Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald.
Turbostaat – »Uthlande«
Überall sind sie, diese verdammten Nazis, sie kommen in allen Couleurs und Berufsständen. »Historiker« (ohne »Innen«) sparen »pikante« Details aus, aufrichtige Fußball-Fans sorgen für einen »Skandal«, weil sie Faschisten nicht in ihren Teams haben wollen, in den drei Gewalten des Staats nisten sich Rechtsextreme ein und breiten sich wie Parasiten aus. Und kleiner Spoiler: Das wird sich 2020 nicht ändern, das wird sich in den 2020ern nicht ändern. Umso wichtiger ist eine Gruppe wie Turbostaat, die sich seit über 20 Jahren mit der Faust gegen die rechten Mächte stellt, auch mit ihrem neuen Album »Uthlande« Missstände aufzeigt – wie etwa im fantastischen »Rattenlinie Nord« – und ganz nebenbei auch dafür sorgt, dass dieses Jahr mit einer großartigen Ansammlung an Musik beginnt. Ja, das erste Studioalbum seit »Abalonia« von 2016 – im Vorjahr gab es ja das Live-Album »Nachtbrot« – offeriert wieder Northern Punk von allerfeinster Güteklasse. Ganz ehrlich: Turbostaat kann echt niemand das Wasser reichen, zu drängend, zu melodisch, zu prägnant. Fast schon zu gut.
»Uthlanda« von Turbostaat erscheint am 17.01.2020 via PIAS. Österreich-Termin: 8.4. Das Werk, Wien.
Blond – »Martini Sprite«
Die Chemnitzer Gruppe Blond hat es durchaus schon zu beträchtlichem Ruhm geschafft: Mit der notwenigen Dosis an Dämlichkeit, unterstützt von eklektischem, tendenziell elektronischem Pop, der alle seine Subgenres streichelt und vermeintlich recht artifiziellem Bewegtbild haben sich die drei nicht nur einige sechsstellige Viewzahlen, sondern auch ein recht breites und großes Publikum aufgebaut. Shows mit Kraftklub oder AnnenMayKantereit lassen da schon verlautbaren, auf welche Zielgruppe hier geschielt wird. Nichtsdestotrotz haben Songs wie »Spinaci« die erste EP »Trendy« aus 2017 zu einer kleinen Hit-Scheibe gemacht. Das Debüt kommt nun mit reichlich Verspätung, das Konzept – und Blond sind klar Konzept über Inhalt – geht aber weiterhin auf. Das ist ekstatische und hedonistische Popmusik für Anfang-20-jährige, für das Lebensgefühl nach dem ersten One Night Stand, für wildes Tanzen auf der WG-Party mit dem einen Schnuckel, den du eigentlich nur vom Sehen kennst. Kurz: »Martini Sprite« ist Musik für die schönen Momente im Leben. Quasi Martini Sprite für die Ohren.
»Martini Sprite« von Blond erscheint am 31.1.2020 via Beton Klunker Tonträger. Tour-Start ist in Österreich, am 20.2. im Fluc, Wien.
Male – »Zensur & Zensur«
Die immer noch aktive Düsseldorfer Gruppe Male gilt als erste deutsche Punkband, ihr auf 1.000 maschinnummerierte Stücke limitiertes 1979er Album »Zensur & Zensur« ist genauso legendär wie gesucht. Tapete Records, die sich in den letzten Jahren auch einen Ruf als fachkundige Reanimatoren für die Wiederauferstehung von Meilensteinen der deutschen Musikgeschichte gemacht haben – noch im Dezember wurde etwa der Backkatalog von Max Goldt eruiert –, machen sich nun erneut an den Versuch einer Wiederveröffentlichung. Damit sind sie zwar nicht die ersten – bereits 1990 gab eine Re-Issue –, dennoch sollte man diesen Release von »Zensur & Zensur« aus vielerlei Hinsicht keineswegs verpassen: Neben dem punkhistorischen Wert der Studioaufnahmen finden sich auf den zwei LPs – die ersten 100 der insgesamt 500 gepressten Doppelalben kommen in rotem Vinyl – einige Live-Mitschnitte eines Konzert in Hamburg 1979. Außerdem darf man sich über die Aktualität der Stücke wundern, »Polizei« etwa gilt ja auch 41 Jahre danach noch.
»Zensur & Zensur« von Male erscheint als Re-Issue am 24.1.2020 via Tapete Records. Keine Termine.
Kaltenkirchen – »Im Namen der Liebe«
Wenn einer zwischen den Feiertagen sein Debüt veröffentlicht, ist das schon eine eher ungewöhnliche Maßnahme. Aber: Das Gewöhnliche ist ohnehin nicht seine Sache. Philip Stoeckenius alias Kaltenkirchen ist ein in Wien wohnender Stuttgarter, den man eventuell noch aus dem Kinderfernsehen kennen könnte – Stichwort: »Tigerentenclub« – und nun per Selbstbeschreibung Antischlager macht. An zumindest YouTube-Hits mangelt es bislang gar nicht, auch ein Feature mit großen Namen – Popstar Drangsal und Gruftpopperin Mia Morgan – fehlt in der illustren Vita nicht. Musikalisch kann man da schon eine Richtung abschätzen, »Im Namen der Liebe« spielt mit den Quintessenzen von Wavepop der 1980er Jahre, mit herrlich cheesy Melodien und vor allem – natürlich – mit Schlager, ähnlich wie auch schon Badem-Württembergischer Landsmann Luis Ake. Postironisch und gesellschaftskritisch, mit dem Politischem im Privaten. Dass sich da natürlich ab und an etwas Gymnasiastenlyrik einmischt, ist nebensächlich und dem Genre verpflichtet, dennoch hagelt es auf »Im Namen der Liebe« Hits, Hits, Hits. Und spätestens damit ist Kaltenkirchen nun doch Schlager.
»Im Namen der Liebe« von Kaltenkirchen erschien bereits am 27.12.2019 im Eigenverlag. Österreich-Termin: 23.2., Chelsea, Wien.
Außerdem erwähnenswert:
Jason Bartsch – »Eine Idee für das Klappen aller Dinge«
(VÖ: 10. Januar 2020)
Die Einordnung von Jason Bartsch fällt nicht ganz einfach: Irgendwie zwischen Kleinkunst und großer Geste, zwischen One-Man-Band und gedruckter Literatur, zwischen Schlemm-Poetry und Elektro-Pop. Der Mann zwischen den Stühlen weiß mit seinem Gespür für Melodien zu beeindrucken, sein zweites Album »Eine Idee für das Klappen aller Dinge« knüpft nahtlos an das gut rezipierte »4478 Bochum« aus 2017 an.
Smile And Burn – »Morgen anders«
(VÖ: 10. Januar 2020)
»Deutsche Texte find ich scheiße / So viele Phrasen sind doch scheiße«: Die Berliner Smile And Burn versuchen sich auf ihrem fünftem Album erstmals im Texten auf deutscher Sprache. Geschrumpft von einer Fünfer- zur Dreierkapelle exzerieren die Poppunkrocker eben genau das: Knalligen Straßenpunk mit gestrecktem Mittelfinger.