Wortwechsel: Wie viel institutionalisiertes Geld braucht und verträgt die Freie Szene?

Wie frei ist die Freie Performance- und Theater-Szene? Vier Meinungen zur Finanzierung freier Bühnen.

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© Erich Leonhard / Irene Waltersdorfer, Stadt Graz:Foto Fischer, Apollonia Theresa Bitzan, DARUM

Inhaltliche Selbstbestimmung gilt als Maß der Dinge, zwischen Förderungen und nicht-prekärem Überleben, für monetäre Freiheit und gegen kommerziellen Zwang zu wandeln. Doch was genau ist in der Freien Szene ein Zuwenig und ein Zuviel an Förderung? Geht es um die Qualität des Finanzierungs-Modells? Wäre nur ein gänzlich nicht-finanzierbares Projekt wirklich frei? Und wie sehen FördergeberInnen ihre Verantwortung gegenüber dem Selbstbestimmungs-Prinzip?

© Erich Leonhard / Irene Waltersdorfer

Inge Gappmaier und Ulrike Kuner

Selbstbestimmte Kunst – Arbeitsstrukturen und soziale Sicherheit

Die Freie Szene braucht genau so viel an Förderungen, dass die soziale Sicherheit der Kunstschaffenden und damit deren selbstbestimmtes Arbeiten gewährleistet ist. Obwohl die freie Theater-, Tanz- und Performance-Szene seit mehr als 40 Jahren (und länger) existiert, befinden sich die Beschäftigungsformen in einem Graubereich, um den auch die FördergeberInnen wissen. Die Begrenzungen, in denen die Freie Szene arbeitet, beruhen daher auf der Abhängigkeit von Neben- bzw. Zweitjobs, zeitlich begrenzten Förderungen, geringer medialer Präsenz und wenigen Arbeits- und Spielstätten. Die momentanen Förderhöhen erlauben kaum Gagen oberhalb der Armutsgrenze. Durch die Selbstständigkeit gibt es weder Arbeitslosengeld zwischen den Projekten noch Krankenstand. Dennoch ist es die Selbstständigkeit, die den Kunstschaffenden im Rahmen von Werkverträgen bisher erlaubt hat, trotz geringer Mittel, Projekte überhaupt zu realisieren. Die Konsequenzen aus der Praxis von niedrigen, unregelmäßigen Löhnen zeigen sich nun jedoch bei der Berechnung von Pensionen, die kaum die notwendige Untergrenze von circa 930 Euro pro Monat erreichen.

Die Freiheit einer Szene artikuliert sich nicht nur über inhaltliche, sondern insbesondere über organisatorische Selbstbestimmung. Spätestens seit 2017 hat sich die Lage der freien Kunstschaffenden jedoch massiv geändert, da die Sozialversicherungsanstalten alle Beschäftigungsverhältnisse prüfen und viele Vereine nun Nachzahlungen an die Sozialversicherung tätigen müssen. Welche Form – ob Selbstständigkeit oder Anstellung – wirklich vorliegt, welche Beiträge in welcher Höhe an welche Versicherungsanstalt zu leisten sind, bestimmen seither die Frage der Organisation der Kunstschaffenden.

Die Praxis zeigt, dass derzeit eher Anstellungsverhältnisse (und die damit verbundenen Abgaben) die Gefahren von Altersarmut und beschäftigungslosen Zeiten abfangen können, bzw. dass eine adäquate Anpassung der Honorare bei Werkverträgen vonnöten ist. Dies ist teuer, und darum wissen auch die fördergebenden Stellen. Veranstaltungen wie das Symposium »Freie Szene – Freie Kunst« im April 2019 sowie die Initiative der Arbeitsgruppe Working Conditions der Wiener Perspektive zur Einführung von Honoraruntergrenzen, machen deutlich, dass die soziale Absicherung der KünstlerInnen grundlegend für deren freies Schaffen ist. Auch der ständige Dialog mit den FördergeberInnen ist von diesem Thema geprägt.

Warum sollen gerade in der Freien Szene nur die künstlerischen Anteile einer Produktion durch »Zuschüsse« gefördert werden, wenn für alle anderen SubventionsempfängerInnen – also die etablierten Theater, Festivals, Häuser – die Sozialversicherungsbeiträge einen selbstverständlichen Anteil der Förderungen darstellen? 

Inge Gappmaier arbeite als freie Choreographin, Tanzpädagogin und Tanzwissenschafterin. Seit 2019 ist sie Vorstandsmitglied der IG Freie Theaterarbeit.
Ulrike Kuner ist die Geschäftsführerin der IG Freie Theaterarbeit und Vorstandsmitglied im Kulturrat Österreich. Die Interessengemeinschaft Freie Theaterarbeit (IGFT) besteht seit 1988 als Interessenvertretung und Netzwerk von Theater-, Tanz- und Performanceschaffenden. Im Zentrum der Arbeit stehen die nachhaltige Verbesserung der Rahmenbedingungen für freie Theaterarbeit sowie Aktivitäten zur Verbesserung der Sichtbarkeit der österreichischen freien Szene.

© DARUM

Darum. Darstellende Kunst und Musik

Zu viel? Gibt’s nicht!

Ja, sicher: Geld allein macht noch keine spannende Kunst, erzeugt nicht automatisch zusätzliche, gut ausgestattete Spielorte mit fairen Koproduktionsbedingungen, stampft keine Probenraum- und Büroinfrastruktur aus dem Boden. Ohne Geld aber bleiben all die guten, längst vorhandenen und ausformulierten Überlegungen lediglich Ideen, für die die Ressourcen fehlen. Eine alte Leier, die eigentlich mittlerweile alle Seiten gleichermaßen anöden sollte: Zeit, Fakten zu schaffen.

KünstlerInnen möchten sich ästhetischen Fragen stellen, nicht als demütige BittstellerInnen ihre eigene Armut verwalten. Der Vorwurf an die KünstlerInnen, sich schließlich selbst chronisch unter Wert zu verkaufen, ist im Angesicht mangelnder Alternativen zynisch: Wer Kunst macht, macht dies aus Leidenschaft, der freiwillige Arbeitsverzicht aufgrund zu schlechter Bezahlung tut daher doppelt weh. Kaum weniger problematisch ist es daher, angesichts eines derart eklatanten Fördermittelmangels über ein mögliches »Zuviel« an Förderung nachzudenken: Außer den politisch Jenseitigen spricht auch niemand von einem »Zuviel« an gesetzlicher Krankenversicherung, einem »Zuviel« an Mindestsicherung oder einem »Zuviel« an gefördertem Wohnbau. Staatliche Mittel stellen die (Über-)Lebensgrundlage darstellender KünstlerInnen in Österreich dar, künstlerische Freiheit und Selbstbestimmung entstehen durch soziale Sicherheit und die Gewissheit, kontinuierlich arbeiten und auch mal scheitern zu dürfen, ohne das nächste Projekt (und das eigene Auskommen) zu gefährden. Fördergremien, die genügend Mittel für alle zu verteilen haben, könnten überdies von verhasst-gefürchteten, aber letztlich hilflosen Gerichten über Kunstleben und Stop-and-Go-Arbeitslosigkeit zu PartnerInnen auf Augenhöhe werden: inspirierend und (unverbindlich!) kuratorisch beratend.

Keine Frage: Auch wir Kunstschaffenden müssen ein scharfes Bewusstsein für unsere eigene Rolle im Kontext politischer und ökonomischer Strukturen entwickeln und unsere Forderungen nach signifikanten Verbesserungen konsequent und untereinander solidarisch nach außen tragen. Um die prekäre Lage von KünstlerInnen zu verbessern, bedarf es jedoch vor allem eines reformwilligen Problembewusstseins seitens der Politik, das die Komplexität dieser Herausforderungen in einer kulturpolitischen Strategie mitdenkt. Ganz konkret bedarf es dringend einer buchstäblichen Vervielfachung der derzeitigen Fördermittel für die Freie Szene; darüber hinaus wären weitergehende Verbesserungen der sozialen Absicherungen freier KünstlerInnen (nicht zuletzt in Hinblick auf die häufig reale Gefahr späterer Altersarmut), sowie längst überfällige steuerrechtliche Erleichterungen für private Kulturstiftungen, wie sie in anderen Ländern existieren, willkommene Ergänzungen im Kampf gegen die Prekarisierung freier Kunst. 

Das freie Performancekollektiv »Darum. Darstellende Kunst und Musik« wurde 2018 von den sich seit Jahren im Spannungsfeld zwischen freier und institutioneller Darstellender Kunst bewegenden Kunstschaffenden Laura Andreß, Victoria Halper und Kai Krösche gegründet. Zuletzt widmete sich »Darum« mit den Produktionen »Ungebetene Gäste« und »Was bleibt?« dem Phänomen einsamer Begräbnisse in Wien.

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