Falter, The Message, The Gap, Vice: Vier Medienmarken mit starkem Kulturverständnis und runden Jubiläen im Jahr 2017. Was soll und kann Kulturjournalismus leisten, wie hat sich der Zugang der LeserInnen verändert und wie geht man damit um? Ein Round Table.
Daniel Shaked, The Message: Aber dadurch, dass es nicht unser Beruf ist, reden wir meistens einfach mit den Leuten, die uns faszinieren und das macht dann eben Spaß. Wir denken in dem, was wir contentmäßig machen mittlerweile über Österreich hinaus, vor allem, was Reviews und große Interviews mit deutschen Acts betrifft. Die gehen bei uns auch gut, weil es diese Art von kritischem Musikjournalismus, den wir hier machen, im deutschsprachigen Raum sonst nicht gibt.
Markus Lust, Vice: Nicht die Themen sind wichtig, sondern die Geschichten. Weil wir vorhin Hip-Hop hatten: Wir haben gestern, ein Video online gestellt, zu T-Ser, einem jungen Rapper. Das war jetzt einen halben Tag online, hat 40.000 Views und ist immer noch der am besten geklickte Artikel. Auch deshalb, weil es nicht einfach ein „Schaut her, hier gibt es ein neues Tape“-Ding ist, sondern wir begleiten jemanden bei einem Dreh und gleichzeitig ist es ein Kommentar auf schwarze Kultur oder Subkultur in Wien. Es geht um eine relativ konkrete Geschichte, die sich da entspinnt. Und dann funktioniert so was.
Zu dem anfänglichen Ding mit „Es funktioniert leider nur die Geschichte besser, in die weniger Arbeit hineinfließt“, das sehe ich zum Beispiel weniger kulturpessimistisch, weil das bei uns gar nicht so ist. Bei Vice funktionieren nicht die kurzen Artikel am besten und auch nicht die Sex-Contents, sondern das, was man im weitesten Sinne Politik oder Innenpolitik nennen würde, aufbereitet so wie Vice es aufbereitet. Der beste Artikel 2015 war etwa Hanna Herbsts relativ ausführliche Nacherzählung des ersten Tags, als die Flüchtlinge am Westbahnhof eintrafen. Eine ewig lange Geschichte und immer noch die am besten funktionierende von 2015.
Daniel Shaked, The Message: Ich glaube, in einer Zeit, wo im Internet alles erreichbar ist, sehen die Leute – wegen des großen Angebots – den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr und haben keine Ahnung mehr, auf was sie sich verlassen sollen. Ich glaube, dass Medien heutzutage Online oder Print mehr denn je als Guideline in Anspruch nehmen.
Markus Lust, Vice: Es sind zwei verschiedene Sachen, glaube ich. Das eine ist operativ, wie Journalisten arbeiten sollten, das andere ist trotzdem, ob wir diese Kommentarfunktion in der Gesellschaft haben oder nicht. Und mein Eindruck ist, wie gesagt, trotzdem, dass wir noch immer glauben, dass wir diese präskriptive Macht noch haben.
„Nicht die Themen sind wichtig, sondern die Geschichten.“ Markus Lust, Vice
Yasmin Vihaus, The Gap: Ich glaube diese Voraussetzung, dass man Texte von einer bestimmten Person immer liest und sie deshalb versteht, ist so eine Sache … Journalisten wie Karl Fluch und Christian Schachinger haben jahrelang Zeit gehabt, sich zu etablieren, haben Zeit gehabt, ihren Stil zu entwickeln, waren ewig lange beim selben Medium. Es ist die Frage, ob es solche Leute auch in Zukunft gibt, weil sich ein Medium solche Leute auch leisten können muss.
Gerhard Stöger, Falter: Ist der klassische Popkritiker eine aussterbende Spezies? Vermutlich schon, weil heute eh jeder Popkritiker ist. Umso wichtiger ist das vorher angesprochene Geschichtenerzählen. Eine guter Artikel kann gar nicht zu lange sein, der ist eher zu kurz. Das ist ja das Schöne an The Message, dass es die Formatierung nicht gibt und unfassbar lange Interviews möglich sind. Das steckt nicht unbedingt professioneller Journalismus dahinter, aber das Gespräch ist interessant. Und ich lese es in voller Länge. Das passiert mir auch bei guten Vice-Geschichten, die sind nicht zu lang.
Thomas Weber, The Gap: Wohin wird sich Reflexion von kulturellen Themen und Sichtweisen in den nächsten Jahren entwickeln? Meine These wäre, dass sich das ganz stark in eine unkommerzielle Blog- und auch wieder Fanzine-Richtung bewegt.
Gerhard Stöger, Falter: Für mich ist The Message ein schönes Beispiel: Unabhängig von ökonomischen Zwängen gibt es da die Möglichkeit, einer Leidenschaft nachzugehen und seine Begeisterung auszuleben, wobei das hier mit einem kritischen, reflektierten Zugang verbunden ist.
Thomas Weber, The Gap: Eine der interessantesten Personen und Plattformen in Österreich – auch wenn es da nicht um Pop geht – ist meines Erachtens der Blog von Christian Köllerer mit Theater- und Opernrezensionen und Eindrücken von Studienreisen. Etwas altmodisch und klassisch im Selbstverständnis, aber doch ein Kulturblog im besten Sinn.
Daniel Shaked, The Message: Das führt wieder auf den Punkt zurück, dass Reviews und persönliche Ansichten besonders interessant sind. Durch diese Bloggisierung oder Instagram-Typen, die diese Sachen posten, kommt eine gewisse Meinung dazu.
Yasmin Vihaus, The Gap: Ich meinte vorher auch nicht, dass Meinung nicht interessant ist. Das glaube ich schon. Sondern, dass es dieses „Ich lese eine Review, bevor ich darüber nachdenke, ob ich mir eine CD kaufe“ nicht mehr gibt. Meinung an sich stirbt, glaube ich, nie aus.
Daniel Shaked, The Message: Ich bin da ganz das Gegenteil, ich schau mir die Rezensionen an. Da prasselt so viel auf mich ein, dass ich nicht nachkomme, mir die Sachen alle anzuhören. Da bin ich froh, wenn ich irgendwo reinschaue und die Leute sagen „großartiges Album“, dann höre ich mir das an. Aber ich bin auch kein Spotify-User, also ich bin da vielleicht überhaupt nicht repräsentativ.