Drake schöpft aus einem Schmalztopf literweise R’n’B und spült HipHop seither mit Songs weich, die den Mainstream sexy, nebulös und tiefgründig machten. Der polternde Lil‘ Wayne und die sphärischen The XX sind hier kein Gegensatz mehr, sondern ein feuchter Traum namens Pop.
Die Silhouette eines Unterwäschemodels setzt sich auf ein dunkles Ledersofa und säuselt. Er sitzt an der Bar, schüttet Drinks in sich hinein, prallt an den Frauen um ihn herum ab und fühlt sich schwer. Das Licht im glamourösen Club ist schummrig, die nächtlichen Szenen verschwimmen in Nebelschwaden. Sie telefonieren miteinander. Er erklärt sich im Rausch – wie schwer es ihm fällt, sich an den Ruhm zu gewöhnen. Er schwafelt von Reichtum, Sex und Schuldgefühlen, bis er schließlich ins Telefon seufzt: »I’m lucky that you picked up / Lucky that you stayed on / I need someone to put this weight on«. Sie ist die Frau, die er trotz alledem nicht haben kann.
Wir befinden uns mitten in »Marvin’s Room«, einer der neuen Balladen des kanadischen R’n’B-Rappers Drake, die sein zweites offizielles Album »Take Care« veredeln werden. Aufgenommen wurde dieser Song im gleichnamigen Studio, das in den 70ern von Marvin Gaye in Los Angeles eingerichtet wurde. Bei dem 25-jährigen Kanadier wird eben nichts dem Zufall überlassen, schon gar nicht, was die Ästhetik des Sounds betrifft. Produzent Noah Shebib alias 40 hat auch in diesem Fall wieder eine Klangwolke geschaffen, die perfekt zu den entschleunigten, schwebenden Raps seines langjährigen Freunds Drake passen. Wattierte Drums pochen, aus dem Hintergrund hauchen Synthesizer-Sirenen, Wortfetzen, elektronische Partikel und vielleicht ein Piano; der Bass drückt sanft, aber bestimmt. Ähnlich klingen die hypnotischen Sphären bei »Dreams Money Can Buy«, einem weiteren neuen Song von Drake, den er wie viele andere zuvor frei im Internet veröffentlicht hat. Hier griff Produzent 40 auf den Blog-Hit »BTSU« des Briten Jai Paul von XL Recordings zurück. Der gurgelnde Electro-Funk wurde zu einem sanften Dunst verflüchtigt, konterkariert von Lyrics, die mit überbordendem Reichtum prahlen. »Don’t fuck with me« flötet immer wieder das Sample einer Frauenstimme.
Epizentrum Mainstream
Für einen Moment kommt der Knister-Dubstep von Burial in den Sinn, plötzlich erscheinen vor den geistigen Augen zu diesen Beats auch die Stimmen von James Blake, Jamie Woon, J Davey, D’Angelo oder The XX. Der Schein trügt, so will es das Konzept. Der Referenzrahmen, in dem sich Drake bewegt, verschiebt sich weg von hier und beschreibt ein eigenes Kapitel zeitgenössischer Popmusik. Dort oben im glitzernden Mainstream, wo die Himmelspforten von schillernden Schlüsselfiguren wie Kanye West oder Missy Elliott bereits aufgestoßen wurden. Dort, wo es ums Geld geht aber auch nicht alles Gold ist, was glänzt. Dort, wo »Swag« zum guten Ton gehört, wo schlüpfriger Straßen-Rap die Grenzen zur Selbsttherapie einer verträumten Bohème verwischt – »I’ve always liked my women book and street smart / Long as they got a little class like half days / And the confidence to overlook my past ways« (»Fancy« feat. T.I. & Swizz Beatz).
Seit 2001 lässt Aubrey Graham alias Drake die Mädchenherzen höher schlagen. Mit 14 begann er seine Schauspielkarriere in der kanadischen Teenager-Serie »Degrassi: The Next Generation«. Dort verkörperte er über sieben Staffeln den Athleten Jimmy Brooks, der zum Rollstuhlfahrer und schließlich zum Rapper wird. Heute erklärt Drake in Interviews, dass ihn das frühe Rampenlicht eher zum Mann gemacht habe, so ziehe er es auch vor, sich mit älteren Frauen einzulassen. Der Mittzwanziger betont Erfahrungswerte, Gelassenheit und Nabelschau-Diskurse, statt Hüftschüsse oder voreiliges Brunftgeschrei. Mann hat Manieren und eine bildungsbürgerliche Erziehung. Dieser Haltung passen sich das reduzierte Tempo und die schummrige Atmosphäre seiner Songs zunehmend an.
There’s no business like show business
Darüber hinaus ist Drake – dessen Vater Songs für Al Green schrieb und dessen Onkel für Prince den Bass bediente – auch eines der erfolgreichsten Aushängeschilder einer Internet-Gegenwart, die Ruhm und Reichtum ganz ohne physische Tonträger erlebt. Erst nach drei erfolgreichen offiziellen Mixtapes ließ er sich dauerhaft mit der Musikindustrie ein; nachdem ihn der US-Superstar Lil’Wayne zu sich holte, ihn mit auf Tour nahm und mit ihm 2009 die EP »So Far Gone« veröffentlichte. Das gleichnamige Mixtape gab es zuvor schon gratis über Drakes Blog. Mit den beiden Hit-Singles »Successful« und »Best I Ever Had« empfahl sich Drake nun nicht bloß mit geschäftstüchtiger Promotion, sondern vor allem auch mit einem außergewöhnlichen und eigenständigen Sound-Konzept, das von der breiten Masse und eingeschworenen Indie-Medien (siehe Pitchfork) gleichermaßen gefeiert wurde. »So Far Gone« streifte frühere Vorbilder wie Kanye West oder Lil’ Wayne ab und markierte einen Meilenstein: der schlüpfrige R’n‘B-Rap war erwachsener und eigenständiger geworden.
Prahlend streift Drake zwar auch heute noch über HipHop-Allgemeinplätze, gleichzeitig überraschte Drake damals aber mit einer neuartigen melancholischen Selbstreflexion, die keinen Hehl aus der konstruierten Künstleridentität machte und stattdessen begann, deren Verfallserscheinungen zu beleuchten. Seither lässt Drake durch seine Selbstinszenierungen als Dandy wohl dosierte, intelligente Brüche schimmern, die vom fragilen Sound-Teppich seiner Produzenten (hier besonders 40 und Boi-1da) aufgefangen werden. Sein R’n‘B-Rap schwört nostalgischen Soul-Kitsch ebenso herauf wie unterkühlten Synth-Pop oder marschierenden Südstaaten-HipHop, um pulsierende Hymnen zu schaffen, zu denen geseufzt werden darf.
»Thank Me Later«, das Debütalbum mit dem überheblichen Titel und einem furchtbaren Cover, brachte 2010 den Brückenschlag zwischen glaubwürdigen Blockjungen und beflissenem Crooner auf den Punkt: sich chic und nachdenklich geben, statt peinlich und polternd. Den eigenen Materialismus und Machismo auch mal in Frage stellen – vielleicht ist man am Ende ja selber die größte »Bitch«? Dazu das große Ganze im Blick haben, auch Nischen der Popkultur wie Wonky, Chillwave, Dream Pop, Trip Hop oder Post-Dubstep. So weit kamen frühere Ikonen Kanye West oder Jay-Z bei all ihrer Affinität zu Kunst und Mode bisher noch nicht. Zudem kann Drake seine Balladen sexy singen, ohne mit Autotune-Effekten Höhepunkte vortäuschen zu müssen.
Effektvoll und verdientermaßen posiert er heute als Neo-Soul-Gentleman, der seine übermütigen Herrenwitze mit Stil und Feingefühl erzählt. So verspricht sein neues Album »Take Care« noch weniger Rap-Kompromisse und noch mehr R’n‘B -Essenz. Dafür sprechen Kollaborateure wie Stevie Wonder, Jamie XX oder der ihm nahe stehende The Weeknd, welcher seinen konzeptuellen Slow-Jam- R’n‘B noch düsterer und experimentierfreudiger schimmern lässt. Drake ist oben angekommen und in bester Gesellschaft. Von diesem Standpunkt aus bringt er genug kreatives Potenzial mit sich, um uns auch in Zukunft mit Schmachtgesängen einzuölen, die von Größenwahn, Fleischeslust, Versagensängsten und der immer währenden Vergänglichkeit der Kunst handeln. R’n‘B till the death of me.
»Take Care« erscheint am 14. November in den USA (via Universal). Nähere Informationen und Downloads unter: www.octobersveryown.blogspot.com und www.the-weeknd.com