Zur Lage der Indie-Nation

Kleine Präambel zur Erinnerung. Die Prosa-Seiten im Print-Magazin ist wortaffinen Menschen gewidmet, die ihn nach Herzenslust füllen dürfen. Die Wahl der Textsorte ist freigestellt. Das führt immer wieder zu Überraschungen. Etwa, wenn sich der Musiker und Autor Hubert Weinheimer dazu entschließt, einen Kommentar zur Lage der heimischen Subkultur zu verfassen. Lesenswerte Leviten …

Ähnlich ist es bei Radio-Airplay: Nicht immer wird das gespielt, von dem die Redakteure glauben, dass es gut ist, sondern – genau einer umgekehrten Logik folgend – das, was möglichst nirgends aneckt und nicht weiter "stört". Hintergrundrauschen. Dabei sollte Musik doch auch inspirieren, oder? So aber wird Belanglosigkeit teilweise zum Programm.

Aufmerksamkeit & Müll

Aufmerksamkeit ist das Schlüsselwort unserer Zeit. Alles steht in einem ständigen Wettstreit darum, wahrgenommen zu werden. Im urbanen Raum ist dieses Bestreben durch die erhöhte Reizdichte besonders ausgeprägt: "Das Leben in der Stadt ist ein Leben mit vielen anderen und in den Augen vieler anderer. Das Leben in der Stadt lässt die Selbstdarstellung zum selbstverständlichen und selbstverständlich zentralen Lebensinhalt werden" (Georg Franck, "Ökonomie der Aufmerksamkeit", dtv, S. 54) Als dieses Buch 1998 erschien, war Mark Zuckerberg (der ironischerweise mit Meaghan Burke zur Schule gegangen ist) gerade 14.

Menschen bündeln Aufmerksamkeit mit allen Mitteln und schaffen mit der warmen Luft erstaunlich große Blasen, die weithin sichtbar sind und den Blick auf all das verstellen, was sich nicht um jeden Preis in den Vordergrund drängen möchte. Wenn aber Aufmerksamkeit zum Selbstzweck wird und nicht mehr die Botschaft dahinter, dann hat Pop sich endgültig selbst aufgefressen. Die immanente Kraft hat Pop nämlich nie nur aus der glatten Oberfläche bezogen, sondern es war zunächst auch immer irgendwas "dahinter".

Es geht auch anders …

Glücklicherweise gibt es auch Gegenbeispiele, die den oben genannten Mechanismen und Zugzwängen weitgehend trotzen. Die Wiener Band Glutamat hat – fast unbemerkt – fünf großartige Alben veröffentlicht. Insbesondere "Sturm der Herzen" hätte mit seinem wilden Mix aus Chanson, Electrotrash und Punk das Zeug gehabt, die Geschichte der "Stadt der Musik" in ein völlig neues Licht zu rücken. "Mutterkorn", "Alle" und "Dose" gehören zu den besten Liedern, die ich kenne. Die 300 von Hand gesiebdruckten Exemplare der Vinylausgabe sind obendrein ein echter Augenschmaus.

Wer es gern entspannter und erdiger angeht, ist mit Alex Miksch gut beraten. Seine drei Alben (von 2006, 2009 und 2014) erinnern an Tom Waits, nasskalte Winterschuhe und den Moment, wenn man endlich in die warme Stube tritt. "Wann i geh, dann geh i leise – so dass kana wos kennt. Es sads ma olle fremd – in dem Moment". Das kann einen auch ziemlich runterziehen, aber so viel Mensch hat selten jemand auf einen Tonträger gepackt wie Alex Miksch.

Unterschätzte Meisterwerke

Die folgende Alben gehören zu den sträflich vernachlässigten Meisterwerken der letzten Jahre. (Und ja, ich bin mir dessen bewusst, dass diese Auswahl sehr subjektiv ist, aber in diesem Text geht es eben gerade darum, sich in Sachen Popkultur ein eigenes Bild zu machen.)

1. Glutamat – "Sturm der Herzen" (Konkord, 2012)

2. Das weiße Pferd – "Inland Empire" (Echokammer, 2013)

3. Mittelkill – "All But Bored Weak And Old" (Staatsakt, 2012)

4. Charmant Rouge – "Dark Water" (Karate Joe, 2010)

5. Alex Miksch – "Zänd Zamm" (Monkey, 2014)

6. Der elegante Rest – "Warten auf das Ende der Welt" (Palmo, 2008)

7. Parkwächter Harlekin – "Die Unentschlossenheit der Türen" (Problembär/ SeaYou, 2013)

8. Hotel Prestige – "Take A Souvenir From Your Teenage Confusion" (Pumpkin, 2007)

Ad Personam

Hubert Weinheimer (31) ist Gründer und Texter der Band Das trojanische Pferd und lebt seit 2003 in Wien. Nächstes Jahr wird das dritte Album der Band erscheinen. Wer sich vorab mit neuem Material des gebürtigen Oberösterreichers beschäftigen möchte, dem sei sein Romandebüt "Gui Gui, oder Die Machbarkeit der Welt" ans Herz gelegt, das vor wenigen Wochen im Wiener Kleinverlag Redelsteiner Dahimène Edition veröffentlicht wurde. Das schmale Büchlein führt direkt ins Innenleben eines Schauspielers, dessen Leben existenziell aus den Fugen geraten ist. Durch ein unerhörtes Motiv: "Ich habe vermutlich meinen Bruder umgebracht, aber darum geht es nicht."

Wie kam es dazu? Der junge Mann wird von seinem kleinen Bruder in eine Duell-Situation gelotst und quasi genötigt, die Waffe auf ihn zu richten und abzudrücken. Der Jüngere liegt nun im Koma, der Ältere flüchtet auf den einsamen Strand Gui Gui in Gran Canaria. Dort, in der Einsamkeit, arbeitet er sich an den Ereignissen und seinem Leben ab – hatte er wirklich keine andere Möglichkeit? Im inneren Stimmengewitter wird re- und dekonstruiert und im Eifer der Gedankengefechte verschwimmt Reales mit Fiktion. Sehr komplex, sehr dicht ist Weinheimers Bruderzwist-Abhandlung geraten, die mit staubtrockenem Sarkasmus nicht nur den Protagonisten, sondern immer wieder auch sich selbst zerlegt. Ein Fest für Freunde der Metaebenen.

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