Falter, The Message, The Gap, Vice: Vier Medienmarken mit starkem Kulturverständnis und runden Jubiläen im Jahr 2017. Was soll und kann Kulturjournalismus leisten, wie hat sich der Zugang der LeserInnen verändert und wie geht man damit um? Ein Round Table.
Thomas Weber, The Gap: Ein Thema, das alle hier am Tisch vertretenen Medien eint, das ist – ich unterstelle das jetzt einmal – ein eigenes Kulturverständnis, das sich über die Jahre sicher auch verändert hat. Eine Veränderung, die für mich offensichtlich ist: Mit der Messbarkeit von Interesse an Kultur im Web hat sich auch das Bewusstsein herausgebildet, dass ernsthaftes Interesse an Kultur ein Minderheitending ist, weit offensichtlicher als man das vor ein paar Jahren vielleicht noch gedacht oder gehofft hätte. Kultur im klassischen Journalismus war ja oft zumindest ein Distinktionsmerkmal, mit dem man sich positionieren konnte. Dieser Zugang ist komplett verloren gegangen. Da ist der Falter heutzutage eher eine angenehm altmodische Ausnahme.
Yasmin Vihaus, The Gap: Einerseits gibt es etwa bei klassischen Musikrezensionen noch immer einige Autoren, die das gerne machen und viel Herzblut reinstecken. Auf der anderen Seite fehlt aber die Masse an Lesern, die so ein Format interessiert. Wenn der Sänger von Wanda auf der Bühne einen Stromschlag bekommt und das, was es darüber zu sagen gibt, eigentlich schon in der Headline steht, dann klicken das mehr Leute an, als eine Review – egal wie gut sie geschrieben ist. Gerade auch die langen Coverstorys, die in die Tiefe gehen, hinter denen mehr Aufwand steckt und die eigentlich sehr lesenswert sind, funktionieren online bei uns nicht so gut. Auf der anderen Seite haben wir Texte, die zwischendurch verfasst wurden, mit einer catchy Headline, die 10 Mal, 20 Mal, 50 Mal mehr geklickt werden.
Gerhard Stöger, Falter: Meinem Verständnis nach hat der Falter immer eine Art von kritischer Öffentlichkeit oder sogar eine Gegenöffentlichkeit geschaffen. Gerade auch im Kulturbereich, wobei das in der Vergangenheit vielleicht noch stärker der Fall war. Der Falter hat ja 1977 nicht damit begonnen, ein Aufdeckermedium zu sein, sondern etwas völlig Neues gemacht – nämlich die Kulturveranstaltungen der Stadt zusammenzutragen, in ein Heft zu schreiben und über dieses Heft auch politische Inhalte zu verkaufen. Wenn man die Programmeinlage dazu nimmt, ist der Falter heute nach wie vor in erster Linie ein Kulturmedium. Was das bedeutet und welchen Stellenwert das hat, ist schwer zu sagen. Beim Amadeus-Abend im Volkstheater ist mir kürzlich wieder aufgefallen, wie schwierig das mit dem Popbegriff heute ist. Bilderbuch haben es geschafft, in der Mainstream-Welt zwar nicht ganz anzukommen, aber zumindest mehr als nur anzustreifen. Trotzdem schafft es „Bungalow“, der beste Popsong der vergangenen Monate, gerade einmal für eine Woche in die Top Ten der Ö3-Charts. Voodoo Jürgens, in meinen Augen /der/ Künstler des letzten Jahres, kennen viele gar nicht, er ist zu arg für Ö3, funktioniert beim Amadeus aber doch – den meisten Applaus des Abends gab es für seine eindrucksvolle Live-Performance.
Oder das Donaufestival und die nahe am Donaufestival gebaute Clubschiene der Wiener Festwochen: Das nennt sich alles Pop, drinnen ist aber nischig-elitäres Expertenprogramm. In gewisser Weise wird Pop damit, wogegen er einst angetreten ist: Hochkultur. Pop ist präsenter denn je, scheint aber so wenig zu bedeuten wie kaum je. Entsprechend schwer fällt mir die Definition, was Pop eigentlich ist. In meiner Arbeit habe ich irgendwann erkannt, dass es für ein Medium wie den Falter unmöglich ist, Pop in seiner Gesamtheit zu fassen, und dass es daher sinnvoll ist, sich in irgendeiner Form zu spezialisieren. Für uns lag die Spezialisierung nahe, sich genau anzusehen, was vor der eigenen Haustür passiert. Mitte der Nullerjahre tauchten Acts wie Gustav oder Sir Tralala auf, nach dem Niedergang der Wiener Elektronik der 90er entstand in diesem Bereich Neues, und im Gitarren-Underground begann sich etwas zu bilden, aus dem dann Bands wie Bilderbuch und Ja, Panik hervorgingen. Durchwegs spannende Geschichten also. Ich kann mich darauf stürzen, was vor der Haustür passiert, kann – und das ist mein Verständnis vom Journalismus – versuchen, die Welt zu erklären, nämlich das, was da passiert, einfangen, für die Leser aufbereiten und kann Kritik üben.
„Wir verdienen mit The Message keine Kohle. Was die ökonomische Sache betrifft, ist es ein Hinkebein, aber auf der anderen Seite ist das, denke ich, unser Vorteil.“ Daniel Shaked, The Message
Daniel Shaked, The Message: Wir verdienen mit The Message keine Kohle. Was die ökonomische Sache betrifft, ist es ein Hinkebein, aber auf der anderen Seite ist das, denke ich, unser Vorteil. Wir können und machen das, auf das wir Bock haben. Wir scheißen komplett darauf, wer jetzt angesagt ist. Wir wollen in der Redaktion keine Freunderlwirtschaft zwischen dem Journalisten und dem Interviewten. Wenn man jemanden persönlich gut kennt, dann kann man Recherchezuarbeit leisten, aber das war’s. Wir sind aber auch nicht Pop. Hip-Hop hat ja den Vorteil wirklich sagen zu können: Das wird als wirklich ernsthafte Jugendkultur von niemandem sonst wahrgenommen. Nicht nur die Musik, sondern die gesamte Kultur. Wir haben sehr viel Content, der eben im Pop und Mainstream nicht gespielt wird.
Julia Gschmeidler, The Message: Aber immer mehr gespielt wird.
Daniel Shaked, The Message: Das spricht aber auch für uns. Wir haben dabei einfach die Expertise – die meisten anderen schiffen sich dabei an, und zwar groß. Dadurch, dass bei uns keine ökonomischen Interessen im Vordergrund stehen und wir auch nicht davon getrieben sind, können wir auch Dinge machen wie etwa das allererste Voodoo-Jürgens-Interview. Es war uns bewusst, dass das nicht per se Hip-Hop ist, aber der Typ hat mehr Hip-Hop-Elemente in dem, was er tut, als viele MCs, die auf Deutsch rappen. Es geht ja im Hip-Hop im Idealfall darum, Geschichten zu erzählen.
Julia Gschmeidler, The Message: Einerseits sind wir echt auf einer Insel der Seeligen, weil wir keine Anzeigenkunden haben, die wir berücksichtigen müssen, und echt alles machen können, worauf wir Lust haben. Aber natürlich hat das auch einen großen Nachteil, dass wir das alles ehrenamtlich machen, in Zeiten knapper personeller Ressourcen, wo das alles nur schwieriger wird.