Vom Anderssein über die Auffächerung und Bewertung von Funktionen bis hin zur Nacktheit von Maschinen – letztlich geht es um die Frage, wer Verantwortung übernehmen kann. Ein Gastbeitrag von Manuela Naveau.
Ein Ereignis nach dem anderen jagt unsere Aufmerksamkeit. Die Situation in der Ukraine rüttelt an den europäischen Grundfesten, und schneller als erwartet finden wir uns in einer Welt, in der aufgerüstet wird. Von einer Zeitenwende ist die Rede, die kürzlich vom deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz ausgerufen wurde. Der Alltag von uns Europäer*innen ist verblüffend schnell von existenziellen Fragestellungen bestimmt und es scheint ein Luxus zu sein, sich über Rechte und Pflichten von Robotern Gedanken zu machen. Oder doch nicht?
Das Anderssein
Im November 2018 erschien bei MIT Press die Publikation »Robot Rights« von David J. Gunkel, der auf Fragen zur Ethik in Bezug zu neuen Technologien spezialisiert ist. Er untersucht in seinem Buch die soziale Situation von Robotern und die Möglichkeiten und Herausforderungen, die sie für bestehende moralische und rechtliche Systeme darstellen. Gunkel bezieht sich vor allem auf Social Robots und Roboter als anthropomorphe Körper und vertritt einen relationalen Ansatz betreffend die Handlungsfähigkeit und den Status von Robotern. Er unterscheidet zwischen Robotern als Körper, als Werkzeug, als Objekt, als Arbeiter*in oder als Gefährt*in und stellt vor allem die Frage nach »Otherness«, dem Anderssein.
Die Frage nach dem Anderssein ist für Gunkel eine Beziehungs- und Haltungsfrage, eine Form des Interesses an anderen, der Sensibilisierung in Bezug auf andere und der Einbeziehung anderer – sei es ein anderes menschliches Wesen, ein Tier, die Umwelt, die Maschine. Gunkels Meinung nach veranlassen Maschinen uns zum Umdenken, um methodisch die Grundlagen zu überdenken, auf denen unsere ethischen Positionen beruhen. Denn für ihn ist – »trotz aller Neuerungen in der Moralphilosophie, die dem menschlichen und nichtmenschlichen Anderen einen gewissen Anspruch auf moralischen Status erhoben haben« – der Ausschluss der Maschine das letzte gesellschaftlich akzeptierte moralische Vorurteil, wie er bereits im 2007 veröffentlichten Aufsatz »Thinking Otherwise: Ethics, Technology and Other Subjects« festhielt.
Das Zeugs
Andererseits ist es gerade jetzt so wahnsinnig wichtig, dass wir Roboter vor allem als Maschinen verstehen. Die Unterscheidung in ihren Funktionen: Social Robots versus Industrieroboter versus intelligente, automatisierte Systeme versus … Die Liste kann gerne eigenständig weitergedacht werden. Es stellt sich die Frage, inwieweit menschenähnliche Maschinenwesen oder telematische Androiden wie zum Beispiel Erika und andere Androiden von Hiroshi Ishiguro, dem Leiter des Intelligent Robotics Laboratory der Universität in Osaka, nicht auch als clever (und teuer) ausgearbeitete Körper rund um Spracherkennungs- beziehungsweise intelligente Kamera- und Lautsprechersysteme zu sehen sind.
Und im Sinne Jean Baudrillards stellt sich die Frage: Was ist der »technische Kern und was Beiwerk, Gadget, formelles Indiz«? Baudrillard unterschied bereits Ende der 1960er-Jahre bei Robotern in Maschine und Zeugs, wobei die Maschine eine reale Funktion besitzt und das Zeugs eine imaginäre. Und er meint weiters: »Die Tauglichkeit des Zeugs ist in der Wirklichkeit minimal, aber im Imaginären zauberhaft.«
Diese Auffächerung und diese Bewertung von Funktionen spielen nicht erst seit dem Essay »The Uncanny Valley« (»Das unheimliche Tal«) von Masahiro Mori, einem japanischen Robotiker, der in den 1970er-Jahren erstmals von der Akzeptanz von Robotern in der Zusammenarbeit mit Menschen sprach, eine Rolle. In der Forschung – im Besonderen zu automatisierten Systemen wie selbstfahrenden Fahrzeugen – wurde hier ein Schwerpunkt nicht nur auf die Akzeptanz von Maschinen und Interfaces gesetzt, sondern auf das Gefallen derselben. Aber auch Social Robots, die in Alten-, Kranken- und Pflegeheimen eingesetzt werden oder die für Kinder im Bildungsbereich zum Einsatz kommen, haben ihre Relevanz, weil es vor allem um ihre soziale Funktion geht.
Die Nacktheit
In Zeiten von Pandemie, Kriegen, Wertverschiebungen und weltweiten existenziellen Fragestellungen tritt jedoch die Nacktheit vernetzter Maschinen in den Vordergrund: automatisierte Drohnen, unbemannte Flugzeuge, fernkontrollierte Raketen und Bomben. Maschinen ohne »Zeugs«, da sie nicht gefallen müssen, sondern rein auf ihre Funktion beschränkt sind. Überzeugt davon, dass Technologie nicht ohne den Menschen und ihre Umwelt gedacht werden kann, plädiere ich für eine Nacktheit, die ohne Beiwerk und ungeschönt in Frage stellt, wer Verantwortung übernehmen kann. Und ich bin der Meinung, dass uns diese Agenda nicht aus der Hand genommen werden soll.
Manuela Naveau ist Professorin in der Abteilung Interface Cultures am Institut Medien der Kunstuniversität Linz.
Anlässlich unseres 25-Jahr-Jubiläums haben wir uns in The Gap 192 »25 Fragen zur Gegenwart« gestellt. Dieser Beitrag beantwortet eine davon.