Farewell Dear Ghost touren knapp zehn Tage lang in Asien und erzählen im dritten Teil des Tourtagebuchs über einen Videodreh, die Zerstörung einer Brille in einer Karaoke-Bar und die Begegnung mit einem Pekinger Punk.
Shanghai – Peking – Moskau – Wien
Liebe Freunde und Innen, geschätzte Leserschaft,
Sie erinnern sich, wo wir des Letztens stehen blieben, nicht wahr? Ich knüpfe ohne Umschweife an diese letzte Kette an, wie einer von Gerhart Hauptmanns Weber, ausgemergelt und unterdrückt. Nur mit überbordender Freude.
Sagen wir mal so, als Rockband hat man ja durchaus einen übertriebenen Hang zur Selbstgeißelung, zum schmerzhaften Masochismus. Sie müssen sich das so vorstellen, wie ein Boxer, der sich vor Betreten des Ringes mit voller Wucht eins in die eigene Visage hineinprügelt, genau so fühlt sich das an. Nicht anders kann ich es mir erklären, dass wir nach dem Shanghai-Abenteuer im Yu Yin Tang Club um zehn Uhr morgens auf der Matte stehen, um mit dem extra angereisten Filmteam ein Musikvideo zu drehen. Das ist so als hätt’ sich Iron Mike Tyson vor dem ersten Holyfield-Kampf das Ohr genüsslich selber abgebissen. Nachdem Prückls Kaffeesucht aber mit einem vierfachen Espresso-Shot halbwegs gestillt und der Tross die engagierten Taxen betritt, beschleicht mich das ähnlich dumpfe Gefühl, das auch Simplicissimus auf seinen Reisen gehabt haben müsste. Eine klassische Maschin quasi, manche führen, manche folgen, Herz und Seele, Hand in Hand.
Aber liebe_r Leser_in, wem mach’ ich hier was vor? Sie wissen ja, wie das so abläuft bei Musikvideodrehs. Als geborener Actor ist mir so eine Prozedur natürlich sozusagen implementiert, wenn jemand den Waltz braucht, dann mach’ ich halt den Waltz. Selbst bei Leo DiCaprio, Brad Pitt oder Mel Gibson wird mir nicht schwindelig vor Ehrfurcht. Harr harr. Ich war schon auf der Titanic, da war Weinstein noch ein armes, kleines Würstchen. Sie sehen, ich übertreibe maßlos. So ein Dreh ist weder Honigschlecken noch gebackene Banane, da kann es dann durchaus schon mal vorkommen, dass Hundert Shanghai’sche Einwohner rundherum stehen, Selfies machen und ihre Kinder in die Kamera halten. Der europäische Messias ist gekommen. Und er trägt Glitzerjacke und eine kaputte Brille.
Ui, da bracht’ ich mich ausgerechnet selber auf ein leidiges Thema. Die Episode der zertrümmerten Sehhilfe. Sagen wir mal so, ich diagnostiziere mich selber mit einer (vor allem finanziell) äußerst ungesunden Obsession mit der amerikanischen Rockband The Killers. Wenn dann in einer Karaoke-Bar ein Track eben genannter Musikgruppe ertönt und ich meine Chance wittere, den Brandon Flowers zu mimen, ist es einfach wider meine Natur, auf der Couch sitzen zu bleiben. Ich sprang sodenn voller Freude auf den Tisch, die Faust in der Höh’, das Mikro im Gfriss. Und KRRRX. Voller Eifer auf die Brille gehüpft, die ich vorsorglich auf die marmorierte Tafel drapiert hatte. Nun denn, die Stimmung war dadurch mitnichten im Eimer, meine Beobachtungen ließen sich ab diesem Zeitpunkt halt dann lediglich der Kategorie »Maulwurf« zuordnen. Verzeihen Sie also, sollte dieser letzte Tagebucheintrag vor Verwirrungen und geistiger Umnachtung nur so wimmeln, Stevie Wonder wurde ja immerhin auch noch nie für den Literaturnobelpreis nominiert.
Nun gut, nach überstandenem Videodreh und Karaoke-Session schlägt die Truppe ihr letztes Zelt in Peking auf, nicht bloß Hauptstadt der Volksrepublik mit dreitausendjähriger Geschichte, Herberge mehrerer Kulturerben mit bedeutsamen Umweltproblemen, sondern viel wichtiger: auch Namensgeber der in Österreich so beliebten Peking-Ente. Sie sehen, liebe_r Leser_in, ich hab’ sie jetzt erfolgreich verballhornt, die Peking-Ente ist natürlich, verglichen mit der verbotenen Stadt oder dem Tiananmen-Platz – der Platz am Tor des himmlischen Friedens – keine spezielle Erwähnung wert. Vielmehr der Erwähnung wert entpuppt sich das Peking’sche Publikum.
Zwar kennt man auch in China den Brauch, das der Allererste in der Reihe ein stockbesoffener Junkie ohne Zähne sein sollte, dennoch bebt der Punkschuppen mit dem sanften Namen School Bar durchaus heftig. Der Punk in der ersten Reihe dürfte sich aber dennoch lokaler Beliebtheit erfreuen. Während er ungeniert dem Sänger Szalay auf die Pelle rückt und Alex Hackl regelmäßig mit entgegengestreckter Pommesgabel malträtiert wird, gibt er uns unverhohlen zu verstehen, dass unsere Songs gut und gerne mehr Fuzz vertragen würden. Popmusik sei so gar nicht seins. Beim Konzert selbst ist dann allerdings nach zwei, drei Liedern nicht mehr viel von ihm zu sehen. Entweder er schläft draußen bei den Peking-Enten oder er schraubt sich irgendwo in den hinteren Winkeln des Klubs gerade die zweite Jack-Daniel’s-Flasche auf ex hinunter.
Ansonsten macht Peking aber wunderbar viel Spaß. Es ist laut, es ist heiß, die Leute klatschen euphorisch und enthusiasmiert. In Hollywood würde man sagen: ein amazing Abschluss. Ich schwör’, das hörte ich beizeiten schon des Öfteren. Ein amazing Abschluss, ein amazing Startschuss. Denn am 13. Oktober haben wir unser Album »Neon Nature« rausgeballert. Und recht viel mehr »Neon Nature« als Asien, das geht nicht.
Den ersten Teil des Tagebuchs gibt’s hier, den zweiten Teil hier, das Tagebuch der letztes Asien-Tour hier. »Neon Nature«, das neue Album von Farewell Dear Ghost, erschien am 13. Oktober bei Ink Music.