In ihrem neuen Buch »Den Vater zur Welt bringen« arbeiten sich der Kabarettist Hosea Ratschiller und sein Vater, der Schriftsteller und Lehrer Klaus Ratschiller, an Begriff, Geschichte und Nützlichkeit des Konzepts »Vater« ab. Hosea Ratschiller darüber, ob Väter immer Männer sein müssen, wann ein Mann ein Mann ist und warum es auch schön sein kann, dass wir die Antworten darauf noch nicht kennen.
Vater ist ein Begriff, der eng mit Mann und Männlichkeit zusammenhängt. Wie seht ihr diesen Zusammenhang in eurem Buch? Muss ein Vater ein Mann sein?
Hosea Ratschiller: Unser Vorschlag ist, dass man nicht mehr vom Vater spricht, sondern vom Vatern. Also einer Reihe von Dingen, die zu tun sind, wenn man mit Kindern oder überhaupt Nachkommenden lebt und umgehen muss. Dinge wie der Umgang mit Wissen, mit Bildung, mit Verantwortung, mit Erfahrungen der Befremdung. Zu zeigen, dass das nichts ist, vor dem man Angst haben muss oder das man abwerten muss, sondern das dazu gehört. Diese Rolle des Daseins, Angstnehmens und Begleitens, das nennen wir Vatern. Das muss natürlich kein Mann sein, das ist völlig vom Geschlecht gelöst – oder das wäre das Projekt. Das muss vor allem nicht nur einer oder eine sein. Das können viele machen. Das ist eine Tätigkeit. Ein Kind kommt auf die Welt und geht durch einen Haufen Hände: medizinische Hände, kalte Hände, warme Hände, schweißige und trockene. Vaternde Hände sind fremde Hände, die bleiben. Die diese Fremdheit aushalten.
Wann ist deiner Meinung nach ein Mann ein Mann?
Wenn er Lust darauf hat. (lacht)
Eine schöne und knappe Antwort! Aber es gehört schon mehr dazu, sich als Mann zu fühlen, oder?
Natürlich! Es gibt ganz viele Leute, die haben keine Lust, ein Mann zu sein oder einem bestimmten Männerbild zu entsprechen, müssen aber trotzdem. Natürlich ist es kein reines Hobby, welches Geschlecht man performt. Aber wir wissen schon so viel. Und dann ist die Frage: Wie viel Spielraum haben wir innerlich und äußerlich, um beweglich zu werden? Wir schleifen ein paar tausend Jahre Rollenbild mit uns rum. Das kann man wahrscheinlich in einer Lebenszeit nicht überwinden. Genauso wie Gewalterfahrungen. Das überwindet man über Generationen hinweg. Das wird weitergegeben und reproduziert. Wenn du die Zuschreibung Mann bekommst – das ist eine Lebensaufgabe, dich damit auseinanderzusetzen. Eine von vielen Lebensaufgaben. Ich glaube nicht, dass wir noch in einer Zeit Leben, in der wir definieren können, was ein Mann ist. Und ich finde auch, es hat überhaupt keinen Sinn, es zu versuchen. Genauso wie ich keinen Sinn darin sehe, ein neues Vaterbild zu entwickeln. Deswegen sage ich: Tun wir das Bild weg und reden über die Tätigkeit. Also was tut man da eigentlich? Und warum? Und wozu?
Gibt es dann auch eine Tätigkeit des Männerns?
Wahrscheinlich hat es tatsächlich etwas damit zu tun, im Bewusstsein der eigenen Privilegiertheit herumzulaufen. Sich bewusst zu sein, dass man, sobald man als Mann angesehen wird, zuerst einmal ganz viele Rechte hat, die Leute, die nicht als Männer angesehen werden, nicht haben. Wahrscheinlich gehört zum Mannsein dazu, dafür ein Bewusstsein zu entwickeln und damit irgendwie umzugehen. Dem Mann wurde angedichtet, ein Auslöser zu sein, der Urvater. Das war die männliche Rolle. Vom Zeugenden wird das Kind ausgelöst, von Gott die Welt und vom Stammvater die Herrschaftsdynastie. Der Vorschlag, den wir mit dem Buch machen, ist zu versuchen, uns ohne Ursprung zu denken.
Das wäre also für dich die Herausforderung für neue Konzepte von Männlichkeit: Mann ohne Ursprung zu denken, Mann ohne Norm?
Genau so sehe ich das. Das muss jetzt entwickelt werden. Der demokratische Mann ist noch nicht patentiert, der wird erst entwickelt. Es ist aber etwas Schönes, dass wir das jetzt machen dürfen! Viele Hunderte und Tausende Jahre war es unmöglich, das auch nur zu denken. Das jetzt zu können, ist eine Befreiung. Erst seit 150 Jahren gestatten wir uns selbst, Evolution zu denken. Erst seit 150 Jahren denken wir uns als Spezies anders. Das ist ein extrem kurzer Zeitraum. Wir leben am Beginn einer sehr aufregenden Zeit, in der vieles möglich wird, was davor nicht möglich war. Diese Rückschläge, die man immer wieder erlebt, das wird sich nicht durchsetzen. Die Erfindung der Demokratie, oder des Demokratisierens, bei dem viele mitsprechen, das ist so eine sinnvolle Idee, das ist nachhaltiger als jede andere Regierungsform. Macht kann man nicht abschaffen, Macht kann man nur teilen. Das ist das Beste, was man damit machen kann. Das kann die Demokratie. Deswegen bin ich so optimistisch, dass sich Arbeit daran lohnt und dass sich ein mutiges Denken lohnt. Wenn man genau genug schaut und sich genügend Zeit nimmt, dann gibt es an allem, was uns niedergedrückt hat, irgendeinen ermutigenden Aspekt. In diesen ganzen Jesusgeschichten gibt es zum Beispiel einen Satz, den man immer brauchen kann: »Fürchtet euch nicht.«
Das Buch »Den Vater zur Welt bringen« von Hosea Ratschiller und Klaus Ratschiller ist im Molden Verlag erschienen.
Anlässlich unseres 25-Jahr-Jubiläums haben wir uns in The Gap 192 »25 Fragen zur Gegenwart« gestellt. Dieser Beitrag beantwortet eine davon.