Falter, The Message, The Gap, Vice: Vier Medienmarken mit starkem Kulturverständnis und runden Jubiläen im Jahr 2017. Was soll und kann Kulturjournalismus leisten, wie hat sich der Zugang der LeserInnen verändert und wie geht man damit um? Ein Round Table.
Gerhard Stöger, Falter: Uns fehlt das Wissen, wie heute mit Rezensionen umgegangen wird und wie man sich heute informiert. Durch meine Kinder kriege ich mit: Angehende Teenager sind schon popaffin, die hören dann halt Yung Hurn und so weiter auf dem Handy, aber niemand kauft Tonträger oder Downloads. Natürlich verkauft sich Vinyl auf niedriger Ebene gut, weil das Nerds wie ich sind. Aber der Tonträger hat letztlich doch nur auf dieser Nerd-Ebene Zukunft. Vermutlich braucht der junge Mensch dann die klassische Plattenkritik gar nicht mehr, weil der kriegt das schon irgendwie mit, das verbreitet sich dann einfach über die Timelines oder wo auch immer. Was aber offensichtlich gut funktioniert, sind so Polemiken. Beispielsweise der seltsame Bilderbuch-Verriss vom Schachinger, der inhaltlich zwar ein Schaß, aufmerksamkeitsökonomisch aber natürlich ein Coup war: Alle haben darüber geredet.
Ich bin jetzt im Gespräch drauf gekommen: Ich bin eurem Modell bei The Message vermutlich recht nahe und das ist das Schöne, dass ich beim Falter frei von Klickzahlen, Wünschen der Anzeigenabteilung oder ähnlichem die Freiheit habe, Interessen nachgehen und diese zu vertiefen. Für sowas wird das Medium wohl auch geschätzt, und ich glaube schon, dass das Zukunft hat. Das Schlechteste, was man machen kann, ist, zu versuchen, leicht konsumierbar oder irgendwie smoother zu werden.
Markus Lust, Vice: Der Punkt ist, glaube ich, auch, dass man mit mehr Ecken und Kanten auch mehr gelesen wird. Und nix anderes heißt Klicks. Ich finde es schade, wenn es nicht um Klicks geht. Warum soll es um etwas anderes gehen? Also mir geht es doch darum, dass wir von möglichst vielen Leuten gelesen werden und aus dem Text entsteht ja auch online ein Diskurs. Der ist inzwischen Teil des Journalismus.
Thomas Weber, The Gap: Ich finde das Beobachten von Klicks und sogar das Schielen auf viele Zugriffe nicht verwerflich, glaube allerdings, dass es manchmal durchaus auch befreiend sein kann, zu akzeptieren, dass manches halt kaum jemand liest. Natürlich hab ich den Anspruch mit meinem Tun möglichst viele Leute zu erreichen. Aber manchmal ist mir bei meinen eigenen Texten auch tatsächlich egal wie viele Leute das letztlich lesen. Wenn es einigen Leuten bei der Meinungsbildung hilft, sie auf Gedanken oder eine neue Sichtweise ins Spiel bringt, dann habe ich mein Ziel erreicht. Vielleicht sehe ich das auch ein wenig als eine Referenz auf die Gegenöffentlichkeit der Fanzinekultur, die ja auch keine Reichweite hatte und trotzdem bedeutsam war. In engen Grenzen halt.
Markus Lust, Vice: Aber Gegenöffentlichkeit ist es auch erst ab einer gewissen kritischen Masse.
Thomas Weber, The Gap: Naja, der Falter schafft Gegenöffentlichkeit ja auch nicht wegen seiner 100.000 Leser, sondern weil er weit darüber hinaus reflektiert wird und weil er meinungsbildend wirkt. Die 100.000 Leute alleine wären vernachlässigbar. Ein Niavarani erreicht auf Facebook heute theoretisch 300.000 Leute, ohne dass er irgendeines dieser Medien bräuchte.
„Ist der klassische Popkritiker eine aussterbende Spezies? Vermutlich schon, weil heute eh jeder Popkritiker ist.“ Gerhard Stöger, Falter
Markus Lust, Vice: Ich sag ja auch nicht, dass die Voraussetzung ist, eine ähnliche Reichweite wie der Mainstream zu haben. Aber hätte der Falter 100 Leser, würde er nicht so diskutiert werden. Irgendwo gibt es da schon einen Schwellenwert, ab dem irgendwas Relevanz erlangt, nämlich auch im Diskurs. Natürlich ist das auch qualitätsabhängig. Natürlich würden andere Journalisten den Falter vielleicht weniger rezipieren, wenn er gleich viele Leser hätte, aber schlechter geschrieben wäre. Die Frage ist, von wem man redet: Ist es der einzelne Kulturredakteur? Dem sollte es tatsächlich ein bisschen egal sein dürfen, wie gut seine Sachen jetzt funktionieren. Er sollte sich aber schon damit auseinandersetzen, wenn Feedback kommt. Er sollte selbst diskursiv mit seinem Text umgehen. Bei uns gibt es eine eigene Abteilung für Activation. Das sind drei Typen, die nichts anderes machen, als zu schauen, wie gut Inhalte funktionieren und wie sie dafür sorgen, dass Inhalte besser funktionieren. Und da geht es nicht um Eingriffe in die Texte, da geht es rein um Facebook-Optimierung. Man soll ja nicht alles machen, was Klicks bringt, es geht eher darum, Sachen, die man machen will, so zu machen, dass sie Klicks bringen.
Gerhard Stöger, Falter: Ich bin mittlerweile so pragmatisch, dass ich sage: Der Artikel ist gut, wenn ich zufrieden bin damit. Angewiesen sein auf Feedback, da tut man sich nichts Gutes. Der im Feedback-Sinne erfolgreichste Artikel heuer war die Falco-Titelgeschichte zum 60. Geburtstag. Da haben sich vielleicht zehn Leute die Mühe gemacht, mir zu mailen, zu smsen oder mich anzusprechen, um mir zum Text zu gratulieren. Zehn Daumen rauf sind in der Social-Media-Welt natürlich weniger als nichts, aber als konsequenter Old-School-Depp will ich in dieser Welt eben nicht stattfinden.
Bei uns im Sitzungszimmer hängen immer die letzten 50 Ausgaben an der Wand, und bei der letzten Redaktionssitzung des Jahres klebt Armin Thurnherr auf jedes Cover ein Post-it auf dem steht, wie sich die Hefte im Vergleich zum Jahresdurchschnitt verkauft haben. Kulturcover verkaufen sich im Falter traditionell nicht so besonders. Wir hatten im Herbst 2015 etwa Stefanie Sargnagel zur richtigen Zeit auf dem Cover, die Ausgabe war dann im Jahresdurchschnitt „minus zwei“. Man möchte meinen: Die coolste Frau der Stadt im großen Interview, jeder wird diesen Falter kaufen, aber nein, knapp unter Durchschnitt. Ein anderes Beispiel: Wir hatten letztes Jahr innerhalb von zwei Wochen Voodoo Jürgens und Rainhard Fendrich auf dem Cover. Voodoo Jürgens ist mit „minus sieben Prozent“ ausgestiegen, Rainhard Fendrich mit „plus acht“. Auch das ist ein Feedback, und in diesem Fall lautet es: Der Falter-Leser hat leider ein bisschen versagt.
Daniel Shaked, The Message: Du hättest den Rainhard Fendrich aufs Cover geben und eine Riesenstory über Voodoo Jürgens reinhauen müssen. Dann wäre beides gelesen worden.
Gerhard Stöger, Falter: Die schönste Form von Rückmeldung ist, wenn ich merke, dass ich etwas angestoßen habe. Wenn Leute kommen und sagen, sie hören sich beispielsweise eine Platte noch mal an und verstehen sie besser. Bei Voodoo Jürgens war das so: Zwei Tage, nachdem der Artikel erschienen war, hat sich die Redakteurin eines großen deutschen TV-Senders bei mir gemeldet, bei der hatte das Porträt ganz offensichtlich etwas bewirkt.