Samira Elagoz thematisiert in ihrem Film „Craigslist Allstars“ und der Performance „Cock, cock, who’s there?“ Intimität, Sexualität und Gewalt aus einer weiblichen Perspektive. Dabei nimmt sie den Zuseher mit auf eine Reise durch verschiedene Kontinente und Wohnzimmer, zeigt neun Männer und ihre Eigenheiten, wird selbst zur Co-Darstellerin und versucht, abzubilden ohne zu verurteilen. Wir haben mit der 28-jährigen Künstlerin über ihre Werke und die Motivation dahinter gesprochen.
Samira Elagoz zeigt auf dem Impulstanz Festival zwei Werke, die sie selbst mehrere Jahre beschäftigten. Auf Craigslist, Tinder und Chatroulette suchte sie nach Männern, die sich mit ihr treffen und sich dabei filmen lassen. Daraus entsteht später der Film „Craigslist Allstars“, eine Dokumentation über das erste Zusammentreffen zwischen ihr und verschiedenen Männern in verschiedenen Städten, darauf aufbauend die Performance „Cock, Cock… Who’s there?“, in der sie ihre eigene Vergewaltigung verarbeitet. Indem sie die ersten Zusammentreffen mit Unbekannten filmt, hält sie fest, wie diese Männer auf sie reagieren, gleichzeitig agiert sie in der Performance selbst an Sprecherin vor der großen Filmleinwand. Im Interview spricht die finnische Performance-Künstlerin über das Internet als Plattform für Frauen, Feminismus und Intimität.
Wenn du über deine Arbeit sprichst, verwendest du oft den Begriff „behavioral research“. Was hast du während dem Projekt über dich selbst gelernt, inwieweit hast du dich selbst verändert?
Ich glaube nicht, dass ich mich verändert habe, ich war immer schon ein sehr offener Mensch. Wichtig für das Projekt war, Leute nicht zu verurteilen und gleichzeitig ganz normale Menschen interessant darzustellen. Dazu ist es wichtig, ihnen Aufmerksamkeit zu schenken. Ich kann nicht wirklich sagen, was ich über mich selbst gelernt habe. Als Frau hat mir das Projekt in gewisser Weise Macht gegeben. Selbst dafür verantwortlich zu sein, wie man Menschen im Film darstellt gibt natürlich Macht. Normalerweise sind es Männer, die Frauen darstellen – gerade wenn es um Sex geht. Bei meinem Film konnte ich das steuern, konnte Männer aus meiner Perspektive, also aus einer weiblichen Perspektive zeigen. Wenn ich mit den Leuten Sex haben wollte, war das meine Entscheidung und ich konnte es selbst filmen. Diese Selbstbestimmtheit war sicher das, was mir am Wichtigsten war.
Inwieweit siehst du deine Werke als feministisch an?
Ich versuche das Wort Feminismus immer zu vermeiden – nicht, weil ich nicht glaube, dass mein Film oder meine Performance nichts feministisches an sich haben, sondern weil mein Zugang anfangs nicht feministisch war. Aber ja, natürlich, beide Werke haben feministische Zügen. Wenn Männer Frauen porträtieren, dann passiert das immer aus einem männlichen Blickwinkel, der bestimmte Rollenbilder produziert. Frauen werden immer wieder in den selben Rollen dargestellt. Als ich mich dazu entschlossen habe, diese Rollen umzukehren, habe ich den Männern die Freiheit gegeben, sich selbst zu zeigen. Ich wollte sie nicht in eine Rolle drängen, ich wollte sie genau so zeigen, wie sie sind und ihnen gewissermaßen auch die Macht geben, sich selbst zu zeigen. Deshalb bin ich auch selbst vor der Kamera zu sehen. Ich wollte sie nicht nur abbilden und zur Schau stellen, ich wollte mit ihnen im Film sein und habe versucht, empathisch zu agieren und sie gewissermaßen zu spiegeln, um ihnen Sicherheit zu geben. Wenn sie wild sind, war auch ich wild, wenn sie schüchtern waren, war auch ich schüchtern. Der Typ mit der Gitarre, der war beispielsweise ein bisschen trashy und ich habe mich angepasst. Ich wollte Teil der Umwelt der Menschen werden und habe versucht sie zu verstehen. Ich würde sagen mein Film ist eher eine Dokumentation aus einer weiblichen Perspektive, die neugierig, aber nicht verurteilend ist.
Welche Rolle spielt Verletzlichkeit?
Ich glaube, dadurch dass ich mit den Männern im Film zu sehen war, habe ich sie nicht bloßgestellt oder verletzlich gemacht. Die Personen, die im Film vorkommen, haben selbst entschieden, etwas von sich preiszugeben, ich habe sie nicht dazu überredet. Es war mir aber wichtig, echte Menschen zu zeigen. Ich hätte auch mit Schauspielern arbeiten können, aber das ist nicht dasselbe. Die Empathie ist einfach größer, wenn die Menschen echt sind.
Welche Rolle spielt Gewalt?
Die Performance basiert auf einem persönlichen Gewalterlebnis. Es geht darum, herauszufinden, was Gewalt provoziert. Ich interviewe Menschen, die SM-Techniken anwenden und gewissermaßen in einem sicheren Umfeld praktizieren. Das war sehr interessant für mich, weil es Regeln gibt. Normalerweise gibt es keine klar ausgesprochenen, definierten Regeln, wenn man Sex hat. Ich finde, das kann fast gefährlicher sein, als wenn man keine Kontrolle und keine Absprachen hat. Ich habe versucht, zu zeigen, dass Gewalt verschiedene Facetten hat. Im Film spielt Gewalt kaum eine Rolle, da geht es viel mehr um Zwischenmenschlichkeit.
Du hast die Charaktere des Films ja online via Craigslist gefunden. Inwieweit verändert sich Intimität durch das Internet deiner Meinung nach?
Ich bin mir nicht sicher. Ich glaube Dating-Seiten sind beispielsweise eine großartige Sache, wenn man sich überlegt, wie sich Menschen sonst kennenlernen: Man verliebt sich in seinen Arbeitskollegen, oder in den Bruder des Nachbars und man denkt, man ist seelenverwandt, aber eigentlich ist man nur am selben Ort und begegnet sich eine Zeit lang sehr häufig und man verliebt sich letztendlich, weil die andere Person eben gerade da ist. Mittlerweile hat man die Möglichkeit, sich genau zu überlegen, was man will und das Internet bietet unabhängig vom Ort, an dem man sich gerade befindet, eine Möglichkeit, jemanden kennenzulernen. Das ist ziemlich großartig. Natürlich kann das auf sehr weirde und abgefuckte Art und Weise genutzt werden, aber es bietet definitiv mehr Möglichkeiten und Chancen, jemanden kennenzulernen. Ich habe alle meine bisherigen Partner online kennengelernt und ich weiß sehr genau, was ich an Menschen mag und was nicht. Ich finde, unsere Zeit ist zu kurz, um sich mit jemandem zufrieden zu geben, der eben gerade da und ganz ok ist. Außerdem bietet das Internet mehr Möglichkeiten auszubrechen und seine Eigenheiten zu zeigen und gleichzeitig Menschen zu finden, die diese Eigenheiten teilen oder schätzen.
Ist vieles dabei nicht auch Selbstdarstellung?
Meiner Meinung nach leben wir in einer großartigen Ära, in der Frauen die Chance haben, sich selbst so zu präsentieren, wie sie gesehen werden wollen. Wenn sie sexy sein wollen, dürfen sie sexy sein. Wenn sie Nacktfotos online stellen wollen, können sie das. Ich finde das gut, weil es ihre Entscheidung ist. Tut es! Das ist der Grund, warum ich keine Frauen in meinen Arbeiten zeige – ich möchte es ihnen selbst überlassen, sich zu zeigen. Sie haben jetzt eine Plattform für sich. Das gilt auch für alle anderen Minderheiten – alle können sich selbst besser darstellen. Was meiner Meinung nach wirklich gefehlt hat, war die Darstellung von Männern aus Frauensicht.
Du hast mit Tanz begonnen, nun zeigst du am Festival einen Film und eine Performance. Wie bist du zum Medium Film gekommen?
Ich habe früher getanzt, aber ich glaube, das lag vor allem daran, dass ich am Land gelebt habe. Es gab dort nicht sehr viele Arten, sich auszudrücken. Ich glaube, dass das was ich jetzt mache ein bisschen das Gegenteil zu sehr technisch angelegtem Balett-Training ist, das oft sehr starr und geregelt abläuft. Ich wollte in meinen Arbeiten reales Leben festhalten und mit Menschen interagieren, die ich davor nicht kannte. Für mich war das eine sehr fruchtbare Zusammenarbeit und das Medium Film bietet viele Möglichkeiten zur Darstellung. Mit meinem Körper kann ich zwar bestimmte Dinge darstellen, aber im Film kann ich nahezu alles vor die Kamera bringen. Ich habe nie gelernt, mit Film zu arbeiten, also habe ich einfach darauf los gearbeitet und versucht, meinen eigenen Stil zu finden. Aber ich liebe Performance noch immer und ich liebe es, mir Performances anzusehen, insofern passt die Kombination auch.
»Cock, Cock… Who’s There« wird am 24.07.2017 um 22:30 Uhr und am 26.07.2017 um 19:30 im Kasino am Schwarzenbergplatz gezeigt, »Craigslist Allstars« am 25.07. um 19:00 Uhr im Mumok Kino. Mehr Informationen gibt’s hier.