium ist wie die Medien Fernsehen, Zeitung, Radio im Sinn von »One-to-many«-Kommunikation, sondern sich in tausend vernetzte Gebrauchsmuster zersplittern wird. Genau das ist eingetreten, aber das Zitat steht da als »Das Internet wird kein Massenmedium!«. Ja, in der Tat, aber da sieht man, wie es auf Nuancen der Sprache und den Kontext der Bedeutung ankommt. Ich habe vor sieben Jahren gesagt, dass Facebook bald einen Niedergang erleben wird. Das war ein Irrtum. Ich fand auch damals schon, dass die Nebenwirkungen eines solchen »ungeklärten« Mediums unakzeptabel sind – all der Hass und all die Blasen. Ich dachte, es kommt bald eine neue, bessere Plattform. Das war wishful thinking. Ein typischer Prognosefehler. Ja, Prognostiker irren. Sie sind keine Päpste. Ich irre auch. Und zwar so, dass ich daraus lernen kann.
Wo liegen die häufigsten Fehlerquellen in der Zukunftsforschung?
Wir haben in der historischen Zukunftsforschung herausgefunden, dass praktisch jede Technik, auch viele Ereignisse, vorausgesagt wurden, aber dass diejenigen, die das schafften, völlig unbekannt geblieben sind. Visionäre, die das Blaue vom Himmel versprachen, sind dagegen heute immer noch anerkannt und berühmt. »Richtige« Prognosen haben für mich eine andere Funktion als »die Zukunft vorauszusagen«. Denn das führt oft, gerade in Unternehmen, zu einer Tunnelsicht, einer Trend-Verliebtheit, die gefährlich ist. Gute Prognosen irritieren eindimensionale Zukunftsbilder. Sie sind dann sinnvoll, wenn sie uns zu komplexerem Denken provozieren.
Gibt es Anzeichen, an denen man Ihrer Meinung nach unseriöse Aussagen über die Zukunft erkennen kann?
Man kann davon ausgehen, dass jede Technik-Konferenz, auf der uns der intelligente Kühlschrank, fliegende Autos, Dienstroboter und die Superkünstliche Intelligenz vorausgesagt wird, komplett unseriös ist. Technischer Wunderglaube ist der Urfehler der Unseriosität. Seriöse Zukunftsforscher versuchen, die komplexen Zusammenhänge zwischen Gesellschaft, Psyche, Technologie und Ökonomie zu verstehen. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass die Beschleunigungs-Euphorie Humbug ist. Wir sehen ja gerade, was passiert: Ein immer größerer Teil der Bevölkerung will lieber zurück in die Vergangenheit als in eine total digitalisierte und globalisierte Welt.
Was war Ihre persönlich beste, was Ihre schlechteste Prognose?
Meine beste Prognose war, dass es mir gelingen würde, eine langfristig liebevolle Beziehung zu meiner Frau Oona zu leben, die zwei tolle Söhne hervorbringen würde. Die schlechteste war die Annahme, dass sich der Übergang zur Wissensgesellschaft als kontinuierlicher Prozess ohne Krisen und Konflikte gestalten lassen würde. Ich war oft zu zukunftseuphorisch. Aber das Gegenteil, das apokalyptische Spießertum, dass an gar keine bessere Zukunft glaubt, ist noch viel falscher. Man muss verstehen, dass Krisen zum Zukunftsprozess dazugehören, im Privaten wie in der Welt. »There’s a crack, a crack in everything, that’s how the light gets in«, sang der unsterbliche Leonard Cohen.
Matthias Horx (61) gründete 1998 das Zukunftsinstitut und gilt als der einflussreichste Zukunftsforscher im deutschsprachigen Raum.