I wanna know, you show!

Wovon Grazer Jungregisseure in ihren Filmen erzählen, hat man sich letzte Woche beim Festival des österreichischen Films, der Diagonale in Graz ansehen können. Julia Melcher war vor Ort und wird hier in alter Tradition die Story weiter reichen, damit sie nicht hängen bleibt, irgendwo zwischen Kunsthaus, Mur und UCI.

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Die Diagonale in Graz ist als Filmfestival in Österreich einzigartig, denn hier wird quer durch alle Genres des Films eine weitreichende Linie gezogen. Drei junge, aus Graz und Umgebung stammende Nachwuchsfilmerinnen und Filmerhaben dieses Jahr im Bereich Kurzspielfilm ihre Beiträge eingereicht, die das vielfältige Repertoire des Festivalprogramms widerspiegeln.

Horrrorrr geht an die Pumpe

Anna Schwingenschuhs "Herzerlfresser" ist die filmische Nacherzählung einer Jungscharlager-Gruselgeschichte, die auf einer wahren Begebenheit basiert. Für ihre "präzise Recherche, gut durchdachte und gebaute Dramaturgie, exzellente Dialoge" und die "wuchtige Geschichte" (so die Jury) hat Schingenschuh den 2. Förderpreis der Thomas Pluch Drehbuchpreise 2010 erhalten und das, obwohl die Regisseurin selbst nach der Premiere des Films meinte, sie sei mit der Arbeit unzufrieden. Und das auch, obwohl sich einer der Hauptdarsteller, nämlich Christoph Theußl (Kotsch), ein anderes Ende des Films, mit mehr Gefängnis am Grazer Schlossberg, Folter durch Uhrturmglocken, mehr Drehaufwand und gesprengtes Budget gewünscht hätte.

Warum Gefängnis? Nun, in der realen Geschichte, die dem Film als Vorlage diente, endete der Verbrecher in Graz hinter Schloss und Riegel. Im Herzerlfresser geht es nämlich um einen wahrlich durchgeknallten Bauernknecht, dessen schwangere Freundin, aus Verzweiflung darüber, dass er lieber sein ganzes Geld verspielt anstatt sie endlich standesgemäß zu heiraten, Selbstmord begeht. Er verfällt dem Aberglauben, sie sei in Wirklichkeit nur unsichtbar geworden und, um selbst unsichtbar zu werden und sie wieder zu treffen, folgt er der Legende, nach der man unsichtbar wird, sobald man die Herzen von sieben Jungfern verspeist hat. Er macht sich sogleich flink und behände ans Schlachten, um seiner Liebsten wieder nah zu sein. Insofern hat der Film fast Splatter-Movie Qualitäten im Historienfilm-Gewand, als "eine Moritat über 140 Herzschläge", und ist Stoff für gute Nerven.

Rrromance goes lost

Nicht so, die nächsten beiden Filme, die es in die Auswahl der Diagonale 2010 geschafft haben. Marie Kreutzer und Paul Meschuh erzählen Geschichten über Beziehungen und zwar so, wie sie das Leben schreibt. Kreutzer´s Film "INGRID" führt in stimmongsvollen schwarz-weiß Bildern durch Beziehungsmonologe, die zwei Frauen Mitte Dreißig an das Ende ihrer gemeinsamen Zeit heranführen. Die Kamera folgt intimen Momenten und Gesprächen, die trotz Nähe aneinander vorbeiführen und erfasst sequentiell den herannahenden Abschied.

Vanessa Stern und Pia Hierzegger spielen das lesbische Paar, das an die Grenzen des ganz normalen Beziehungsalltags stößt. Der Regisseurin selbst war es wichtig, die Geschichte nicht, als "Coming-Out"-Szenario zu gestalten und somit die Homosexualität in den Vordergrund zu stellen. Viel zentraler wird nämlich das Thema des Sich-Auseinander-Lebens über dem die bedrohliche Frage des Älterwerdens schwebt. Der 35. Geburstag hängt wie ein Damoklesschwert zwischen beiden, so wie die Frage, ob es denn notwendig sei, dass man wirklich "alt" wird, oder immer noch jugendlichen Launen folgen kann. Was banal klingt, stellt die Beziehung letztendlich auf die Probe und ob man gemeinsam alt wird hängt schließlich davon ab, in welcher Art und Weise man dies zu tun gedenkt. Ein universaler, sexuell unorientierter Film über die Vergänglichkeit.

"Verschleissteile" von Paul Meschuh und Beatrice Huber weist in seinem Titel schon auf eine ähnliche Problematik hin. Wenn Beziehungen verzweckmäßigt werden, mit kapitalisitischem Denken von Nutzen und Gewinn versehen, dann verschleissen sie sich wohl auch, so wie jedes Produkt früher oder später, oder kommen gar nicht erst zustande. Die beiden Protagonisten des Films, Jonas und Maya, verstricken sich in ihre jeweiligen Selbstzweifel und werden somit nicht nur zum Opfer des Anderen, sondern vor allem zu Opfern von sich selbst. Während Jonas seinem verletzten Stolz unterliegt, wählt Maya den scheinbar leichteren Weg der Selbstverleugnung. Auf der Suche nach sich selbst, entfremden sie sich von eben diesem Ziel. Schließlich wirkt das, was sich im Inneren eines Menschen bewegt, auch in und auf die Außenwelt, wie ein in sich selbst geschlossenes System, ein Loop sozusagen, der wenn er nicht durchbrochen wird, in Dauerschleife wiederkehrt. Meschuhs Bildsprache erzählt von dem kalten, fremdbestimmten und wortkargen Beziehungsgeflecht in fahlem Licht und unterkühlter Farbe, die, wie vom Regisseur beabsichtigt, die Stimmung einfangen, in der sich die Geschichte bewegt.

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Was allen drei Filmen also gemein ist, ist die Liebesgeschichte ohne Happy End. Manchmal, im Film so wie im richtigen Leben, scheint es wohl so, als wäre für die Liebe einfach nicht der richtige Zeitpunkt gewesen. Die Diagonale jedenfalls war zeitlich eher knapp bemessen und es war schwer, dem reichen Angebot an Film und Rahmenprogramm gerecht zu werden. Das liegt freilich am gekürzten Budget, das die Festivalleitung zwingt, die Dauer des Festivals zu kürzen und den Zeitplan zu straffen. Wir sind trotzdem so richtig müde und geschlaucht, auch wenn es nur vier und nicht sechs Tage waren. Also Füße hoch, den Bauch in die Sonne, den vielen Input verdauen und endlich mal wieder richtig ausschlafen!

"Herzerlfresser", "INGRID" und "Verschleissteile" liefen im Rahmen der Diagonale 2010. Weitere Kino- oder TV-Termine stehen noch nicht fest.

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