Eine Nacht ohne Vorsätze, die nichts verändert. Ein Rückblick auf Silvester in Graz von Julia Melcher.
Silvester. Das ist so ein Begriff. Da ballert irgendwas ganz laut im hinteren Temporallappen und verknüpft sich mit den Gehirnwindungen des Assoziativen Neokortex, genau an der Stelle, wo der Kater sitzt – nein, nicht Silvester! Obwohl mir der ja immer viel sympathischer war als dieser dämliche gelbe Vogel, dessen Name genauso nervig klingt wie ein schlecht geöffneter Sektkorken. Aber bevor ich mich hier zu sehr in Assoziationen verfange, zurück zur letzten Nacht des letzten Jahrzehnts. Denn assoziativ ist allemal, was davon in fragmentarischen Bildern irgendwo hinter dem okzipitalen Sehfeld auf Abruf hängen bleibt.
In Graz gibt es ein Hotel, das heißt Daniel. Der Daniel wohnt quasi neben dem Bahnhof und dem Pornokino. Eine nette Gegend. Ideal, um dort eine pompös laute Silvesterparty zu veranstalten. Eine von vielen in Graz, die klarerweise zu diesem Anlass heillos überlaufen war. So wie überhaupt die ganze Stadt voller Menschen wimmelte. Dennoch, man hatte sich in der epistemischen Frage ob der Abendgestaltung gegen die gemütliche Sauferei bei gemeinsamen Freunden entschieden und war somit dem vermalledeiten Ausgehzwang verfallen; sprich: Schlange stehen, warten, aus Versehen auf jemandes Zehen stehen, an der Bar warten, auf dem Dancefloor stehen, weil nicht genug Platz zum Tanzen ist, in der Kälte auf ein Taxi warten … doch halt! So stimmt das ja eigentlich gar nicht! Den lange erprobten Organisatoren der größten Grazer Silvesterevents muss man wirklich zu Gute halten, dass sie darauf geachtet haben, die Zahl der Club-Gäste in einem erträglichen Maß zu halten. Pech für jene, die sich zu spät am Ende einer Warteschlange positioniert hatten oder gerade keinen DJ/ Veranstalter/ Clubbesitzer kannten. Auch das Nesthäckchen in der Grazer Clubszene, das heuer mit seinem Silvesterdebüt glänzte, stand den älteren Geschwistern in nichts nach. Das DJ Line-Up im Niesenbär – der sich, seit er den Kinderschuhen entwachsen und in die Pubertät gekommen ist, nun stYlisch Nyse nennt – konnte sich sicherlich sehen lassen: es waren so ungefähr alle lokalen Lieblinge der Clubszene, die nicht in der Postgarage oder im Daniel auflegen, hier vertreten. Eine Party für die eingeschweißte Community sozusagen – eh fast wie eine Privatparty, nur halt größer.
Da Graz aber so eine kleine Stadt ist, ist anzunehmen, dass es in der Postgarage, wo m.a.r.s. und Hadrian und die alteingesessene Shellbeach-Crew die Turntables wund scheuerten, nicht viel anders war. Zu dem viel Gewohnten und Bekannten kam, außer der Nysenparty, nicht viel Neues. Dementsprechend passend fiel das Motto des B.E.A.T.-Department und Scene Sauvage Dancefloors im Hotel Daniel aus, auf dem Sixties und Seventies-Retro, im architektonisch passenden Rahmen, gegen die Wände geschallt wurden. Ein neues Jahr, nein ein neues Jahrzehnt, ist schon genug der Aufregung, da bedarf es nicht auch noch eine Neurefindung des clubspezifischen Silvesterzeremoniells. Zu diesem Schluss kam man spätesten um fünf Uhr in der Früh, als, nachdem Makossa & Megablast, entstiegen aus den prähistorischen Archiven der Wiener House-Szene, ihr herausragendes DJ-Set schon lange beendet hatten, und die üblichen Verdächtigen zum letzten Act der Party ihre verbleibenden Lebensgeister durch den Terrassensaal des Hotels bewegten. Obwohl das Ende der Party, laut Facebook und anderen äußerst „zuverlässigen“ Quellen, um 7 Uhr früh angekündigt war, ging das Licht schon eine Stunde davor an, die Musik wurde abgedreht und vom Veranstalter fehlte plötzlich jede Spur. Eine resolute Hotelchefin bestand darauf, dass Frühstückseier in einem 4-Sterne Hotel auch am 1. 1. 2010 ohne Beat-verwackelten Dotter serviert werden müssen. Ob die Gäste aber so früh überhaupt schon auf den Beinen und interessiert an einem Frühstück waren, wird wohl Thema der nächsten Ohropax-Marketingstudie werden müssen, wir wissen es nicht. Wir wissen nur: man muss immer dann gehen, wenn´s grad am Schönsten ist!
Oder aber auch nicht: seit es den neuen Club in Graz gibt, hat sich eine kleine Ecke, abseits der Annenstrasse etabliert, die es sich scheinbar zum Ziel erkoren hat, dass Graz partymässig den wirklich großen Partystädten dieser Welt um nichts nachsteht. „Little Berlin“ oder Afterhour bis zum kortikalen Delirium? Die kollektive Zelebrierung des Neujahrskaters? Man kann es auch übertreiben.