Tanz durch den Tag ist sechs Jahre nach den ersten kleinen Open Airs in Wien gewissermaßen erwachsen geworden. Dieses Jahr veranstalten sie an zwei Wochenenden von 22. bis 25. Juni und von 30. Juni bis 2. Juli ein Festival, das urbane Impulse setzen soll.
»Wir wollten die Stadt beleben und haben damals glaube ich einen Nerv getroffen und Bedürfnisse, die da waren, erkannt«, erzählt Jan Ernst. Gemeinsam mit einer Handvoll Leuten, die Wien lebhafter machen wollte, begann er 2010, die ersten Open Airs zu veranstalten und startete damit gewissermaßen einen Hype, der bis heute andauert. Während er von diesen Anfängen im Grünen erzählt, sitzt er an einem Tisch im Besprechungszimmer des Büros von Tanz Durch den Tag im zweiten Bezirk. Rund sechs Jahre nach dem ersten Tanz im kleinen Kreis mit Freunden sind 27 Menschen – teilweise von der ursprünglichen Crew, teilweise neu dazugekommen – damit beschäftigt, ein mehrtägiges Festival auf die Beine zu stellen. Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren, die Pläne für das rund 7.000 Quadratmeter große Gelände auf der Donauinsel, auf dem vier Bühnen Platz finden werden, sind schon fertig, das Line-up steht und die ersten Tickets wurden bereits verkauft. Aus der Bewegung von vor sechs Jahren wurde ein Verein, aus dem Verein, aus Haftungsgründen, mittlerweile eine Firma und aus den kleinen Open Airs wurde ein Festival, bei dem insgesamt fünf Locations und mehrere Bühnen bespielt werden. Nach dem klassischen Tanz durch den Tag wird in der Grellen Forelle und im Werk auch durch die Nacht getanzt, ein Wochenende davor lädt die Crew bei freiem Eintritt in die Creau und in den Donauhof zu Lectures, Workshops, Panels und Ausstellungen ein. Mit »Aufwind« will man nicht nur unterhalten, sondern auch eine Plattform bieten – für verschiedene involvierte Crews, Künstler und vor allem für Diskussion rund um die Nutzung einer Stadt.
Aufwind für alle
»Wir sind schon auch ein Stück in der Realität angekommen«, gibt Fabian Burger, Obmann jenes Vereins, der für das Festival verantwortlich ist, zu. Für Tanz Durch Den Tag ist der Festivalname »Aufwind« gleich in mehrerlei Hinsicht Programm. Einerseits will das Kollektiv Schwierigkeiten rund um das Organisieren von Events in Wien thematisieren und damit allen Veranstaltern Aufwind geben, andererseits gibt die Gruppe damit auch dem eigenen, zuletzt pausierten, Projekt wieder Aufwind. Zwei Jahre nahm sich das Kollektiv Zeit für eine kreative Schaffenspause – vielleicht auch zum Verdauen der Erfahrungen, die bei den letzten größeren Events, 2014 auf der Donauinsel oder 2013 am Brigittenauer Sporn, gemacht wurden. Da war viel Positives, viele lachende Gesichter, viele zufriedene Gäste, viel Leben und gewissermaßen auch die Umsetzung einer Utopie: ein Festival im Freien, ohne Eintritt, ohne Konsumzwang, ohne Sponsorenlogos. Bereits 2014 entstand die Idee, gleich mehrere Tage zu feiern – mit den via Crowdfunding gesammelten rund 10.000 Euro ließ sich letztendlich ein Tag realisieren und mit Müh und Not auch durchfinanzieren. Im Jahr darauf gestand man sich letztendlich ein, dass der Support der Crowd für die Deckung der, durch die immer größer werdenden Besuchermassen um ein Vielfaches steigenden Infrastrukturkosten, einfach nicht mehr reicht. Umgesetzt wurde damals stattdessen eine Demo für das, was Tanz Durch den Tag seit Jahren neben der Musik und dem vielfältigen Rahmenprogramm bis heute zu kommunizieren versucht: Mehr Recht für Freiräume. Mehr Möglichkeiten, Freiraum zu nutzen.
Realität vs. Utopie
Das in diesem Jahr geplante, an drei Tagen stattfindende Open Air wird erstmals kostenpflichtig sein. Ein Schritt, der zumindest teilweise gegen die ursprünglichen Grundsätze des Kollektivs verstößt. »Wir sind in manchen Bereichen sicher ein Stück aus dem Idealismus und der Fantasie-Welt herausgewachsen, aber wir versuchen den Spirit aus den Anfängen weiterzuführen und ihn so weit wie möglich in der Realität umzusetzen«, so Fabian Burger. Zwischen den kleinen Events mit rund 100 Leuten in der Anfangszeit und der Bespielung des heurigen Areals liegt nicht nur viel Herzblut und Schweiß, sondern auch die Erkenntnis, dass sich bei öffentlichen Events dieser Größe eben auch die Arbeitsprozesse und die Voraussetzungen ändern – mit diesen Veränderungen umzugehen, sieht das Team immer noch als eine der größten Herausforderungen. Auf den Utopie-Gedanken will man dennoch nicht verzichten: Mit dem von Sheri Avraham kuratierten, gratis zugänglichen Forum Biotopia, das im Rahmen des Aufwind-Festivals eine Woche vor dem Open-Air stattfindet, will das Kollektiv zeigen und diskutieren, wie Zusammenleben im öffentlichen Raum anders funktionieren könnte, wie wenig es bräuchte, um die Welt ein klein wenig zu verbessern und wie nah Utopie dann doch sein kann. Am Areal der Creau, einem Zwischennutzungsprojekt in alten Pferdestallungen, werden Besucher beispielsweise eingeladen, in einer Installation in Form einer riesigen, begehbaren Plastikflasche über die Wegwerfkultur nachzudenken, können sich beim Wunschamt einen fiktiven Ausweis ausstellen lassen oder im Rahmen von Panels mehr über die Nutzungsmodelle von Freiraum in anderen Städten erfahren.
Alternative für »Spaßdemos«
Fragt man das Kollektiv, was es in Wien braucht, fällt als erstes der Begriff der einen »Schnittstelle«, die die Organisation von Veranstaltungen im öffentlichen Raum vereinfachen würde. Im Rahmen des Forums in der Creau soll es unter anderem auch darum gehen, wie man die Kommunikation zwischen den Veranstaltern und der Stadt vereinfachen kann. »In anderen Städten gibt es solche Schnittstellen: In Berlin wurde beispielsweise die Clubkommission eingerichtet, in Amsterdam gibt es den Nachtbürgermeister. Das sind zwei unterschiedliche Modelle, die die Veranstaltungsszene mit der Stadtverwaltung verknüpfen. Wir möchten diskutieren, welche Modelle für Wien denkbar wären«, so Fabian Burger. Aktuell ist das Verhältnis zwischen Stadt und Veranstaltern angespannt. Die meisten Open-Airs werden im Moment zwar angemeldet, allerdings meist als Demonstration. Dabei bewegt man sich gewissermaßen in einem rechtlichen Graubereich. »Das gefällt dem Gesetzgeber natürlich nicht, weil es kaum Bestimmungen gibt und die Stadt danach für die Müllentsorgung aufkommen muss«, erklärt Jan Ernst die Problematik. Spricht man länger mit den Veranstaltern, hört man durchaus Verständnis für die Stadt – vor allem was die Müllproblematik, die Sicherheitsvorkehrungen und die Anrainer betrifft. Auf der Donauinsel hat man sich für das Festival etwa einen Flecken Natur gesucht, der möglichst weit vom Wohngebiet entfernt ist. Rücksicht auf die Umwelt gilt als Gebot, gleichzeitig wünscht sich das Kollektiv von der Stadt, dass der kulturelle Mehrwert, den solche Events bringen, anerkannt wird. In welcher Form und wann das passieren könnte, bleibt offen – mit Aufwind soll zumindest ein Impuls gesetzt werden. Zukunftsvision wäre ein Ort in Wien, der regelmäßig bespielt werden kann und bei dem ein Teil der Infrastruktur bereits vorhanden ist. Damit würde Tanz Durch Den Tag dann nicht nur erwachsen, sondern gewissermaßen auch sesshaft werden.
»Aufwind – Festival für urbane Impulse« findet an zwei Wochenenden von 22. bis 25. Juni und von 30. Juni bis 2. Juli in der Creau, im Donauhof, auf der Donauinsel, im Werk und in der Grellen Forelle statt.