5 Fragen an Valentin Alfery von Hungry Sharks zur Uraufführung von »Béton Brut« im brut nordwest

Dass brutalistische Architektur und der aus der Hip-Hop-Kultur stammende Tanzstil Breaking eine Vielzahl von Parallelen aufweisen, hat die urbane Tanzkompagnie Hungry Sharks, gegründet von Valentin Alfery und Dušana Baltić, zu »Béton Brut« inspiriert. Das Stück verbindet die Ästhetiken dieser beiden Welten, beschäftigt sich mit deren sozialen Prinzipien und dem Material Beton. Willkommen im »brutalistischen Körpertheater«!

© Jelena Jankovic

Euer neues Stück »Béton Brut« bezieht sich auf den Brutalismus. Was macht diese Architekturströmung für euch besonders interessant?

Valentin Alfery: Für uns waren brutalistische Bauten wie z. B. die Wotrubakirche, wie für viele andere wahrscheinlich, ungewöhnlich gestaltete Betonmonster. Wir hatten unbewusst durch unser Umfeld gelernt, diese Art der Architektur komisch bis hässlich zu finden. Als wir durch diverse Projekte, die sich mit Brutalismus beschäftigen, herausgefordert wurden, für kurze Momente der ehrlichen und neutralen Betrachtung unseren »Alltagsfilter« abzulegen, entdeckten wir das vielfältige Universum dahinter: starke architektonische und gesellschaftliche Aussagen sowie grobe, brutale und futuristische Formen als ein gigantisches Spiel aus Masse, Rohheit, Balance und stolzer Geste, das sich der betrachtenden Person auf direkte, fast puristische Art erklärt und in wunderschönen Bildern entfaltet. Auf Reisen haben wir teilweise riesige Umwege auf uns genommen, um bestimmte Bauwerke mitten im Nirgendwo zu besichtigen.

Diese Entdeckung hat uns gezeigt, wie wichtig es ist, die eigene Sozialisation zu hinterfragen und mit offenem Geist durchs Leben zu gehen. Ein kleines »re-train the eye« lässt dich in unglaubliche Welten eintauchen und die tollsten Sachen entdecken, die dein gesamtes Leben dauerhaft bereichern können. Unser Stück soll ein Anstoß dazu sein.

Wo siehst du Parallelen und Anknüpfungspunkte zwischen Brutalismus und Tanz, insbesondere Breaking, einer der vier Säulen des Hip-Hop?

Die Anknüpfungspunkte sind wirklich vielschichtig. Beide Ästhetiken, Brutalismus und Breaking, sprechen sozial benachteiligte Gesellschaftsschichten an. Bei beiden geht es um eine Rebellion gegen gängige Formen der Architektur bzw. des Tanzes. Außerdem gibt es in beiden Welten grobe Formen und »Roughness«. Die betonierten Oberflächen in der brutalistischen Architektur sind im Tanz quasi die »Unterlage«, auf der Breaking entstand, sprich in den Städten, auf Straßen, Hinterhöfen usw. Beide Formen, Brutalismus und Breaking, sind in keiner Weise »gefällig« oder »glatt« und beide Strömungen kommen aus ähnlichen sozialen Hintergründen – aus Krieg, Zerstörung, Armut oder Benachteiligung.

»Béton Brut« (Foto: Jelena Jankovic)

Für »Béton Brut« verbindet ihr die beiden Welten Brutalismus und Tanz in einem »brutalistischen Körpertheater«. Was erwartet das Publikum dabei?

Wir haben aus den Verbindungen eine neue Ästhetik entstehen lassen, die drei Prinzipien folgt: der Ehrfurcht vor dem Material, der Zurschaustellung der Konstruktion und der Wiedererkennbarkeit als Bild.

Sich wiederholende Muster, die sich durch den Raum bewegen, Strukturen aus mehreren Körpern, die durch Gebäude inspiriert sind, eine eigene Sprache aus Handzeichen, die Geschichten von brutalistischer Architektur erzählen.

Die Bühne ist nicht mit opulentem Bühnenbild verstellt, das Stück ist sehr auf Tanz fokussiert und für die Performer*innen und den Live-Musiker sehr fordernd. Das Publikum taucht mit ihnen umfassend in Breaking, Sound und Architektur ein. Trotz einer Dauer von ungefähr einer Stunde und zehn Minuten als auch Inhalten von chemischen Prozessen bis zur Gravitationsumkehr, können wir nur ein kleines Destillat unserer choreografischen und tänzerischen Arbeit präsentieren. »Béton Brut« ist wie der Anfang einer gemeinsamen Reise von Brutalismus und Breaking mit der Hungry Sharks Company.

Wie reiht sich das Stück in inhaltlicher und formaler Hinsicht in deine/eure bisherige Arbeit ein?

Ich versuche als Choreograf, einer Weiterentwicklung des tänzerischen und choreografischen Wissens den absoluten Vorrang zu geben und dementsprechend in unseren Arbeiten möglichst divers zu bleiben. Unsere Stücke sind sehr tanzlastig, aufgeladen mit einprägsamen Szenen, handeln von gesellschaftlichen Themen, sind reine Choreografie-Konzepte, ästhetische Ideen oder spielen auch unter Wasser. Wir hatten diesmal mehr Probe- und Research-Möglichkeiten, was uns auch tiefer in die Thematik geführt hat. Insofern ist »Béton Brut« eine logische Fortsetzung, ein Ausweichen vor der »populären« Erwartung, dass es wieder so wie beim letzten Mal Hungry-Sharks-Schauen wird.

»Béton Brut« (Foto: Jelena Jankovic)

Zum Abschluss: Was tust du dir Gutes an einem Tag, an dem du einen Auftritt hast? Was geht gar nicht?

Das große Bestreben ist, vorher hart genug gearbeitet zu haben, um an dem Tag selbst möglichst entspannt zu sein – das gelingt uns überwiegend auch. Wenn man also nicht kurzfristig und nervös die halbe Choreo umstellt und Lichter umprogrammiert, bevor man auf die Bühne geht, gibt man eher Ruhe und kann sich konzentriert auf die Aufführung einstimmen. Das ist schon viel wert und für uns auch der einzige Weg, um unsere Arbeit nachhaltig und langfristig gestalten zu können.

»Béton Brut« von Hungry Sharks feiert am Donnerstag, den 27. Jänner 2022 seine Uraufführung im brut nordwest. Die weiteren Aufführungstermine lauten: 28., 29. und 30. Jänner.

Dieser Beitrag ist in Kooperation mit brut Koproduktions­haus Wien entstanden.

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