ACTA: Die Angst geht um

Nach einer riesigen Protestwelle soll das umstrittene Anti-Piraterieabkommen ACTA nun vom Europäischen Gerichtshof geprüft werden. Dabei ist dieser multinationale Vertrag gar nicht so sehr das Problem. Das liegt nämlich viel tiefer.

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Der Wahlspruch »Stop ACTA« war in den vergangenen Wochen quer durch Europa überdeutlich zu vernehmen. Ein Handelsabkommen zur Bekämpfung von Produktpiraterie ist zum Symbol für den Kampf um Freiheit und Transparenz im Internet geworden und das, obwohl es im Grunde nur festschreibt, was in weiten Teilen schon gemacht wird oder zumindest geltendes Recht ist. Dass es dazu gekommen ist, hat zwei Gründe: Erstens ist ACTA jahrelang weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt worden und zweitens zementiert es gerade für Urheberrechtsverletzungen im digitalen Bereich eine Praxis für die Zukunft, die schon seit Jahren kritisiert wird, weil sie Service-Anbieter bei der Verbrechensverfolgung in die Pflicht nimmt und die Privatsphäre der Anwender aufweicht.

»Ihr demonstriert nicht gegen ACTA, sondern für die Demokratie.«

Das sagte der grüne Bundesrat Marco Schreuder bei der Anti-ACTA Demo, die Ende Februar in Wien stattgefunden hat. Er bezog sich dabei sowohl auf den Entstehungsprozess des ACTA-Abkommens als auch auf die Formulierungen, die viel Interpretationsspielraum zulassen. Das sei nicht die Art einer transparenten Politik, die sich die Bürger wünschen. Mit ACTA würden Türen geöffnet, von denen man nicht weiß, wo sie hinführen. Ansatzweise weiß man das aber bereits, da vieles, was in ACTA steht, bereits in Gesetzen, Verordnungen und Richtlinien der EU und damit ihrer Mitgliedsstaaten steht und manche nationalen Gesetze sogar weit darüber hinausgehen. Das extremste Beispiel sind die »Three Strikes«, die zwar nicht in ACTA aufgenommen wurden, dafür aber im französischen Hadopi-Gesetz stehen. Internetnutzer werden in Frankreich bei wiederholten Urheberrechtsverletzungen nach zwei Verwarnungen von der digitalen Lebensader abgeschnitten.

»ACTA ist gegen großangelegte illegale Handlungen gerichtet.«

So argumentiert die EU Kommission. Der Anwalt Nikolaus Kraft, der in Österreich etliche Künstler und Rechteinhaber vertritt, unterstreicht das. »Es geht um vorsetzliche, gewerbliche Urheberrechtsverletzungen.« Damit meint er große Plattformen wie etwa Kino.to, die sich mit »Werbe-Kickbacks blöd verdienen«. Kraft betont, dass im EU-Recht und damit auch in österreichischen Gesetzen bereits vieles festgelegt ist, was in ACTA steht. Als Beispiel nennt er eine Regelung im österreichischen Urheberrechtsgesetz (§81 Abs 1a), die besagt, dass auch die Vermittler nach vorheriger Aufklärung über konkrete und nachgewiesene Urheberrechtsverletzungen auf Unterlassung geklagt werden können.

Im Klartext heißt das: Von einem vorab informierten Internet-Provider kann verlangt werden, den Zugang zu gewissen Diensten oder Plattformen zu sperren. Kraft hält IP- und DNS-Blockaden für ein geeignetes Mittel, das nicht nur hierzulande eingesetzt werden kann. Die österreichische Regelung beruht nämlich auf einer EU-Richtlinie, die unter dem Namen »Info-Richtlinie« bekannt ist. Er sieht in solchen Maßnahmen keine Zensur, da Zensur immer eine Vorab-Kontrolle von Inhalten ist, wohingegen bei Sperren im Nachhinein »nachgewiesene Rechtsverletzungen eingedämmt werden«. Das ist bereits jetzt in vielen Ländern möglich. Laut Kraft soll ACTA hier den EU-Standard international »exportieren«.

»Netzsperren wecken schnell andere Begehrlichkeiten.«

Der Urheberrechtsexperte Florian Philapitsch, der unter anderem die Creative Commons-Regelungen an das österreichische Recht angepasst hat, widerspricht den Richtlinien der EU. Wenn Netzsperren tatsächlich umgesetzt werden, würde das rasch auch andere auf den Plan rufen, die diese für ihre Zwecke einfordern. Philapitsch ist generell der Meinung, dass man bei der Urheberrechts-Thematik nicht bei der Durchsetzung der Rechte ansetzen sollte, sondern bei den Businessmodellen und Vergütungssystemen. Mit Rechtsvorschriften lässt sich das Verhalten der User nur bedingt ändern. Die nach wie vor am weitesten verbreitete Methode, Songs oder Filme einzeln abzurechnen, entspricht nicht der Logik des Internets. Neue Konzepte wie etwa das Abo-Modell von Spotify oder dem hierzulande nicht verfügbaren Netflix seien da zielführender. Um solche Dinge durchzusetzen, braucht es aber eine deutliche Vereinfachung beim Lizenzerwerb. Philapitsch spricht sich daher für eine zumindest europaweite Vereinheitlichung bei Verwertungsgesellschaften aus. Auch Kraft sieht die Notwendigkeit, solche neuen Modelle zu testen. Allerdings: »Mit gratis kann man nicht konkurrieren«. Piraterie im großen Stil stehe diesen Versuchen im Weg und müsse daher unterbunden werden. Derzeit sei das aber ein »Hinterherhecheln mit Bleigürteln«.


Gute Künstler, böse Industrie

In der Debatte um zeitgemäße Formen von Urheber- und Verwertungsrechten wird sehr oft auf das Missverhältnis zwischen Künstlern und deren Vertretern hingewiesen. Labels würden die Künstler ausbeuten und die Verteilungsschlüssel, nach den Verwertungsgesellschaften die Einnahmen ausschütten, seien intransparent und ungerecht. Kraft kennt aus seiner Praxis aber auch viele Fälle, wo diese Zusammenarbeit sehr fruchtbar ist. Die Künstler konzentrieren sich auf den kreativen Teil und die Labels um die Vermarktung. In der Tat gibt es nur wenige Beispiele, wo etwa Musiker langfristig gänzlich ohne Labels arbeiten, obwohl das Netz alle Voraussetzungen für die Eigenvermarktung bietet. Clap Your Hands Say Yeah, Arctic Monkeys oder Justin Bieber, die ohne Labels zu großer Bekanntheit gelangten, haben mittlerweile Verträge. Radiohead oder Nine Inch Nails sind wohl auch keine Vorbilder. Sie sind mit Unterstützung von Labels zu international bekannten Marken geworden und können jetzt leicht auf deren Unterstützung verzichten. Wie auch immer man sich in dieser Diskussion positioniert: Es herrscht Einigkeit darüber, dass Künstler für ihre Arbeit Geld bekommen sollen. Auch im Netz. Vertreter der Industrie verstehen es sehr gut, sich für ihre Anliegen einzusetzen. Das erkennt man an ACTA. Diese Anliegen zielen leider auf keine Neuregelung ab, sondern auf das Zementieren des Status quo.

Geistige Eigentumsrechte versus Informationsfreiheit

Michael Nentwich vom Institut für Technikfolgen-Abschätzung an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften sieht in ACTA und ähnlichen Vorstößen eine »Verlagerung der Kontrolle auf private Unternehmen mit Sanktionsandrohungen, die völlig unangemessen sind«. Der Ausgleich zwischen Interessen der Rechteindustrie und der Zivilgesellschaft sei schwierig, aber er müsse gefunden werden. Auch Nentwich ist der Meinung, dass die Lösungsansätze nur in den Bezahlmodellen liegen können. Er kann sich etwa vorstellen, dass ein Prozentsatz dessen, was man für Internet-Access bezahlt, in einen Fonds fließt, der die Leistungen von Künstlern kompensiert. Auch Philapitsch sieht in derartigen Modellen die größte Chance, egal ob die jetzt Leerkassettenvergütung, Festplattenabgabe oder anders heißen. Nentwich glaubt aber auch, dass die Wissenschaft teilweise als Vorbild für die Kultur dienen kann. Das Zitatrecht ist in der Wissenschaft auch für den digitalen Bereich klar geregelt und der Kern wissenschaftlicher Produktion ist, seine Arbeit im Sinne des Fortschritts anderen zur Verfügung zu stellen. Kulturelle Produktion könnte im digitalen Zeitalter auch so verstanden werden.

ACTA als Projektionsfläche

ACTA hat in den letzten Wochen als Projektionsfläche für sehr tiefgreifende Fragestellungen gedient. Da ging es einerseits um die Art, wie Politik gemacht werden soll: Nicht hinter verschlossenen Türen, sondern nachvollziehbar für eine breite Öffentlichkeit. Es ging aber auch darum, welche Rolle staatliche Organe und private Unternehmen bei der Regulierung des Internet und bei der Verfolgung von Rechtsbrechern einnehmen sollen und wie sehr Informationen über einzelne Anwender in der Verfolgung von Straftaten verwendet werden soll. Die Anpassung des Urheberrechts an die Logik der digitalen Zeit und die Lösung der Frage der Kompensation für Kreativleistungen ist eine zentrale Aufgabe. Das wissen wir seit mehr als zehn Jahren. Jetzt muss endlich mehr passieren, als ACTA zu verhindern. Möglicherweise ist das Crowdsourcing-Projekt für den »Free Internet Act«, das aktuell auf der Plattform Reddit.com stattfindet, ein Ansatz. Das Dokument ist in einer sehr klaren Sprache verfasst, zielt auf einen vernünftigen Ausgleich ab und ist damit alles andere als ein anarchistisches Manifest.

In der Version vom 24. Februar 2012 wird das Recht der User auf Anonymität im Internet betont und es enthält eine klare Absage an Netzsperren: »Service Providers shall not be required to alter their service in any way due to the illegal actions of a user of their service.« Der Initiator mit dem Nick RoyalwithCheese22 ist angeblich ein Österreicher.

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