Falter, The Message, The Gap, Vice: Vier Medienmarken mit starkem Kulturverständnis und runden Jubiläen im Jahr 2017. Was soll und kann Kulturjournalismus leisten, wie hat sich der Zugang der LeserInnen verändert und wie geht man damit um? Ein Round Table.
Julia Gschmeidler, The Message: Ich glaube, es ist ein sehr wichtiger Indikator, zu sehen, ob eine Geschichte gut ist, wenn einen andere Medien aufgreifen, zitieren, das Ganze weiterspinnen.
Thomas Weber, The Gap: Meine Beobachtung ist trotzdem, selbst wenn man eine starke Marke wie Vice auf Facebook ist, Leute sagen: „Das habe ich auf Facebook gelesen oder gesehen.“ Ganz egal, wo ein Text oder Video erschienen ist. In dem Rahmen sind wir alle alt – bei jüngeren Leuten ist das noch extremer.
Gerhard Stöger, Falter: Das ist ein spannender Punkt, nicht nur, was Popkritik betrifft, sondern generell: Gibt es einen Kulturbruch durch Smartphones? Ich glaube, dass die Jugendlichen heute sehr viele Skills entwickeln, aber was heißt das für die Zukunft der Medien? Was bedeutet es, wenn Leute nur mehr eine Aufmerksamkeitsspanne von drei Minuten haben? Das frage ich mich auch ganz bewusst bei einem Medium wie dem Falter, dessen Grundsatz schon auch ist: Es wird kein Content verschenkt. Das führt dazu, dass der Falter als Printmedium stabil ist. Aber was passiert, wenn alle Menschen am Handy sozialisiert werden?
Daniel Shaked, The Message: Vielleicht gibt es einen neuen Coolness-Faktor, wenn die Sachen nicht online sind. Vielleicht wird es den Menschen irgendwann zu blöd, dass alles verfügbar ist.
Gerhard Stöger, Falter: Ich finde es spannend, wenn man sich Yung Hurn ansieht: Das ist so der erste Smartphone-Popstar. Dessen gut gehende Songs haben vier bis fünf Millionen Youtube-Klicks. Er findet aber in klassischen Medien schon alleine deshalb nicht statt, weil er mit klassischen Medien nicht spricht.
Julia Gschmeidler, The Message: Weil er auch nicht darauf angewiesen ist.
Gerhard Stöger, Falter: Mavi Phoenix findet derzeit in allen Medien statt. Haut sie eine neue Single raus, die alle gut finden, hat die nach Wochen aber erst einige zehntausend Klicks auf Youtube. Das finde ich schon spannend.
Thomas Weber, The Gap: Vielleicht auch ein wenig bezeichnend, dass wir über FM4 noch nicht gesprochen haben bislang. Das wäre vor ein paar Jahren noch anders gewesen. Man sieht ja aktuell, wie FM4 aktuell seine Identität sucht als etwas in die Jahre gekommenes Jugendkulturradio. Meiner Meinung nach hat man sich auch bei FM4 lange gewehrt, Yung Hurn eine Plattform zu bieten und jetzt findet das dort in meiner Wahrnehmung wie selbstverständlich statt.
Daniel Shaked, The Message: Ja, um acht in der Früh „Bianco“.
Gerhard Stöger, Falter: FM4 steht vor der gleichen Frage wie wir, nur sie wiegt für FM4 schwerer. Wir fragen uns, wie wir junge Menschen dazu bringen, zur Zeitung zu greifen, aber der Falter ist eben nicht in erster Linie für den jungen Menschen gemacht. Gefühlt hört der junge Mensch nicht mehr FM4, aber der Sender ist per Definition ein Jugendkulturradio.
Habt ihr eine Ahnung, wer The Gap liest? Ich finde, bei den Medien hier am Tisch ist The Gap fast am schwierigsten greifbar. Die Artikel sind zu lang fürs schnelle Durchklicken und zu kurz, um tiefer zu gehen. Die einzige Ausnahme, die ich in letzter Zeit mitbekommen habe, war das Interview mit Maurice von Bilderbuch, das sehr früh online rauskam. Es war zwar unterredigiert, dafür aber überinteressant. Das ist einfach super: In der ganzen Länge rein damit! Maurice hat inhaltlich teils massiv übers Ziel geschossen, aber: tolle Sache. Bitte mehr davon.
Thomas Weber, The Gap: Wir wollten als The Gap lange möglichst umfassend abbilden und es ist uns auch schwergefallen, uns davon zu verabschieden. Ich hätte mir das lange Zeit nicht eingestehen können. Aber für mich ist mittlerweile eigentlich das Fleisch-Magazin ein Positivbeispiel. Obwohl das Team dort für mein Gespür manchmal zu sehr im eigenen Saft brät gelingt es dem Fleisch immer wieder gute Geschichten, gute Interviews und spezielle Zugänge zu Themen vor der eigenen Haustüre zu haben. Das wäre das Positivbeispiel. Das Negativbeispiel ist für mich leider das Ray Magazin. Ich hoffe, die Leute dort nehmen mir das jetzt nicht übel, aber das Ray gibt es eigentlich in meiner Wahrnehmung nicht mehr, weil diese leidenschaftlichen Zugänge komplett fehlen. Da habe dann auch ich die Leidenschaft dafür komplett verloren. Und online taucht das leider auch gar nicht auf.
The Gap hat in den letzten zwei Jahren sehr unterschiedliche, teilweise sehr erfolgreiche Versuche unternommen, unter den Chefredakteurinnen Amira Ben Saoud und Yasmin Vihaus, in andere Richtungen zu gehen. Wir haben online nach wie vor – und das wurde in den letzten Jahren immer wieder kritisiert – keine Angst vor Hingerotztem, das passt auch so. Aber wenn ich mir für The Gap etwas wünsche – und ich hab als Herausgeber im Alltag damit leider nicht immer so viel zu tun – , dann ist es ein leidenschaftlicher Zugang. Den gab es in den vergangenen Jahren natürlich auch immer wieder. Aber es war doch auch sehr aufreibend, alles leidenschaftlich umarmen zu wollen. Von diesem alles, davon haben wir uns verabschiedet. Und das ist befreiend.
Vice feiert heute, am 8. Juni 2017 in der Grellen Forelle 10-jähriges Jubiläum. The Message feiert am 10. Juni, ebenfalls in der Grellen Forelle 20-jähriges Bestehen. Die 20-Jahresfeier von The Gap findet am 16. Juni im Fluc statt. 40 Jahre Falter werden aktuell im Wien Museum zum Thema, außerdem folgt am 22. September eine Feier in der Ottakringer Brauerei.