Zwischen Trend und Removal – Tattoos im Wandel

Seit einigen Jahren schon scheint es in Österreich einen regelrechten Tattooboom zu geben. Doch nun wird besonders in Social Media zunehmend sichtbar, dass junge Leute ihre Tattoos bereuen oder sogar entfernen lassen möchten. Was steckt hinter dieser Entwicklung? Werden Tattoos wieder zum Tabu?

© Andreas Bischof

Ob als Andenken aus dem Urlaub, Erinnerung an einen bedeutsamen Moment oder durchgeplanter Körperschmuck – mittlerweile ist laut dem Linzer Institut für Markt- und Sozialanalysen fast jede vierte Person in Österreich tätowiert. Tattoos sind längst vom Randphänomen zum Mainstreamtrend geworden. Gleichermaßen sichtbar auf muskulösen Oberkörpern im Fitnessstudio, als den ganzen Arm bedeckende »Sleeves« bei Punkkonzerten wie in Form kleiner, krakelig gestochener »Ignorant Tattoos« auf der Wade der Bürokollegin. Infolge des Tattoohypes scheint es jedoch auch zu einer gesteigerten Nachfrage nach Tattooentfernungen zu kommen. Das Laser-Removal-Angebot nimmt stetig zu. Und auf die Tiktok-For-You-Page werden immer häufiger Videos von jungen Menschen gespült, die sich ihre Tattoos weglasern lassen möchten. Sie würden ihre Entscheidung bereuen und betiteln das mit Hashtags wie #tattooremoval, #tattoofails oder #tattooregret. Auffallend häufig sprechen in diesen Videos Frauen, aber auch Männer sind zu sehen. Neigt sich also die Begeisterung für Tattoos langsam dem Ende zu? Und welchen gesellschaftlichen Stellenwert hat das Tattoo heute?

Körpergestaltung mit Tätowierungen sei ein tiefsitzendes Bedürfnis der Menschheit, erklärt Kultur- und Sozialanthropologe Igor Eberhard von der Universität Wien. In seiner Forschung befasst er sich unter anderem mit der Stigmatisierung von Tattoos. Er erzählt, wie es nach der Erfindung der elektrischen Tätowiermaschine 1891 zu einem großen und breiten Interesse an Tattoos gekommen ist. Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts sei die Tätowierung jedoch vor allem unter Seefahrern, Schausteller*innen und Strafgefangenen beliebt gewesen – neben Handwerkern sowie Teilen des Adels. Das habe dazu geführt, so Eberhard, dass der Ruf von Tattoos zusehends schlechter wurde. Selbst Wissenschaftler hätten damals immer wieder versucht, eine Verbindung zwischen Tattoos und Kriminalität nachzuweisen. Obwohl sich die Klientel im Laufe des Jahrhunderts dann erweitertet habe, habe diese Stigmatisierung lange angehalten: »Es gibt noch einige psychiatrische Studien aus den 1980er-Jahren, in denen es heißt, dass Kriminalität und Tätowierung zusammenpassen würden.«

Igor Eberhard, Kultur- und Sozialanthropologe (Bild: Christina Schröder)

Vollkommen in der Popkultur angekommen sind Tattoos dann wohl erst Anfang der Nullerjahre, als etwa TV-Sendungen wie »Miami Ink« einen breiteren Zugang zur Tattooszene schufen und sich zahlreiche, innovative Stilrichtungen entwickelten. Heutzutage ist das Handwerk des Tätowierens jedenfalls ganz selbstverständlich als Gewerbe etabliert und weitverbreitete Form des kreativen, individuellen Ausdrucks. Monika Weber, Inhaberin des Studios Happy Needles Tattoo in Wien, ist schon seit 1997 Teil der Szene. Sie hat das Populärwerden von Tattoos hautnah mitverfolgt: »Als ich begann, war selbst die Rose am Schlüsselbein noch etwas ganz Verwegenes. Damals stellten Tätowierungen noch eine Art der Rebellion dar.« Nun habe sich das Stigma rund um Tattoos gebessert, sagt sie. »Selbst klassische ›Job-Stopper-Tattoos‹ werden bereits in vielen Berufen akzeptiert.« Die Tätowierung ist mittlerweile also nicht mehr als Akt rebellischer Provokation zu verstehen. Fußballer, Celebritys – alle tragen sie.

Konsumgut statt Untergrund

Laut Weber würden Tattoos heute vielfach als Modeaccessoire betrachtet werden, wie eine schrille Nagellackfarbe. »Letztens boten wir auf einem Event in den Wiener Werkshallen Gratistattoos an. Wir tätowierten vierzig Leute mit Minisymbolen, einfachen Pinterest-Motiven. Das war ein Zehntel der dort geladenen Gäste«, erzählt Weber. »Ich hatte das Gefühl, die Leute betrachten das als nettes Gimmick.« Für die Tätowiererin zeige das, dass die Hemmschwelle in den letzten drei Jahrzehnten abgenommen habe. Tattoos sind heute scheinbar einfach ein Konsumgut unter vielen.

Ihr Berufskollege Jakob Kerschbaumer bemerkt diese Veränderungen ebenso. Er klärt auf seinem Instagram-Account über die Geschichte des Tätowierens auf und berichtet über aktuelle Entwicklungen in der Szene. Social-Media-Beiträge von jungen Menschen, die ihre Tattoos bereuen, sind zuletzt auch ihm vermehrt untergekommen.

Plattformen wie Instagram oder Tiktok fungieren als Spiegel gesellschaftlicher Vorlieben und Konsummuster. Besonders sichtbar wird das in den zahlreichen Mikrotrends, die durch spezifische Ästhetiken, Kleidung und Schönheitsstile geprägt sind. Diese üben speziell auf Frauen einen enormen Druck aus. Eine dieser Ästhetiken nennt sich »Clean Girl«, sie ist davon gekennzeichnet, möglichst »rein« – also natürlich, unberührt und minimalistisch – auszusehen. Tattoos stehen hierzu in einem offensichtlichen Widerspruch. Darüber hinaus propagieren auch explizit konservative, antifeministische Bewegungen wie jene der Tradwives ein makelloses, unauffälliges Äußeres.

Dem Trend hinterher

Derartige Mikrotrends sind vor allem eines: schnelllebig – und damit auch austauschbar. Um mit diesen sich stets verändernden Trends mitzuhalten, muss man sich also ständig anpassen. Tätowierungen erschweren das klarerweise. »Wenn ich mich verändern möchte, um einem aktuellen Trend zu entsprechen, dann liegt es schon im Wesen der Sache, dass ich mich mit dem nächsten Trend gleich wieder in eine andere Richtung verändern werde«, fasst Kerschbaumer zusammen.

Problematisch ist auch, dass sich Mikrotrends meist nur oberflächlich einer Ästhetik bedienen, die eigentlich aus einer bestimmten Gruppe kommt – oft aus einer Subkultur. »Im Internet komprimiert man Subkulturen durch diese Oberflächlichkeit auf einen Look, den man dann auf Instagram oder Tiktok darstellt«, meint Kerschbaumer. »Die ganzen Werte, die dem zugrunde liegen, haben dann eigentlich keine Bedeutung mehr, sondern es geht ausschließlich um die Ästhetik.«

Extreme Rebellion

Monika Weber sieht vor allem extremere Tattootrends als Grund dafür, dass manche ihre Tätowierungen wieder entfernen lassen möchten. »Junge Menschen wachsen in einer Zeit von Maßregelung und Verboten auf«, sagt sie. »Die Gestaltung des eigenen Körpers ist für viele davon eine letzte Bastion der Freiheit. Mit einem Tattoo am Oberarm kann man aber mittlerweile nicht mehr rebellieren, dazu muss man schon ins Extreme gehen.« Tätowierungen an exponierten Stellen wie Hals oder Gesicht scheinen, so Weber, derzeit zuzunehmen. Ein Schrei nach Aufmerksamkeit, um wahrgenommen zu werden. Gerade 18- bis 30-Jährige würden sich oft zu extremen Tattoos verleiten lassen – und diese später bereuen: »Solche Spontanaktionen können dein Leben schon ruinieren, wenn es zu extrem wird. Das wird zum Teil unterschätzt.« Die Beratung durch Tätowierer*innen sei daher das A und O, findet Weber.

Aber nicht nur Tattoos an exponierten Stellen nehmen zu: Auch Fineline-Tattoos sind beliebter denn je. Das sind hauchdünne Linienzeichnungen ohne Schattierungen und Farben. Gerade auch darin sieht Jakob Kerschbaumer ein Potenzial für unüberlegte Entscheidungen: »Man kann sich innerhalb von kürzester Zeit eine ziemliche Menge von diesen kleinen Tätowierungen stechen lassen, auch weil die einfach nicht lange dauern. Und es kann sein, dass man sich dann innerhalb eines Jahres oder noch schneller fünfzehn kleine Tätowierungen auf einen Arm stechen lässt.«

Jakob Kerschbaumer tätowiert seit 2013 und informiert zudem auf Social Media über die Szene. (Bild: Jakob Kerschbaumer)

Weggelasert

Ob diese öffentlich besprochenen Tattoo-Regrets nun auch mit dem Rückgang von Tätowierungen einhergehen, lässt sich nur schwer ermitteln – es gibt dazu keine Zahlen. Auf eine Rückfrage beim Laserstudio The Cottage heißt es aber, dass sich vermehrt Patient*innen melden würden, die das Tattoo aus ihrer rebellischen Jugend bereuen. Tattooentfernungen seien allerdings ein Privileg: Aufgrund der hohen Kosten könnten sich das nicht alle leisten, die es gerne machen lassen würden. Oliver Bergmann von The Cottage: »Insgesamt lässt sich sehr wohl ein Trend weg vom Tattoo erkennen – nicht zuletzt, weil auch Hollywood und internationale Prominente zunehmend ein tattoofreies, ›cleanes‹ Image vermitteln und Tattoos medienwirksam entfernen lassen.«

Zurück zu Igor Eberhard von der Uni Wien: Er sagt, dass es schon immer Tattooentfernungen gegeben habe. »Selbst in der Antike hatte man bereits Rezepte dafür.« Bei wissenschaftlichen Studien über Removals gehe es jedoch meist um problematische Tätowierungen, zum Beispiel politische Botschaften. Oder um Tattoos, die technisch schlecht gemacht wurden, bei denen Narben entstanden. Davon abgesehen vermutet Eberhard, dass vor allem Tätowierungen an Stellen, die man nicht bedecken kann, bereut würden. Gruppendruck könne eine Entscheidung dabei beeinflussen.

Seiner Schätzung nach hat sich die Zahl der Tätowierten in Österreich mittlerweile bei etwa dreißig Prozent eingependelt. Der Trend könne zwar wieder etwas in die Gegenrichtung laufen, aber vor allem sei mit einer anderen Gewichtung zu rechnen: Tätowierungen wieder eher an den subkulturellen Rändern der Gesellschaft und weniger in der breiten Masse. Ein richtiges Verschwinden und eine Tabuisierung kann sich der Wissenschaftler jedenfalls nicht vorstellen: »Dafür sind jetzt viel zu viele Menschen tätowiert.« Also selbst, wenn derzeit wieder einige Menschen ihre Spinne am Hals, ihren Schnurrbart am Finger oder ihr Geweih am Rücken bereuen, die Zeiten in denen Tattoos nur etwas für die verruchte Hafenkneipe waren, sind wohl wirklich vorbei.

Das Tattoostudio Happy Needles feierte im Sommer seine Neueröffnung in der Rampers­torffergasse 57 in Wien. Jakob Kerschbaumer postet regelmäßig auf Instagram unter @jakobkerschbaumertattoo Interessantes zum Thema Tattoos. Igor Eberhards neues Buch »Stigma Tattoo?« erscheint nächsten Herbst im Transcript Verlag.

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