Betonpoller, die in der Weihnachtszeit in buntes Geschenkpapier verpackt werden, oder mittelalterlich anmutende Wassergräben – die Architektur findet ständig neue Antworten auf den Terror.
Während die Architektur selbst schon oft bis zum Hals in der Krise steckte, so dass sie nur noch müde röchelte und der Zeitgeist aus vielen neu gebauten Häusern auszog, um woanders zu spuken, scheint sich das nun umgedreht zu haben: Die Krise steckt in der Architektur und lenkt dort alles Richtung Hochsicherheitsbauweise und Anti-Terror-Maßnahmen. Während viele ArchitektInnen dieses Sicherheitsgefühl lange Zeit mit dem Vorschlaghammer zu vermitteln versuchten, bemüht man sich hier neuerdings mehr um Streicheleinheiten. Denn selbst die Amerikaner möchten ihre Gebäude nicht mehr hinter Stacheldraht, Betonmauern und schwer bewaffneten Militärs verstecken, sondern subtiler und offener bauen. Ziel ist es, mithilfe entsprechender Vorkehrungen, gegen alle möglichen Angriffe gewappnet zu sein, doch diese sollen im Idealfall unsichtbar bleiben. Aktuell bestes Beispiel für einen solchen Akt der Camouflage ist die neue US-Botschaft in London, die vom Architekturbüro KieranTimberlake gebaut wurde. Ihr Entwurf basiert auf der Abkehr von Abschottung und der Verweigerung stark nach außen sichtbarer Defensivmaßnahmen – hält aber gleichzeitig höchste Sicherheitsstandards und modernste Anti-Terror-Maßnahmen ein.
»Offenheit und Transparenz« war das Credo des ArchitektInnenteams, mit dem er den Wettbewerb letztlich auch für sich entscheiden konnte. Die mittelalterliche Turmhügelburg diente den ArchitektInnen für ihren Botschafts-Entwurf als Vorbild, weshalb sie das Gebäude 30 Meter von der Straße zurücksetzen ließen und es mit einem Wassergraben – oder »Teich« – versahen. In Richtung Norden umgibt eine Hecke das Gelände – allerdings eine, die es in sich hat: Unter ihren Blättern verstecken sich zahlreiche Stahl- und Betonpoller. Diese sind so beschaffen, dass sie einen 7,5 Tonnen schweren LKW stoppen sollten. Gelänge es einem Fahrzeug dennoch, diese Vorkehrung zu überwinden, würde es auf eine Sitzmauer stoßen und dann auf jene 20 Meter breite Wasserfläche, hinter der sich das Botschaftsgebäude auf einem erhöhten Sockel befindet. Das Spiel mit Offenheit und Transparenz entspricht nämlich eigentlich einer geschlossenen Gesellschaft. Das spiegelt sich auch in der Außenfassade des mächtigen Gebäudes wider – der gestaucht wirkende Glaskubus ist nämlich nur scheinbar transparent. Eigentlich hat er genau dieselbe Farbe wie das beinahe angrenzende, trübe Themsenwasser.
Die Glaswände des Gebäudes sind nicht nur 15 Zentimeter dick, sondern bestehen auch aus mehreren laminierten Platten, denen selbst wuchtigste Sprengsätze nichts ausmachen. Auch bei der 2008 neu eröffneten US-Botschaft in Berlin war Offenheit ein großes Thema, wenn auch in einem etwas anderen Sinn – hier wollte man nämlich offen und mit zahlreichen Pollern, Kameras und Lichtblenden zeigen, dass die Sicherheit des Gebäudes an oberster Stelle steht. Da der ursprüngliche Entwurf aus dem Jahr 1996 stammte, musste dieser, vor allem nach den Anschlägen des 11. September, stark angepasst werden. Nach ihrer Fertigstellung wurde die Botschaft, aufgrund der gut sichtbaren Sicherheitsmaßnahmen, kontrovers diskutiert und das Gebäude mit Titeln wie »Festung« oder »Bunker« versehen.
Versteckte Kontrolle
Für ihren Entwurf der neuen US-Botschaft blickten KieranTimberlake jedoch nicht nur ins Mittelalter, sondern auch nach Mitteleuropa. »Bei der humanistischen Architekturausbildung am europäischen Festland wurde der Sicherheitsaspekt eigentlich so gut es ging verdrängt. Es gab lange Zeit kaum jemanden, der sich damit beschäftigt hat, weil man dadurch schnell in ein rechtes Eck gedrängt wurde. Es hat sicherlich auch mit der deutsch-österreichischen Faschismusgeschichte zu tun, dass ein Zuviel an Militarisierung an diese Zeiten erinnert. In Ländern ohne eine solche Geschichte haben die Architekten weniger Berührungsängste, und Hochsicherheit gehört mitunter sogar zum Alltag der Planung«, erklärt der Grazer Architekt und Architekturtheoretiker Michael Zinganel, der sich bereits 2003, in seinem Buch »Real Crime«, mit den Auswirkungen von Verbrechen auf Architektur und Stadtplanung auseinandersetzte. Wie groß das Bedürfnis ist, Sicherheitsvorkehrungen wie Poller, Mauern, aber auch Kameras in hübschem Tarngewand zu verpacken, ist stark vom kulturellen Kontext abhängig.
Dass die Amerikaner bisher nur wenig Hemmungen hatten, ihre defensiven Maßnamen offen auszustellen, lässt sich jedoch nicht den Gebäuden selbst ablesen, sondern wird auch anhand des allgemein hohen Aufgebots an bewaffnetem Securitypersonal, beispielsweise in Shopping Malls, deutlich. In Kontinentaleuropa sind weder Letztere, noch massive bauliche Abwehrmaßnahmen, gerne gesehen. »Ein Besuch des Wiener Parlamentsgebäudes, gemeinsam mit amerikanischen Studierenden, hat diese Kluft für mich deutlich gemacht. Bis ich ihnen erklärt habe, dass Sicherheitsvorkehrungen wie Bodyscreener hier gut hinter den schönen Altbaufassaden versteckt sind, waren sie sehr verwundert darüber, dass man hier das Parlament ›einfach so‹ betreten kann. Sicherheit ist bei uns zwar ein Thema, soll aber nicht auffallen. Das hat speziell in Österreich eine lange Tradition«, erklärt der Architekt. Als Paradebeispiel dafür erwähnt er den Wiener Millennium Tower, der zwar schon im Jahr 1999, aber ebenfalls zu einer Zeit, in der die Sicherheitsvorkehrungen für Hochhäuser extrem hochgeschraubt wurden, gebaut wurde: »Architekt Boris Podrecca hat gerade bei diesem Gebäude sehr darauf geachtet, dass mögliche Sicherheitsmaßnahmen unsichtbar bleiben. Im Eingangsbereich befindet sich eine hübsche Portiersloge, die frei steht. Dort muss man sich anmelden und bekommt eine Chipkarte. Diese sollte in keinem Fall nach Sicherheitsvorkehrung aussehen, sondern eher nach Hotel-Lobby. Betritt man das Gebäude, geht man außerdem zuerst durch Gates, wie am Flughafen, checkt quasi mit der Karte ein. Das Gate ist prinzipiell aber offen. Wenn aber jemand hingeht, der keine Karte hat, knallt es zu. Hat man eine Karte, bleibt es offen. Das ist für mich die hohe Kunst der Security, denn die Menschen, die ohnehin eine Karte besitzen, merken dadurch gar nicht, dass da überhaupt Gates sind.«
Ohne Sicherheit keine Architektur
Dass Sicherheit aber nur dann zu einem wirklichen Sicherheitsgefühl wird, wenn die Rahmenbedingungen unsichtbar bleiben, schwappte, wie anhand der neuen US-Botschaft in London deutlich wird, auch bereits nach Amerika rüber. So gab es bereits vor KieranTimberlakes Entwürfen erste Gehversuche amerikanischer ArchitektInnen, die außerhalb von Betonmauern, Pollern und Zäunen stattfanden. Scheinbar zumindest. Einer »Poetik der Sicherheit« folgend, entwarfen die Architekten Della Valle und Bernheimer den Vorplatz des Federal Building in San Francisco – eine geknickte Landschaft mit zahlreichen Bänken und Metallstangen, die Zinganel zufolge, nach äußerst ambitionierter Architektur oder einer Skatelandschaft aussieht, aber eigentlich nur der Sicherheit dienen soll.
Diese Entwicklung ist jedoch keine einseitige, denn während in den USA das Versteckspiel vorangetrieben wird, hat man sich in zahlreichen europäischen Städten, wie Paris oder Brüssel, mit dem Anblick bewaffneter Militärs abgefunden. »Es ist normal geworden, dass Gruppen bewaffneter Militärs mit Maschinengewehren durch die Stadt patrouillieren. Subjektive Angst ist zu einer realen Gefahr geworden und der Ausnahmezustand deshalb oft auch einfach nicht mehr aufgehoben worden«, erklärt Zinganel. Obwohl ein solch stark ausgeprägter Sicherheitsgedanke einen dicken Betonwall um das kreative und künstlerische Potenzial der Architektur zu ziehen scheint, konstatiert Zinganel auch, dass die Architektur ohne diese Sicherheitsaspekte überhaupt nicht existieren würde. »Erste Städte wurden an militärstrategisch günstigen Orten gebaut. Ebenso auch an Plätzen, an denen man Handelsorte etablieren wollte, die sich leicht schützen lassen. Architektur und Stadt gehen aus einem Sicherheitsbedürfnis hervor, es ist ihnen grundlegend eingeschrieben.« Wie offen künftig mit diesem umgegangen wird und wie viel Verschlossenheit tatsächlich in der neuen Offenheit der amerikanischen ArchitektInnen steckt, wird sich noch zeigen.