Bier auf Stelze – 100 Jahre Schweizerhaus

Seit genau 100 Jahren führt die Familie Kolarik im Wiener Prater das Schweizerhaus. Zwischen Stelzen und Budweiser, Tradition und Hightech, wird hier Erlebnisgastronomie der ganz alten Schule gepflegt.

Das traditionsreiche Gasthaus in den 1920er-Jahren © Schweizerhaus

Bis zu 600 Fässer lagern übrigens im vier Grad Celsius kühlen Keller, der mit einer hochmodernen Schank- und Kühlanlage ausgerüstet ist. Herzstück ist eine computergesteuerter Hightech-Anlage, die trotzdem ein wenig an ein in die Jahre gekommenes Rechenzentrum erinnert. Statt Elektrokabeln sieht man allerdings überall Schläuche, in denen dann das Bier nach oben, an die berühmte, meterlange Schank gefördert wird.

Der Zeitfaktor

Und dort wird dann gezapft. Und zwar alles andere als überstürzt. Denn das Bier kriegt im Schweizerhaus auch bei seinem Weg ins Glas viel Zeit. Das ist – wenn man so will – Geheimnis Nummer eins. »Gezapft wird in drei Stufen. Zuerst, bei der ›Vorschank‹ nur Schaum, der sich nach und nach bei ›Hauptschank‹ und ›Nachschank‹ zum Krügerl formt«, erzählt Karl Kolarik. Eine aufwändige Prozedur, die sich aber auszählt, wie der Biersommelier aufklärt: »Dadurch entweicht Kohlensäure und das Bier wird bekömmlicher.«

»Bei uns trifft der Konzernmanager auf die Tiroler Radfahrgruppe.«

— Karl Jan Kolarik

Trotz der langen Schankdauer wartet man im Schweizerhaus nur kurz auf seine Bestellung. Und das führt direkt zu Geheimnis Nummer zwei. Gezapft wird nämlich wie am Fließband – vor allem da Nachschub und Be- stellungen ohnehin nie enden wollen. Danach schwirrt ein ganzes Bataillon an KellnerInnen aus, die in Windeseile den Gastgarten mit seinen 1.400 Sitzplätzen und das Lokal, das etwa halb so viele Gäste fasst, versorgen. Bis zu 25 Kilometer Wegstrecke legen SchweizerhauskellnerInnen an einem Arbeitstag zurück und balancieren dabei Tabletts mit 20 Bierkrügerl durch die Menge. Das verlangt ordentlich Kondition und gute Nerven. Zurecht sind Vater und Sohn Kolarik daher stolz darauf, dass die Fluktuation im Betrieb sehr niedrig ist. Bei den KellnerInnen, aber auch in der Küche, wo ebenfalls hart geschuftet wird. Lebt doch der/ die typische SchweizerhausbesucherIn nicht vom Bier allein.

StelzengeherIn

Hier, in einer modernen Großküche, werden auf Induktionsplatten berühmte Gerichte aus der traditionellen Wiener und böhmischen Küche zubereitet. Die allerorts gefeierte Prager Kuttelflecksuppe etwa. Zudem werden Kraut- und Erdäpfelsalat mehrmals täglich frisch angemacht und auch die Erdäpfelpuffer, die ins Öl wandern, sind hausgemacht. »Wir haben Convenience-Produkte weitgehend aus unserer Küche verbannt und verwenden schon seit über zehn Jahren keine künstlichen Geschmacksverstärker«, erklärt Karl Jan Kolarik und sein Sohn ergänzt: »Hohe Qualität beim Essen ist uns wichtig. Wir arbeiten eng mit lokalen Lieferanten und Herstellern zusammen.«

Das gilt auch für den unumstrittenen Star in der Küche: Die hintere Stelze vom Schwein. Das fettige Biest mit seiner verlockend, knusprigen Schwarte bildet gemeinsam mit dem süffigen Budweiser, das kulinarische Rückgrat im Schweizerhaus. Gut ein Kilo bringt so ein Teil auf die Waage und es macht im Normalfall drei Menschen satt. An guten Tagen – so die Fama – wandern 500 Stück davon in die BesucherInnenbäuche. Eine enorme Menge, die trotz aller Regionalität aus konventioneller Tierhaltung stammt.

Seit der Gründung des Schweizerhauses in seiner heutigen Form ist der Betrieb in Familienhand. © Schweizerhaus

Dennoch: Nachhaltigkeit ist Vater und Sohn Kolarik wichtig. Man schaut penibel auf Energieeffizienz, vor allem, wenn am Areal etwas neu oder umgebaut wird. Zudem setzt man seit Jahren auf Ökostrom. Und auch den unzähligen Nuss- und Kastanienbäumen im Gastgarten wird in der Saisonpause viel Aufmerksamkeit gewidmet. »Mein Großvater hat die Nussbäume vor 65 Jahren gesetzt. Ihr Geruch vertreibt Gelsen und Insekten. Die Bäume im Gastgarten müssen aber intensiv gepflegt werden«, erzählt Karl Kolarik: »Wir haben dafür professionelle Berater, die von jedem Baum eine Erdprobe nehmen und so genau bestimmen, welche Pflege er braucht.«

Vererbungslehre

Im Schweizerhaus wird also langfristig geplant, und langfristig ist auch die Treue, die Gäste der Gastroinstitution im Prater zuteilwerden lassen. Wer dem liebevoll herben Charme von Schweinestelzen und Bierkrügerln verfallen ist, kommt immer wieder, wie Karl Jan Kolarik mit leisem Lächeln erzählt. Egal ob es sich dabei um einen ehemaligen Finanzminister der Ära Kreisky handelt, der seinen Stammplatz im Gastgarten hat, oder Familien, die über Generationen immer und immer wieder kommen. »Ich habe viele Kinder von Gästen aufwachsen sehen«, erinnert sich der 74-jährige Grandseigneur des Hauses und erzählt die Anekdote von einem niederösterreichischen Politiker, der einen Ausflug mit seinen zehn Enkelkindern ins Schweizerhaus machte, weil für den 14-Jährigen aus der Enkelschar die Zeit reif fürs erste Bier war.

Es sind Initiationsriten wie dieser, die im Schweizerhaus geschaffen werden und dann überdauern. Mehr noch: Hier, mitten im Herz vom Wurstelprater, werden sie gepflegt und treffen sich unter den Nussbäumen im Gastgarten. Das verbindet und hebt für die Dauer eines Besuches auch gesellschaftliche Hierarchien auf. »Bei uns am Tisch trifft der Konzernmanager mit seiner Familie auf die Tiroler Radfahrgruppe und gemeinsam haben sie eine schöne Zeit«, schwelgt Kolarik kurz vor sich hin. Aber wahrscheinlich ist genau diese Art von Erlebnisgastronomie der ganz alten Schule wieder so ein Geheimnis vom Schweizerhaus.

Das Traditions-Gastwirtschaft Schweizerhaus, mitten im Wiener Prater, startet am 15. März in seine Jubiläumssaison.

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