2008 erschien das erste Album von Der Nino aus Wien. Zehn Jahre später gehört Nino Mandl zur A-Liga, hat das Popfest kuratiert und veröffentlicht ein Jubiläumsalbum. Wir verneigen uns.
Zehn Jahre also. Eine der wichtigsten Personen des österreichischen Pop schickt dessen musikalische Reise mittlerweile aufs Gymnasium. Der Mann, ohne den viele Entwicklungen der letzten Jahre nur schwer denkbar wären, drückt seit Jahr und Tag dem Wiener Wesen eine klangliche Existenzbestätigung auf und verkörpert wie kaum ein Zweiter ein romantisiertes und damit vielleicht noch wahreres Wien der Neuzeit: existenzialistisch, virtuos und lyrisch. Und weil Jubiläen – und welches soll man denn feiern, wenn nicht dieses hier? – auch immer Platz und Raum schaffen, auf Vergangenes und Zukünftiges zu blicken, beginnen wir natürlich am Anfang, bei der Geschichte einer coolen Person.
»Hirschstettner Lebensart«
Mit 17 begann der von der »Anthology«-DVD der Beatles und vor allem von Syd Barretts »The Madcap Laughs« inspirierte Nino Mandl, sich mit der Gitarre zu beschäftigen und schmiss erst einmal ein paar Nummern auf Myspace. Ende 2006 stieg schließlich im Café Anno das erste Konzert, im Rahmen eines Literaturabends von DUM – das ultimative Magazin, bei dem der lyrisch Hochbegabte bereits veröffentlicht hatte. Damals schon dabei und ab und an noch heute gerne angemerkt: der Hirschstettner Slang. Dort oben, in Hirschstetten im 22. Wiener Gemeindebezirk, ist er nämlich aufgewachsen, dort klingen alle so.
»Die haben alle so geredet, als wären sie bekifft. Eine ganz eigene Sprache, ein ganz eigener Dialekt. Man merkt es auch beim Yung Hurn, dass er ein Hirschstettner ist – die Leute glauben immer, er ist voll drauf«, erzählt Mandl von dieser ganz bestimmten Art sich auszudrücken. Schnell haftet das Etikett des Klebstoffschnüfflers an ihm, aber so arg war Hirschstetten erstens gar nicht in den 00er-Jahren – die Spritzen lagen eher in den 90ern um den Badeteich – und zweitens war das damals reine Vermarktung. Weißt eh, die Hirschstettner und ihr Drogen-Marketing. Ist alles nur dialektbedingt.
»Es geht immer ums Vollenden«
Zurück ins Café Anno, in die Lerchenfelder Straße: Ein bisschen Glück war schon auch dabei. Gleich nach dem ersten Konzert wollte jemand aus dem Publikum ein Album machen: Manfred Scheer, der Bassist einer Reggaeband. Anderthalb Jahre wurde herumprobiert. Das Album ergab sich mit der Zeit, heißt »The Ocelot Show« und gilt heute als Klassiker. Fehlte nur mehr ein Label. Und da kam einer ins Spiel, der Mandl dann lange begleiten und selbst einen gar prächtigen Stempel in Wiens Musiklandschaft hinterlassen sollte: »Ich hab den Stefan Redelsteiner im Fernsehen gesehen, bei Puls TV oder wie das damals noch hieß. Und ihn danach gleich auf Myspace angeschrieben«, erzählt Mandl.
Das erste Treffen gab’s damals im Das Bach in Ottakring: »Von Anfang an war mir klar, dass das eine außergewöhnliche Persönlichkeit ist«, so Stefan Redelsteiner. »Dafür reichten die vier Demos auf seiner Myspace-Seite, das muss irgendwann im Herbst 2007 gewesen sein. Mit einem Schlag stand dann auch fest, welche Identität mein eben erst gegründetes Plattenlabel haben sollte, was hier der rote Faden sein könnte. Zu der Zeit kam alles in Gang.«
Bereits damals war einer der größten Publikumslieblinge schon dabei: »Es geht immer ums Vollenden«, kurz »Vollenden« genannt, ein Brett von einem Strophenlied, ein Wendepunkt für das Begreifen Wiener Musik. »Das kann man nur als 19-Jähriger, der keine Ahnung von nichts hat, schreiben. Mir war es damals schon unheimlich. Als würde ich etwas behaupten, von dem ich selbst keine Ahnung hab. Durch die Jahre, das Livespielen, check ich es mittlerweile«, erklärt Mandl sein frühes Meisterwerk. Das Schreiben an sich blieb aber bis heute gleich: Der Nino schreibt mit Gitarre in der Hand, singt die Lieder eher, als dass er sie schreibt. »Ich ruf’ sie raus und schreib’ mit, eigentlich.«
»Du Oasch«
Nach dem ersten Album musste dann eine Band her, es sollte wilder werden, auch hier funktioniert Myspace als Katalysator. So erzählt Paul »pauT« Schreier: »Ich habe beim Protestsongcontest 2009 mit meiner damaligen Band Westpol teilgenommen. Beim Halbfinale im Haus der Begegnung war auch Der Nino aus Wien dort. Wir haben eigentlich nicht wirklich etwas geredet, aber uns dann auf Myspace angefreundet und er mich angechattet: ›Coole Musik, coole Lieder‹ – ›Auch coole Lieder und so! Wenn du mal einen Bassisten brauchst, dann meld dich!‹ – ›He cool, ja brauch’ eh grad einen Bassisten für Studioaufnahmen und Tour‹«.
Am Namen wurde festgehalten. »Uns ist echt nichts Besseres eingefallen. Zuerst hab’ ich das ja auf mich bezogen und dann ist der Name auch mit der Band so geblieben.« Die Aufgabenverteilung ist klar. Schreier: »Die Zusammenarbeit läuft meistens so, dass Nino mit Gitarre ein neues Lied vorspielt und dann spielen wir das einfach mal so als Band und probieren so ein bisschen herum. Die letzten Male war oft auch Produzent Paul Gallister mit dabei«.
»Wir«, das sind neben Nino Mandl und Paul Schreier auch Raphael Sas und David Wukitsevits. Alle tragen Unterschiedliches bei und sind doch jeweils Garanten für den Erfolg, wie auch Nino bestätigt: »Der Pauti ist wahrscheinlich der beste Musiker. Er kann fast alles spielen, sich aber auch unserem Dilettantismus öffnen. Der Raphael – ich kannte ihn von Mob – war immer ein urguter Sänger und Songwriter, und er versteht meine Lieder auch sehr. Und der David ist auch so cool Underground, überhaupt nicht so auf Kommerz, irgendwie«.
Apropos vermeintlicher Kommerz: Mit »Du Oasch« kommt der erste Überhit in die Heavy Rotation – laut erster Bandreaktion beim Vorstellen »voll der Austropop-Klassiker«. Das Stück erreicht als Erstes eine größere Anzahl von Leuten und macht Der Nino aus Wien in ganz Österreich bekannt. Und das, obwohl die Nummer eigentlich für den »bösen Zwilling« Euphoric Flenson geschrieben wurde, ein Alter Ego mit zwölf unveröffentlichten Alben mit jeweils drei bis vier Stücken drauf.
»Praterlied«
Was generell auffällt: Viele der ganz großen Hits von Der Nino aus Wien – ganz objektiv betrachtet sind das eben »Du Oasch«, »Praterlied«, »Schlagoberskoch« und wohl auch »Jukebox« vom neuen Album – sind im Wienerischen gehalten. Und das, obwohl es weder der natürliche Sprachduktus Ninos ist, noch besonders typisch für seine Songs. Nur drei von zehn geschriebenen Stücken sind im Dialekt gehalten. »Man kann das nicht planen«, erklärt Mandl sein Verhältnis zum Dialekt. »Wahrscheinlich krieg ich ihn manchmal eh okay hin, weil ich so viel Ambros gehört hab. Manchmal überkommt es mich, das fängt meistens schon mit dem ersten Wort an, und dann schreib’ ich den Rest im Dialekt. Die andere Sprache ist aber schon eher meine Sprache.«
Vor allem in Zeiten, in denen sogar unauthentische Anmaßungen vom Wienerischen zu Charterfolgen werden, ist Dialekt aber deutlich beliebter als Hochdeutsch. Glaubwürdigkeit ist jedenfalls eine Stärke, die den Nino auszeichnet: »Dialekt ist keine Garantie, dass es den Leuten gefällt. Ich sing’ gerne im Dialekt und sing auch anders im Dialekt und schreib’ auch anders. Es hat automatisch mehr Witz, kommt mir vor. Da fallen mir eher die Schimpfwörter ein als die schönen.«
»Und dann bin i ka Liliputaner mehr«
Ob nun im Dialekt oder nicht: Der Erfolgslauf von Der Nino aus Wien lässt sich auch in den Folgejahren nicht aufhalten. Fast jährlich erscheint ein neues Album, die Fanbasis wächst zwar langsam, aber beständig. Mit den gleichzeitig erscheinenden Geschwisteralben »Bäume« und »Träume« erreicht die Band ihren vorläufigen künstlerischen Höhepunkt. Der große Charterfolg kam für Nino Mandl dann aber außerhalb der Band – mit »Unser Österreich«, einer Zusammenarbeit mit Ernst Molden. »Der Ernst Molden hat mir gesagt, er will immer schon ein Austropop-Coveralbum machen und alleine traut er sich nicht. Die Idee fand ich ganz witzig, hab mir nicht so viel dabei gedacht.«
Die beiden sind Seelenverwandte, wie Ernst Molden bereits 2014 in einem Interview mit Music Austria erzählte: »Ich fühle mich irrsinnig wohl mit ihm. Als ich seine erste Platte hörte, dachte ich: Wahnsinn, der Typ ist erst 22 Jahre alt. Ich hab ihn gleich angerufen und vor ihm salutiert.«
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