Heute startet die dritte Ausgabe von Hyperreality – zum ersten Mal unabhängig von den Wiener Festwochen. Nach einem Wechsel der Intendanz im letzten Jahr verabschiedeten sich die Festwochen von ihrer beliebten Clubkultur-Schiene. Ein Ende bedeutet das für Hyperreality zum Glück nicht.
Dank Bürgerkuratorin Marlene Engel, die das Festival seit Beginn an betreut, wird in diesem Jahr zu den Festwochen sogar sehr laut »Servus« gesagt. Für BesucherInnen ändert sich wenig, das Festival wird wie in den letzten Jahren an zwei Wochenenden stattfinden. In Sachen Geschlechtergerechtigkeit macht das Team um Marlene Engel nach dem Motto »Sollen sich doch andere um Male-Bookings kümmern« in diesem Jahr leichte Abstriche, nur 30 Prozent der Artists, die an den kommenden zwei Wochen die Sophienalpe bespielen, sind männlich. Das Programm kann sich auch ohne finanzielle Unterstützung der Festwochen sehen lassen, zu den Highlights zählen in den nächsten beiden Tagen unter anderem House-Größe Jana Rush, Nina Kraviz, die sich schon im letzten Jahr anmerken lies, wie wohl sie sich bei Hyperreality fühlt, Footwork-Spezialist DJ Paypal und das Showcase des Berliner Hype-Labels Pan.
Bald geht es los, die erste Hyperreality-Ausgabe ohne Festwochen… Was verändert sich in diesem Jahr dadurch, was bleibt gleich?
Hyperreality findet heuer zum ersten Mal an zwei Wochenenden statt. Am 17. / 18. und 24. / 25. Mai. Der inhaltliche Fokus ist gleichgeblieben: elektronische und experimentelle Musik im Kontext globaler Clubkulturen. Mit dabei sind einige der spannendsten ProduzentInnen und MusikerInnen, die es gibt. Die Arbeit außerhalb etablierter Strukturen und Abläufe hat auch neue Möglichkeiten gebracht. Vor allem aber die Freiheit, die eine Kunstform, die aus dem Widerstand gegen die kulturelle Homogenisierung durch den Kapitalismus entstanden ist (siehe Techno, Hip Hop), eigentlich braucht. Besonders, wenn man ihre vielfältigen, Post-Internet-Ausformungen aus und über das Jahr 2019 hinaus authentisch präsentieren möchte.
Es werden zeitgemäße Themen verhandelt und der Club dient dabei als Bühne, auf der Musik, BesucherInnen, Setting und alle möglichen weiteren Facetten eine gleichwertige Rolle tragen. Es ist ein gelebter Gegenpol zu aktuellen autokratischen Tendenzen. Ich freu mich auf ein Programm mit so kontrastreichen Beiträgen wie der Komponistin Rojin Sharafi oder Chicago House Produzentin Jana Rush, auf neue Pop Dimensionen von Tami T oder 700 Bliss, die Kooperation von Aktivistin Moor Mother und DJ Haram.
Wie wurde das Festival in so kurzer Zeit letztendlich auf die Beine gestellt?
Am wichtigsten war das Commitment und Engagement von Therese Kaiser und Esther Straganz, sowie eines fachspezifischen Teams, mit Erfahrung im Bereich Musik und Nachtleben. Die strukturelle Kooperation mit dem RRRIOT Festival war maßgeblich. Die Unterstützung der Stadt Wien und der SKE, die an unser zukunftsorientiertes Projekt glauben, war in weiterer Folge zentral.
Mit der Sophienalpe habt ihr euch ja eine wunderschöne Location am Rande von Wien gefunden. Wie hast du die Location entdeckt und was dürfen sich BesucherInnen erwarten?
Ich finde, die Sophienalpe ist die coolste Location, die wir für Hyperreality bislang hatten. Die beiden Räume, in denen die Konzerte stattfinden, sind komplett unterschiedlich und bieten damit den perfekten Raum für ein kontrastreiches und kompromissloses Programm. Es wird außerdem einige Überraschungen zu entdecken geben und man kann unter den Sternen chillen.
Wie kommt man auf die Sophienalpe und wieder heim? Wie groß stehen die Chancen, dass Menschen bei gutem Wetter zwischen den zwei Tagen mangels Öffi-Verbindung in der Wiese schlafen? Und: Darf man das?
Es wird einen Shuttle-Bus geben, der BesucherInnen die ganze Nacht zwischen Hütteldorf und der Sophienalpe hin und retour fährt – gratis für FestivalticketbesitzerInnen. Der letzte Bus, der die Sophienalpe am 26. Mai verlässt, fährt direkt zum nächsten Wahllokal, damit alle bei der EU Wahl mitstimmen können, die sich keine Wahlkarte bestellt haben. Geteiltes Leid ist halbes Leid – im wahrsten Sinne des EU-Stichworts. Einige Taxis sind die ganze Nacht vor Ort und Uber findet meistens auch hin. Dann gibt es noch den Stadtwanderweg Nummer 8. Von mir aus können gern Leute in der Wiese schlafen. Ich hoffe nur, niemand fällt in die Senkgrube.
Es gab ja schon im letzten Jahr einige Auftragsarbeiten, unter anderem von Jung an Tagen und Fauna. Kannst du schon etwas zu den diesjährigen Projekten von Farce, Rojin Sharafi, Iku und DJ Gusch erzählen?
Wir haben heuer ja leider weniger Mittel zur Verfügung. Die Auftragsarbeiten konzentrieren sich also auf neues Material und vor allem, die Entwicklung neuer Live-Shows mit interdisziplinären Elementen. Da möchte ich den KünstlerInnen auch nicht zu viel vorwegnehmen, es sind einige Überraschungen dabei.
Man wirft Festivals ja gerne vor, jedes Jahr die gleichen Männer zu buchen. Wird Nina Kraviz bei Hyperreality künftig diese Rolle einnehmen?
Bei Hyperreality spielen alle internationalen Acts außer Nina und DJ Haram heuer das erste Mal. Der Großteil der Bookings besteht aus aufstrebenden Künstlerinnen, die sich immer wieder neu erfinden. Es spricht meiner Meinung nach nichts dagegen, sondern sogar viel dafür, solche Artists wieder einzuladen, um sie nachhaltig zu supporten. LSDXOXO war zum Beispiel sowohl 2017 als 2018 bei Festival eingeladen. Zwischen dieser Praxis und dem uninspirierten Buchen der immer gleichen Männer, die Jahr für Jahr 95 Prozent des Line-Ups vieler Festivals einnehmen, besteht ein gewaltiger Unterschied.
Mit Amen Records wird auch ein Wiener Label besonders präsent sein. Wie schätzt du die Produktivität der Wiener Musikszene in diesem Bereich aktuell ein und warum habt ihr euch dazu entschieden, mit Amen zusammenzuarbeiten?
Es gibt in Wien einige aufstrebende Labels, abgesehen von Amen. Zum Beispiel Ashida Park, oder Ventil. Die aktuelle Musikwirtschaft ist allerdings schwer zu verstehen. Um sich hier eine neue nachhaltige Struktur zu erschaffen muss man erfinderisch sein. Amen hat immer wieder internationale MusikerInnen veröffentlicht, die später durch etabliertere Labels aufgegriffen wurden wie zum Beispiel Jigga oder Bod. Mit Battle-ax oder Asfast sind auch in Wien lebende MusikerInnen dabei, die innovative Arbeit leisten. Diese Mischung passt gut zu Hyperreality und ich wollte der Arbeit eine Fläche bieten.
Neben dem Musikprogramm gibt es in diesem Jahr zusätzlich auch noch eine Workshop-Reihe gemeinsam mit Ableton. Wie kann man dort teilnehmen und an wen richten sich die Workshops?
Die Teilnahme war offen für alle und gratis. Die Workshops waren innerhalb von 2 Stunden ausgebucht. Wenn wir können, erweitern wir das Programm 2020.
Mit dem Credo »Nur 30 Prozent Männer« sprecht ihr ja ganz klar auch strukturelle Probleme in der Szene an. Ist in Zukunft auch ein Diskurs-Teil geplant? Gefühlt würde das Festival ja viel Raum für Diskurs bieten.
Bei Hyperreality stand immer der gelebte Diskurs im Vordergrund. Projekte wie der Fake Backstage 2017 haben sozial-kulturelle Themen praktisch aufgearbeitet. Grundsätzlich möchte ich dabeibleiben, es sei denn, es findet sich Raum, Zeit, Geld und vor allem: Ein Team, dass die inhaltliche Gestaltung so eines Diskursprogramms übernehmen wollen würde. Ich finde, Diskurs muss wenn dann eigens kuratiert werden und soll kein Add-On eines Musikfestivals sein, um sich für Einreichungen potentiell besser zu stellen.
Noch irgendwelche Geheimtipps das Line-up betreffend?
Die erste Live-Show von WWWINGS, Jigga und das vorhersehbar emotional geladene Festival-Abschluss-Set von Fauna b2b Therese Terror. Abseits vom Line-up: Mit VVK-Ticket bekommt man schon im gratis Shuttle-Bus das Festivalband und wird vom Bus direkt aufs Festivalgelände gebracht. Außerdem empfehle ich die Trüffelpommes und das Hyperreality Newsletter Abo.
»Hyperreality – Festival for Club Culture, Vienna« eröffnet heute auf der Sophienalpe. Alle Infos und dank GIFs auf der Webseite.